Verschwörung zur Geschichtsfälschung
Mit "Das Amt und die Vergangenheit" haben die vier Historiker bereits ein weltweites Medienecho hervorgerufen. Was sie über die Verschwörung zur Geschichtsfälschung im Auswärtigen Amt ans Licht gebracht haben, ist ein hochspannender Lesestoff.
Selten haben Bücher medialen Bohei so verdient. Was die renommierten Historiker Eckart Conze (Marburg), Norbert Frei (Jena), Peter Hayes (Evanston, Illinois) und Moshe Zimmermann (Jerusalem) und die Mitarbeiter der Historikerkommission von 2006 bis 2009 ausgegraben, gesichtet und zusammengestellt haben, ist ein "Schwarzbuch" im Doppelsinn geworden: Gut 700 Seiten kühl-elegante Prosa, die Ross und Reiter benennt und deren Karriereparcours durch zwei diametral entgegengesetzte Staatsgebilde enttarnt, dazu knapp 200 Seiten Apparat und Register, das Ganze im schwarzen Leineneinband.
Es wird allein an Folgestudien noch manchen Regenwald fällen und Gigabyte-Speicher füllen, auch weil die Kommission bis 2008 um Akten kämpfen musste und am Ende "nicht sicher sein kann, wirklich alle wesentlichen Unterlagen zu Gesicht bekommen zu haben".
Die Unsicherheit kommt ironischerweise aus derselben Richtung wie der Auftrag: dem Auswärtigen Amt. 1951 wieder gegründet war es bis zur Großen Koalition 1966 und Außenminister Willy Brandt fest in Händen von Leuten, die alles fernhielten, was "Sozi", Frau oder aus der Emigration zurückgekehrt war. Die Archive blieben auch danach tabu, selbst nach Christopher Brownings (1979) und Hans-Jürgen Döschers (1987) großen Studien zum AA und seine Verstrickung in die "Endlösung". Die ungute Ahnung, die "Schlimmeres verhindernde" innere Naziferne der deutschen Diplomatie sei womöglich genauso ein Mythos wie die "ehrenhafte, saubere Wehrmacht", blieb virulent. Das Amt focht das alles nicht an: "Es fehlte an Aufklärungswillen seitens der Amtsspitze." Egal, welcher Partei die angehörte.
Der Auftrag kam 2005: Erforscht werden sollten endlich sowohl die Rolle, die der Auswärtige Dienst im Nationalsozialismus wirklich gespielt hatte als auch der bundesrepublikanische Umgang damit. Der doppelte Fokus übersetzt sich im Buch in zwei große Blöcke: "Die Vergangenheit des Amtes" und "Das Amt und die Vergangenheit", deren Kapitel beider Verbindungslinien und personelle Kontinuitäten aufdecken. Die Quintessenz ist inzwischen weltweit bekannt: Das AA war erstens in der Tat eine verbrecherische Organisation sui generis, wie SS, NSDAP und andere. Die Diplomaten waren keineswegs nur kleine Rädchen im Kriegs-, Plünderungs- und Vernichtungsapparat, sondern bis auf wenige Ausnahmen höchst engagiert, auch beim Mord an den europäischen Juden und zwar aus innerer Übereinstimmung. Und zweitens begann gleich nach 1945 die Rückeroberung des Amts durch die alten Seilschaften: mittels Vertuschung, korpsgeistig-krimineller Energie und feinsten politischen wie publizistischen Hilfstruppen.
Den Stein ins Rollen gebracht hat eine Dolmetscherin. Marga Henseler protestierte 2003 so lange gegen einen der üblichen ehrenden Nachrufe für einen sogar als Kriegsverbrecher verurteilten Generalkonsul, bis der damalige Amtschef verfügte: Schluss mit den automatischen Ehrungen auch für alte Nazis. Mehr nicht. Radikal aktiv wurde Joschka Fischer erst, als ein paar Ex-Diplomaten, die sich selbst als "Mumien" ironisierten, ihn aufs Korn nahmen, wiederum mit medialem Flankenschutz, und ein Eigentor schossen. Danach berief Fischer die Historikerkommission.
