Verschieden glauben, gemeinsam leben (Teil II)

Von Ita Niehaus |
In Deutschland gibt es viele Projekte, die sich für ein friedliches religiöses Zusammenleben einsetzen. Im zweiten Teil der Reihe "Verschieden glauben, gemeinsam leben" geht es nach Bamberg - hier haben Jüdinnen, Musliminnen und Christinnen eine interreligiöse Fraueninitiative gegründet.
Mirjam Elsel: "Also wir haben schon festgestellt, dass das interreligiöse Leben bisher hauptsächlich unter den verantwortlichen Männern stattgefunden hat, in den Religionsgemeinschaften, und wir das Ganze mehr an die Basis bringen wollten und vor allem Frauen miteinander ins Gespräch bringen wollten über ihren Glauben im Alltag. Weil, das ist oft noch mal etwas ganz Anderes als das Unterhalten über Glaubensinhalte, da geht es um ganz praktische Dinge."

Aysun Yasar: "Wir Frauen haben vielleicht auch unterschiedliche Zugänge zum Dialog selber. Patriarchalische Strukturen, die wir ja mindestens in allen drei Religionen kennen, aber auch nach außen hin, was für eine Schwierigkeit es darstellt, Familie, Beruf und Karriere und religiöse Spiritualität alles unter einen Hut zu bringen und sich hier auch gegenseitig zu motivieren und Kraft zu geben."

Yael Deusel: "Weil die Männer, das hatten wir auch in verschiedenen Versammlungen, große, große Worte, aber das, was die Frauen tun, das sind die Taten. Nicht reden, machen."

Die Theologin Mirjam Elsel, die Islamwissenschaftlerin Aysun Yasar und die Rabbinerkandidatin Yael Deusel wollten etwas machen – und zwar etwas ganz "Konkretes". Deshalb gründeten sie vor über fünf Jahren die "Interreligiöse Fraueninitiative Bamberg".

Yael Deusel: "'Konkret' hat erst einmal damit angefangen: Jede ist so wie sie ist und lernt die andere kennen, wie sie ist. Den anderen achten. Und dann haben wir ganz niedrigschwellig angefangen, einander zu besuchen in den Gebetshäusern - in den Kirchen, Moscheen und in der Synagoge. Und aus diesen kleinen Basisanfängen ist diese Arbeit entstanden."

Internationales Frauentreffen in Bamberg mit über 80 Frauen. Mirjam Elsel feiert mit und wirbt zwischendurch für die nächste Veranstaltung der Interreligiösen Fraueninitiative.

"Okay, ich schreibe mir das gleich mal auf, bei der Speisereise Ludmilla und Anna, Tatjana ..."

Die Idee der Speisereise: Gemeinsam zu kochen und dabei gleichzeitig die Küche einer anderen Kultur kennenzulernen. Ob Workshop zu interreligiösen Themen, Podiumsdiskussion oder Frauentreff - die interreligiöse Fraueninitiative Bamberg möchte vor allem Eines: Orte der Begegnung schaffen.

Mirjam Elsel: "Ich glaube, es ist am Anfang wichtig, sich darüber klar zu werden: Was sind die Regeln für unseren Dialog? Das kann sehr unterschiedlich aussehen. Für mich ist eine wichtige Sache immer, dass die Bereitschaft existiert, ich erkläre, warum ich etwas so mache. Welcher kulturelle Hintergrund, welche religiöse Erfahrung – das hat ja immer ganz viel damit zu tun, was ich erlebt habe."

Interreligiöser Dialog, beziehungsweise Trialog, auf Augenhöhe braucht stabile Strukturen und vor allem viel Zeit. Jede Begegnungsrunde wird sorgfältig vorbereitet - in einem Dreierteam mit einer Muslima, einer Christin und einer Jüdin. Das hat sich bewährt – nicht nur bei sensiblen Themen.

