Bestellen, benutzen, zurückschicken
Zehn Prozent der im Internet bestellten Ware wird mit dem Ziel gekauft, sie kurz zu benutzen und dann wieder zurückzugeben, sagt der Wirtschaftsexperte Alexander Hennig.
Julius Stucke: Ich muss demnächst auf zwei Hochzeiten, ich hab aber keinen einzigen frischen Anzug mehr im Schrank, will mir auch eigentlich gar keinen zulegen, und da kommt mir folgender Trend aus den USA ganz recht: Wardrobing nennt sich die Masche und geht so: Im Internet was Schönes aussuchen, darf auch gern was Teures, Exklusives sein, bestellen, tragen und dann nachher einfach zurückschicken. Die Umtauschmöglichkeiten des Versandhandels also bewusst ausnutzen. Das ist natürlich erstens Betrug, und zweitens ist es anscheinend ein ernstes Problem in den USA. Da gibt es Studien dazu, die von Milliardenschäden für den Handel sprechen. Und der ist offenbar ziemlich machtlos. Warum und was genau steckt dahinter? Darüber spreche ich mit Alexander Hennig, Professor für Betriebswirtschaft und Handelsmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Morgen, Herr Hennig!
Alexander Henning: Guten Morgen, Herr Stucke!
Stucke: Wardrobing - für mich hört sich das immer noch nach einer Randsportart an, scheint aber ein ziemliches Problem zu sein. Wie groß genau ist es denn in den USA?
Henning: Der US-Einzelhandelsverband schätzt, dass die Folgen dieses Wardrobing im Milliardenbereich liegen, zwischen neun und 15 Milliarden gehen da die Schätzungen, und das ist selbst für den großen US-Einzelhandelsmarkt dann eine relevante Größe. Vor allen Dingen, wenn man hört, dass 94 Prozent der Händler betroffen sind, nicht nur die Versandhändler, sondern auch die stationären Einzelhändler, wo Leute dann also zum Beispiel beim Bekleidungshandel, sich Sachen im Ladengeschäft kaufen und anschließend, nachdem es getragen wurde, das gewaschen oder sogar mit Gebrauchsspuren wieder zurückgeben.
Stucke: Und ist es nur dort ein Problem, oder gibt es da hierzulande auch Zahlen zu?
Henning: Für die Situation in Deutschland gibt es keine statistischen Werte aus der Marktforschung, aber wenn man sich da mit Geschäftsführern aus dem Handel unterhält, dann sagen die hinter vorgehaltener Hand schon, dass das ein Problem ist. Sie wollen das nicht nach außen sagen, weil sie kein Interesse daran haben, dass dieses Verhalten dann aufgrund der Häufigkeit irgendwann als normal gilt und dann vielleicht auch nicht mehr sozial geächtet wird. Ein Anhaltspunkt könnte die Retourenquote sein. Retourenquote im Onlinehandel bedeutet, wie viel Prozent des Warenwertes kommt anschließend durch Rückgabe wieder zurück. Der Onlinehandel macht ungefähr 10 bis 15 Prozent des gesamten Textileinzelhandels, und da haben wir bei den allermeisten Unternehmen Retourenquoten, die zwischen 40 und 70 Prozent liegen, das heißt, mehr als die Hälfte des Warenwerts wird durch Rückgaben wieder an das Unternehmen zurückgegeben. Das hat natürlich damit zu tun, dass wir im Onlinehandel keine Umkleidekabine haben und manche Sachen vielleicht tatsächlich nicht passen. Man schätzt aber, dass etwa zehn Prozent davon wirklich Wardrobing sind, also ganz bewusster Kauf von Produkten, die nur einmal benutzt werden und dann wieder zurückgegeben werden sollen.
Stucke: Bewusster Kauf von Produkten zum Zurückgeben. Das Beispiel Kleidung liegt auf der Hand, das haben wir erwähnt, aber ist das in mehreren Bereichen als Problem bekannt?
Henning: Neben der Kleidung, vor allen Dingen hier der vielleicht teuren Kleidung, der Markenkleidung oder der Kleidung, die man braucht für besondere Anlässe, Sie haben es genannt, Hochzeit, Abendball, haben wir dieses Phänomen auch bei Elektronikartikeln. Da erzählen einem die Filialleiter schon, dass zum Beispiel bei sportlichen Großveranstaltungen viele große Flachbildschirme oder Beamer gekauft und kurz danach wieder zurückgegeben werden, und auch die Baumärkte sind davon betroffen. Bei den Spezialwerkzeugen oder bei Elektrowerkzeugen, die dann vielleicht nur einmalig gebraucht werden und der Kunde davon ausgeht, dass sich eine Anschaffung nicht lohnt.
Stucke: Wardrobing - das bewusste Schummeln mit dem Rückgaberecht, ein Milliardenproblem? Dazu der Wirtschaftswissenschaftler Alexander Hennig. Herr Hennig, wenn das Problem nun also bekannt und erkannt ist, warum tun die Versandhändler nichts dagegen und ändern zum Beispiel die Rückgabemöglichkeiten?
