Verschiedene Sounds und Stile

Von Michael Laages |
Der neue Intendant des Deutschen Theaters, Ulrich Khuon, hat aus seinen Vorgängerstationen das Konzept der Autorentheatertage mitgebracht. Hier werden neue Stücke zum Gastspiel eingeladen, womit auch Bühnen eine Chance bekommen, die im üblichen Theaterbetrieb sonst nicht hervortreten.
Gerade 8 Grad warm ist die Berliner Frühlingsnacht; deutlich zu frisch für einen Abendspaziergang – aber nachdem das Publikum Elfriede Jelineks "Rechnitz"-Text (über das Massaker an Zwangsarbeitern im gleichnamigen österreichischen Grenzort kurz vor Kriegsende im Frühling 1945) als Solo-Kraftakt der Schauspielerin Isabelle Menke in der Schweizer Botschaft gleich beim Kanzleramt erlebt hat, sorgt halt kein Reisebus für die Rück- wie zuvor für die Hinfahrt. Zu Beginn des Abends kurvten wir weiträumig an den führenden Gedenkstätten entlang, vorbei am Denkmal für die ermordeten Juden in Europa wie am Gelände der Topographie des Terrors bis hin zur Botschaft.

Schon das Züricher Schauspielhaus hatte eine einigermaßen überambitionierte Arbeit nach Berlin entsendet, und erst recht beschädigte das Deutsche Theater als Ausrichter mit dem fehlenden Bus für den Rückweg spürbar den guten Eindruck, den es mit den "Autorentheatertagen" bislang doch hinterlassen hatte.

"Mensch, und die Leute, alle so freundlich zu uns ... wildfremde Menschen haben uns zu sich nach Hause eingeladen! --- Na, dieses ewige Umarmen und so; typisch westdeutsch – wir sind nicht gleich mit jedermann per du!"

Szenen und Stimmungen aus Wendezeiten – ganz schlicht und geradeaus (und sehr sympathisch!) hatte eine Produktion vom Volkstheater aus Rostock das Festival eröffnet; neben der Berliner Übernahme einer Hamburger Produktion von Dea Lohers großem Stück "Das letzte Feuer".

Loher und Jelinek, die auf so unterschiedliche Weise sinnstiftenden und stilbildenden Top-Dramatikerinnen zur Zeit, standen und stehen im Zentrum des Festivals. Die Differenz der Jelinek-Arbeiten aus Zürich und München wie der Loher-Inszenierungen aus Berlin und Wien zu den Gastspielen eben aus Rostock, aber auch aus Jena und Bern, Frankfurt zudem, Stuttgart, Hannover und Dresden, ist gewollt und ist gut so.

So kommen auch Theater zu Wort, die unter den "üblichen Verdächtigen" etwa beim "Theatertreffen" nie eine Chance hätten; die Hauptstadt darf sich wirklich bereichert fühlen durch viele verschiedene Sounds und Stile im Umgang mit neueren und neuesten Theatertexten. Und ob es die neuen Stück von Sybille Berg oder Anne Nather, Martin Heckmanns und Jan Neumann wirklich bis auf Berliner Bühnen schaffen werden, bleibt ja stark zu bezweifeln.

Khuons "Autorentheatertage" waren von Beginn (und sind es auch jetzt!) vor allem neugierig darauf, was mit neuen Stücken passiert, wenn sie im Alltag des Theaters ankommen; und nicht auf dem Jet-Set-Boulevard.

"Provinz" also und was das denn wohl ist – ein Thema dieses Festivals wie ein Thema von Elfriede Jelinek.

"In einem FAZ-Interview zur Verleihung des Nobelpreises sagte Elfriede Jelinek, sie sei eine Provinz-Schriftstellerin, die spezielle Themen mit einer speziellen Sprache behandle, die man schon in Deutschland nicht verstehe ..."

... sagt Gitta Honegger, österreichische Jelinek-Spezialistin mit Lehrauftrag in den USA; sie war eine der klugen Stimmen beim Symposium über Lohers und Jelineks Werk, der Tagung mitten im Festival.

"Provinz" und Provinzialität als Selbstexorzismus – auch das sei ein Motiv für Jelineks politische Polemik. Was aber ist Provinz heute?

"In unserer globalisierten Welt ist Provinzialität etwas anderes – es geht um Facetten, Differenzierungen und Gleichzeitigkeiten, auch und gerade in die kulturell dominierenden Blöcken ..."

"Dea Lohers Theatersprache orientiert sich am politischen Theater von Bertolt Brecht und Heiner Müller ..."

Das stimmt nur bedingt, auch wenn's Carola Hilmes sagt, Literaturwissenschaftlerin aus Frankfurt und Loher-Spezialistin auf dem Podium – Lohers zentraler Bezugspunkt ist Ödön von Horvath; von ihm zieht sie ins eigene Sprechen und Schreiben die Leidensfähigkeit und das Verstummen herüber. Andreas Kriegenburg, Lohers getreuer Inszenierungspartner, charakterisiert Lohers Sprache so:

"Sie eröffnet den Sprechern einen Schutzraum – in dem sich die schmerzhaftesten emotionalen Zustände womöglich ein bisschen besser aushalten lassen. Das liegt sicher auch daran, dass Dea Loher eine der sprachreichsten, poetischsten Autorinnen der Gegenwart ist – während sie die Darstellerinnen und Darsteller der Unerträglichkeit verschiedenster Katastrophen aussetzt, bietet die Sprache so etwas wie Ruhe, Hoffnung, ja vielleicht sogar Heil ..."

Trost stiften in der Katastrophe wie im Chaos, Heil sogar; Teil der Heilung werden, nicht nur Beschreiber des Elends – da stimmt Carola Hilmes zu.

"Da ist kein Ort und kein Raum mehr für einfache Lösungen – aber verstrickt in die tragischen Unausweichlichkeiten des Alltags, findet die Auflehnung auf dieser Basis statt. Es bleibt uns ja auch gar keine andere Möglichkeit."

Das ist "Politik im Theater" für Dea Loher: den Alltag aushalten. Mit ihr, neben ihr und sie herum kam in jüngerer Zeit ein Ton auf die Bühnen, der – das zeigt sich bei der Tagung wie im Festival - jenseits von Highlight und Event das Theater stärken kann: als Ort des Überlebenlernens.