Verschleimtes Japan

Von Udo Pollmer |
Japan klagt über Verschleimung seiner Küsten. Ursache sind Riesenquallen aus China, die über den Seeweg Nippons Küsten erreichen. Um dem Problem Herr zu werden, rücken die Japaner den Tieren, die bis zu 200 Kilo schwer werden können, mit allerlei Methoden zu Leibe.
Was ist da passiert? Durch den Bau des riesigen Yangtze-Staudamms und die intensivere Landwirtschaft schwemmt der Fluss gewaltige Mengen an Nährstoffen ins Gelbe Meer. Dadurch vermehren sich die Algen, die wiederum vom Plankton gefressen werden. Das wiederum dient den Nomuraquallen als Leibspeise. Ausgewachsen erreichen die Tiere ein Gewicht von 200 Kilo bei einem Durchmesser von zwei Metern. Im Wasser sehen sie aus wie riesige Fässer. Der Schirm ist glasiggrau, die bräunlichen Tentakel sind fünf Meter lang, das Gift ihrer Nesselzellen führt zu starken Schmerzen. Wenn sie in die Netze der Fischer gelangen, töten beziehungsweise lähmen sie die Fische, teilweise zerquetschen sie die Fänge, verschleimen die Netze oder zerreißen sie. Zudem ernähren sich die Nomuraquallen auch noch von Fischeiern. Der Schaden für die Fischerei ist also erheblich. Vor allem für Japan, dessen Nahrungsversorgung viel stärker von der Fischerei abhängig ist als unsere.

Japan ist noch ein ganzes Stück von China entfernt? Es wird geschätzt, dass unter günstigen Bedingungen Tag für Tag bis zu einer halben Milliarde Jungquallen von der Küste Chinas in Richtung Japanisches Meer schwimmen. Dort waren diese Lebewesen vor wenigen Jahren tatsächlich noch eine Kuriosität. Nun bilden sie wie es heißt "einen Ring aus Schleim um die ganze Nation". Erboste Fischer haben sogar spezielle Netze eingesetzt, mit denen sie gezielt Quallenschwärmen nachstellten. Die Netze zerschnitten die Quallen in handliche Stücke, die dann von anderen Meeresbewohnern gefressen wurden. Allerdings ging der Plan schief: Die weiblichen Tiere setzten dabei ungeheure Mengen an Eiern frei.

Haben die Japaner inzwischen ein Rezept gegen die Quallen gefunden? Ja sogar mehrere. Das Fischereiministerium verbreitet eine ganze Rezeptsammlung. Die Regierung will das Problem durch regelmäßigen Verzehr lösen. Die Rezepte stammen aus China. Darin wird der schmackhaften Zubereitung von Riesenquallen das Wort geredet: Gekochte Quallen mit Sesamöl und Zwiebeln als Salat, Quallen-Bisquit, Quallen-Rumtopf oder Riesenqualle an Kokosmilch. Eine Molkerei verkauft Nomuraquallen-Eiscreme – allerdings mit Vanillegeschmack. Die Quallen werden vorher in Milch eingelegt, um den Geruch etwas zu abzumildern. Den Vogel aber schossen die japanischen Frauenmagazine ab: Sie haben ihren Leserinnen verraten, dass die Quallen Kollagen enthalten. Und das hilft in der Kosmetikwerbung bei Cellulitis und macht eine straffe Haut.

Dann fehlt ja nur noch die Pharmaindustrie? Die ist schon zur Stelle, sie will daraus Verdauungshilfen und Nahrungsergänzungsmittel herstellen. Vor allem für Senioren. Denn der Schleim ist ein klein wenig anders als bei anderen Quallen – so wie er sich eben von Qualle zu Qualle unterscheidet. Da bei älteren Menschen manchmal die Aktivität der Speicheldrüsen nachlässt, könnte der Quallenschleim eine Hilfe beim Schlucken darstellen. Ein großer japanischer Vitaminhersteller erwägt bereits die Nutzung von Nomuraquallen. Gleichzeitig interessiert er sich auch für Mondquallen. Diese Quallensorte hat vor einiger Zeit zur Abschaltung eines japanischen Atomkraftwerks geführt. Die Viecher haben die Kühlwasserleitungen verstopft.

Dürfen wir also hierzulande auch mit Quallenpillen rechnen? Natürlich. Allerdings werden sie da nicht nur die Haut straffen, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach Knorpel von Arthrosepatienten regenerieren und verstopfte Arterien reinigen. Und wenn das nicht genügt, werden sie wohl als das Geheimnis der hohen Lebenserwartung der Japaner vermarktet. Dann gibt es das ewige Leben dank der Gesundheitsgeheimnisse japanischer Mondquallen als Fußbad in der Kurpackung in Ihrer Apotheke.

Literatur: Purcell JE et al: Anthropogenic causes of jellyfish blooms and their direct consequences for humans: a review. Marine Ecology Progress Series 2007; 350: 153-174
Moffett S: Invasion of jellyfish envelops Japan in ocean of slime. Wall Street Journal, 27.11.2007
Grescoe T: How to handle an invasive species? Eat it. New York Times, 20.2.2008