Henning: Die Versandhändler können da nichts gegen tun, weil es da rechtliche Bedingungen gibt, die sie einhalten müssen. Das heißt, für den Onlinehandel gilt in Deutschland das Fernabsatzrecht, und da ist im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, dass jeder Kunde die Möglichkeit hat, ohne Angabe von Gründen zwei Wochen nach Erhalt der Ware den Kauf zu widerrufen und die Ware zurückzuschicken. Und der stationäre Einzelhandel, also die Händler, die mit Ladengeschäften arbeiten, die haben dieses Umtauschrecht bei einwandfreier Ware nicht, also dort ist das reine Kulanz. Die stehen aber natürlich im Wettbewerb zu den Onlinehändlern und hätten natürlich jetzt einen Wettbewerbsnachteil, wenn sie nicht die Rückgabemöglichkeiten bieten, die der Onlinehandel bieten muss. Und außerdem haben viele stationäre Händler mittlerweile auch eigene Onlineshops, und da haben die sicher keine Lust, zwei unterschiedliche Rückgaberegelungen für ihre stationären Kunden und ihre Onlinekunden zu haben, sodass sich also an diesen Rückgabemöglichkeiten prinzipiell, weder an den gesetzlichen noch an den freiwilligen, etwas ändern wird.
Stucke: Das heißt, der Handel kann gar nichts tun, oder gibt es andere Möglichkeiten, da zu reagieren?
Henning: Der Handel versucht schon darauf zu reagieren, und wie immer sind die Vereinigten Staaten da ein bisschen weiter. Dort ist das Problem eben auch etwas größer. Es gibt Onlinehändler, die es mit so einer Art Abmahnung versuchen, das heißt also E-Mails an die Kunden, wo darauf hingewiesen wird, dass die Rückgaben doch in den letzten Monaten recht häufig waren. Das führt dann aber sehr schnell auch zu einem sogenannten Shitstorm in den sozialen Netzwerken, was den Unternehmen auch nicht recht sein kann. Viele stationäre Händler sind inzwischen dazu übergegangen, die Identität zu überprüfen, das heißt, man muss seinen Personalausweis vorlegen, wenn man Sachen umtauscht. Und die Bekleidungshändler fangen ebenso wie die Elektronikhändler mittlerweile an, sehr große, offen sichtbare Schilder an den Kleidungen oder an den Gegenständen anzubringen, die ganz bewusst entfernt werden müssen, damit man sie überhaupt tragen kann, damit also der Smoking jetzt nicht ein großes weißes Schild vorne am Revers hat, und das Umtauschrecht in dem Moment erlischt, wenn dieses Schild dann abgemacht wurde.
Stucke: Aber Sie sagen es, man macht das alles nicht besonders gerne, wegen des, wie Sie erwähnt haben, Shitstorms, der dann folgt. Weil man ja auch von dieser Kundenfreundlichkeit der vielfältigen Rückgabemöglichkeiten und der Gratisrückgabemöglichkeit profitiert. Gibt es denn da so ein bisschen eine Gewinn-Verlustrechnung, bis wohin ist es für die Unternehmen wichtig und gut, dem Kunden freundlich entgegenzukommen, und ab wo kippt das dann um wegen solchen bewussten Schummelns?
Henning: Ja, das ist genau die betriebswirtschaftliche Entscheidung, die jetzt in den Handelsunternehmen getroffen werden muss. Denn die Handelsunternehmen befinden sich da in diesem Spannungsfeld. Auf der einen Seite das Erreichen von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung durch eben auch besonders kulante Umtauschregelungen, die ja zum Beispiel auch Zusatzkäufe animieren können. Wenn nun tatsächlich man nicht genau weiß, ob man das Stück denn behalten will, dann wird man bei einer kulanten Umtauschregelung es mitnehmen und dann vielleicht tatsächlich auch behalten. Und auf der anderen Seite der erhebliche finanzielle Faktor. Man spricht bei den Versandhändlern davon, dass die Retouren das größte finanzielle Problem, sogar bis hin dann zur Insolvenz von Versandhändlern sein kann. Das hat natürlich damit zu tun, dass diese Rückgaben auf der einen Seite den Umsatz schmälern, denn der Kunde bekommt natürlich dann seinen Einkaufswert erstattet, und zweitens sind diese Rückgaben mit erheblichen Kosten verbunden. Da brauchen wir Personal für die Rücknahme, sowohl in den Läden als dann auch in den Logistikzentren. Die Ware muss geprüft werden, die muss aufbereitet werden, vielleicht neu verpackt werden, sie muss einsortiert werden. Und nicht selten kommen die Waren auch kaputt zurück, denn auch das wissen wir aus einer Studie aus den Vereinigten Staaten, dass manche dieser Wardrober sogar bereit sind, die Ware dann kaputt zu machen, damit sie sie dann wirklich umtauschen können, um zu sagen, das war keine einwandfreie Ware. Und in dem Moment hat das Handelsunternehmen noch nicht mal die Möglichkeit, die Ware nochmals zu verkaufen.
Stucke: Wardrobing. Das bewusste Schummeln mit dem Umtauschrecht. Ein Milliardenproblem für den Handel. Dazu Alexander Hennig, Professor für Betriebswirtschaft und Handelsmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Ich danke Ihnen, Herr Hennig!
Henning: Vielen Dank auch!
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