Mirjam Elsel: "Die spannendste Begegnung finde ich immer, wenn die Musliminnen die Christinnen fragen, jetzt erklärt uns doch mal: Habt Ihr einen oder drei Götter? Und wenn dann die Christinnen in große Erklärungsnot kommen und wir haben mindestens so viele Erklärungsversuche wie Christinnen in einen Raum und dann geht die Diskussion erst richtig los."

Aysun Yasar: "Das ist ja aus islamischer und jüdischer Perspektive schwer nachzuvollziehen. Erst wenn ich versuche, die Dreifaltigkeit Gottes im christlichen Kontext zu sehen, dann ergibt es für mich einen Sinn. Ohne das als mein Eigenes zu übernehmen, denn ich bin ja Muslimin."

Mirjam Elsel: "Zum einen merken die Christinnen, das, was ich glaube, ist anders als wie die andere Frau das sieht. Und die Musliminnen stellen fest, ach, es sind nicht nur wir, die immer so verstritten wahrgenommen werden, bei den Christinnen ist es auch nicht so viel anders. Das kann heilsam sein."

Die gemeinsame Sehnsucht nach Frieden verbindet die Bamberger Frauen. Eine Erfahrung haben sie immer wieder gemacht: Interreligiöses Lernen geschieht vor allem in gemeinsam durchgestandenen Konflikten. Als die jüdischen Frauen etwa erstmals zum Abendgebet in die Synagoge eingeladen hatten, gab es anschließend eine Fragerunde mit Kaffee und Kuchen. Eine der Übersetzerinnen weigerte sich, eine Frage zu übersetzen.

Yael Deusel: "Ich sag: Doch, übersetz sie. Es war ein schlimmes Vorurteil. Es ging darum, ist es so, dass die jüdischen Mütter ihren Kindern den Hass predigen gegen eine ganz bestimmte Religion, es ging da auch um den Nahen Osten. Und ich habe gesagt, nein, das ist nicht so. Sagt Ihr das denn Euren Kindern? Nee. Ja, warum sollen wir es denn dann sagen? Aber die Männer sagen doch und ähh ...jede jüdische Mutter sagt … Und ich sage: Das sind Vorurteile. Es ist nur so möglich, dass wir aufeinander zugehen, miteinander sprechen."

Vertrauen ist gewachsen im Laufe der Jahre, Freundschaften sind entstanden.

Yael Deusel: "Was habe ich gelernt? Dass wir noch ganz, ganz viel zu lernen haben und dass es wichtig ist, den anderen zu achten, in der Verschiedenheit zu achten. Und auch in diesem sich kein Bild machen - ich darf mir schon eines machen, aber aus der Nähe."

Aysun Yasar: "Dass sie auch kennenlernen, dass es innerhalb ihrer eigenen Religion nicht nur IHRE Version des Christentum, Judentum, Islam gibt, sondern durchaus auch andere, die nebeneinander als gleichwertig zu existieren haben. Diesen Reichtum erst einmal zu erkennen, das ist etwas Besonderes."

Diese vielfältigen Erfahrungen weiterzugeben, ist genauso wichtig. Deshalb bildet die Initiative Multiplikatorinnen aus. Frauen, die in ihren Arbeits- und Lebensbereichen andere sensibilisieren für interreligiöse Fragen. In einem Intensivkurs stärken die zukünftigen "Multiplikatorinnen" ihre interkulturellen und interreligiösen Kompetenzen.

Aysun Yasar: "Erst mal das Bewusstsein und das Selbstbewusstsein, über ihre eigene Religion sprechen zu können, entsprechende Fachtermini auch zu benutzen, dann aber auch auf alltägliche Anfragen wie Islam und Unterdrückung der Frau und so weiter eingehen zu können, auch selbstkritisch zu sein, aber auch differenzieren zu lernen innerhalb der Religionen."