Was die jetzt ans Licht gebracht hat, ist ein hochspannender Page-Turner, gerade wegen des ganz unaufgeregten Erzählstils. Und man weiß als Leser am Ende nicht, was an diesen "feinen Kreisen" ekelhafter ist: ihre Komplizenschaft zur Nazi-Zeit oder ihre Verschwörung zur Geschichtsfälschung danach.
Besprochen von Pieke Biermann
Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit - Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik
Unter Mitarbeit von Annette Weinke und Andrea Wiegeshoff
Karl Blessing Verlag, München 2010
870 Seiten, 34,95 Euro
Es wird allein an Folgestudien noch manchen Regenwald fällen und Gigabyte-Speicher füllen, auch weil die Kommission bis 2008 um Akten kämpfen musste und am Ende "nicht sicher sein kann, wirklich alle wesentlichen Unterlagen zu Gesicht bekommen zu haben".
Die Unsicherheit kommt ironischerweise aus derselben Richtung wie der Auftrag: dem Auswärtigen Amt. 1951 wieder gegründet war es bis zur Großen Koalition 1966 und Außenminister Willy Brandt fest in Händen von Leuten, die alles fernhielten, was "Sozi", Frau oder aus der Emigration zurückgekehrt war. Die Archive blieben auch danach tabu, selbst nach Christopher Brownings (1979) und Hans-Jürgen Döschers (1987) großen Studien zum AA und seine Verstrickung in die "Endlösung". Die ungute Ahnung, die "Schlimmeres verhindernde" innere Naziferne der deutschen Diplomatie sei womöglich genauso ein Mythos wie die "ehrenhafte, saubere Wehrmacht", blieb virulent. Das Amt focht das alles nicht an: "Es fehlte an Aufklärungswillen seitens der Amtsspitze." Egal, welcher Partei die angehörte.
Der Auftrag kam 2005: Erforscht werden sollten endlich sowohl die Rolle, die der Auswärtige Dienst im Nationalsozialismus wirklich gespielt hatte als auch der bundesrepublikanische Umgang damit. Der doppelte Fokus übersetzt sich im Buch in zwei große Blöcke: "Die Vergangenheit des Amtes" und "Das Amt und die Vergangenheit", deren Kapitel beider Verbindungslinien und personelle Kontinuitäten aufdecken. Die Quintessenz ist inzwischen weltweit bekannt: Das AA war erstens in der Tat eine verbrecherische Organisation sui generis, wie SS, NSDAP und andere. Die Diplomaten waren keineswegs nur kleine Rädchen im Kriegs-, Plünderungs- und Vernichtungsapparat, sondern bis auf wenige Ausnahmen höchst engagiert, auch beim Mord an den europäischen Juden und zwar aus innerer Übereinstimmung. Und zweitens begann gleich nach 1945 die Rückeroberung des Amts durch die alten Seilschaften: mittels Vertuschung, korpsgeistig-krimineller Energie und feinsten politischen wie publizistischen Hilfstruppen.
Den Stein ins Rollen gebracht hat eine Dolmetscherin. Marga Henseler protestierte 2003 so lange gegen einen der üblichen ehrenden Nachrufe für einen sogar als Kriegsverbrecher verurteilten Generalkonsul, bis der damalige Amtschef verfügte: Schluss mit den automatischen Ehrungen auch für alte Nazis. Mehr nicht. Radikal aktiv wurde Joschka Fischer erst, als ein paar Ex-Diplomaten, die sich selbst als "Mumien" ironisierten, ihn aufs Korn nahmen, wiederum mit medialem Flankenschutz, und ein Eigentor schossen. Danach berief Fischer die Historikerkommission.
Was die jetzt ans Licht gebracht hat, ist ein hochspannender Page-Turner, gerade wegen des ganz unaufgeregten Erzählstils. Und man weiß als Leser am Ende nicht, was an diesen "feinen Kreisen" ekelhafter ist: ihre Komplizenschaft zur Nazi-Zeit oder ihre Verschwörung zur Geschichtsfälschung danach.
Besprochen von Pieke Biermann
Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit - Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik
Unter Mitarbeit von Annette Weinke und Andrea Wiegeshoff
Karl Blessing Verlag, München 2010
870 Seiten, 34,95 Euro