Immer wieder gehen die Bamberger Frauen auch unkonventionelle Wege. Vor zwei Jahren organisierten sie ein multireligiöses Gebet zum Abschluss der Veranstaltungen gegen den NPD-Bundesparteitag in Bamberg. Fast 2000 Menschen versammelten sich unter freiem Himmel. Ein deutliches Signal.
Mirjam Elsel: "Auch bei den geistlichen Würdenträgern, die haben gemerkt, das spricht andere Leute an, die sind nicht nur ein kleiner Haufen, der sich trifft. Es kommen Familien, es kommen ganz normale Leute, die sonst in den klassischen interreligiösen Podiumsdiskussionen nicht zu finden sind. Und es hat auch die Bevölkerung begeistert, weil plötzlich klar gewesen ist, hier gibt es auch Muslime, Bamberg ist ja katholisch geprägt – das war was Neues. Es sind nicht nur Leute, die ich nicht kenne, die sind neben mir, die leben ihren Glauben und Jüdinnen und Juden kommen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen hierher – das war beeindruckend."

Otfried Sperl: "Dass zum Beispiel bei diesem multireligiösen Gebet ganze Gruppen von Kindern sich mitbeteiligt haben, auch muslimische Kinder, die gesungen haben, die getanzt haben, die einfach mitgemacht haben in Formen, die wir vorher in einer sehr männerbestückten Form des interreligiösen Dialogs uns nie vorstellen konnten."

Der interreligiöse Dialog in Bamberg hat durch die Fraueninitiative wichtige neue Impulse bekommen - davon ist nicht nur der evangelische Dekan von Bamberg, Otfried Sperl, überzeugt.

Auch Mitra Sharifi, stellvertretende Vorsitzende im Migranten- und Integrationsbeirat der Stadt, und Heinrich Olmer, Vorsitzender der israelischen Kultusgemeinde, ziehen eine positive Bilanz.

Mitra Sharifi: "Das Besondere ist die Vielfalt, die Fantasie, aber auch das Alltagsgebundene, gerade sehr Irdische an diesem Projekt. Dass die Frauen wirklich anfangen, bei einzelnen Frauen weg von Klischees, erst mal versuchen, sich als Menschen begegnen, bei sich selber anfangen. Ich glaube, das ist für alle Beteiligten eine sehr fantasievolle Entdeckungsreise."

Heinrich Olmer: "Ich habe ganz einfach gelernt, dass wenn der Wunsch da ist, etwas zu bewirken, sich auch immer Menschen finden, die aktiv daran mitarbeiten und tatsächlich die Brücke zwischen den Kulturen und Religionen schaffen."

Doch es gibt auch immer wieder Rückschläge zu verkraften. Kurzfristig wurde der Interreligiösen Fraueninitiative die Förderung durch den Europäischen Integrationsfonds gestrichen.

Heinrich Olmer: "Nahezu alle Parlamente sprechen von der Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs. Natürlich ist es dann schwer verständlich, wenn es darum geht, diesen dann auch finanziell zu fördern, im Endeffekt keine Mittel dafür da sind. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen."

Mirjam Elsel: "Uns war es immer wichtig zu sagen, Frauen, die neben Familie, Erwerbsarbeit und Aufbau in ihren Religionsgemeinschaften jetzt auch noch interreligiöse und integrative Arbeit leisten, müssen auch dafür entlohnt werden, jedenfalls in einer kleinen Art und Weise. Das geht so erst mal nicht, das ist ein Scheitern, das wieder alles ehrenamtlich läuft. Die Frauen machen es trotzdem, sodass es auch weitergehen wird."

Aber natürlich nicht im gleichen Umfang. Die Projektkoordinationsstelle fällt weg, große Veranstaltungen sind erst einmal nicht mehr geplant. Die engagierten Frauen wollen nun vor allem das Team stärken, in Projekten mitarbeiten und sich regional und überregional weiter vernetzen.

Mirjam Elsel: "Wir sind eine Gesellschaft, in der Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen leben und wir müssen dieses Zusammenleben, wenn wir nicht wollen, dass es nebenher geschieht, gemeinsam gestalten. Mich motiviert es immer wieder, mit den Frauen zusammenzuarbeiten, die große Motivation zu sehen, aber auch die Vielfalt und die Bereicherung."