Das unregulierte Massenmedium
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Neben Großproduktionen und Hobbyshows gibt es in der Podcastwelt auch Propaganda und Hass – ganz ohne eine Moderationsstrategie der Plattformen. Die EU will die rechtliche Situation ändern.
Mehr als zehn Millionen Deutsche hören Podcasts. Und etwa 1,7 Millionen sogar täglich mindestens eine Show, das hat eine repräsentative Umfrage des Instituts Goldmedia und des Podcast-Hosters Podigee ergeben.
Das Medium boomt und ist schon lange keine Nische mehr. Das belegen nicht nur diese Zahlen, sondern auch der Umstand, dass etwa Apple in seinem Verzeichnis 40.000 deutschsprachige Angebote sind – mehr als ein Mensch jemals hören könnte. Und genau hier kommt das Problem: die Niedrigschwelligkeit.
Alles, was man braucht, ist ein Mikrofon, im Zweifel reicht auch das dem Smartphone beigelegte Headset und man kann seine eigene Show veröffentlichen. Diese Demokratisierung eines Mediums kann dann aber wiederum auch für rechtlich fragwürdige Inhalte genutzt werden. Die Podcast-Expertin und Psychologin Christiane Attig beschreibt das so:
"Podcasts sind ja ein sehr freies Medium, was inhaltliche und formale Gestaltung angeht und das ist ja auch eines der großen Potenziale, was beispielsweise die Zugänglichkeit von Inhalten marginalisierter Gruppen oder Nischenthemen ermöglicht. Andererseits ist es aber auch genau deshalb schwierig, weil es eine Möglichkeit darstellt, unkompliziert und unreguliert problematische Inhalte zu verbreiten. Und ja, es gibt zwar von Podcast-Hosting-Firmen Auflagen, dass dort keine rechtswidrigen Inhalte in den dort gehosteten Podcasts auftauchen dürfen. Aber um einen Podcast zu veröffentlichen, muss ich ja nicht zwingend so eine Firma für das Hosting und die Verbreitung beauftragen. Das kann ich auch komplett in Eigenregie machen, und spätestens dann kann ich prinzipiell alles senden, was ich will."
Rechte Propaganda und Verschwörungsmythen
Das führe dazu, dass zum Beispiel auch die rechtsextremistische "Identitäre Bewegung" Inhalte auf Apple, Google oder Spotify verbreiten. Attig sagt, dass es zwar Bemühungen gibt, solche Inhalte zu entfernen, die aber nicht weit genug gingen.
Die Journalistin Karolin Schwarz ist Expertin für rechte Propaganda im Internet und hat einen Überblick über die Szene. Demnach haben mittlerweile viele bekannte Protagonisten aus der rechtsextremen und aus der Coronaleugner-Szene Podcasts im Angebot.
Außerdem hat Schwarz beobachtet, dass Podcasts in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als ein Soziales Medium oder auch nicht als Plattform betrachtet werden, weil es dort nicht die gleichen Interaktionen wie in den Sozialen Netzen gebe. Diese Einschätzung sollte sich ändern, findet sie:
"Es sollte eben auch als Plattform für rechtsextreme Propaganda verstanden werden. Das ist das, wo es auch hinführt. Rechtsextreme und rechtsradikale Podcasts wachsen, einerseits, weil das Medium in Deutschland einfach beliebter wird, weil es eben insgesamt mehr Podcasts gibt und sie gehört werden. Und dann einfach auch, weil es eine Ausweichbewegung ist, weil YouTube und andere Plattformbetreiber einzelne von diesen Kanälen auch gesperrt haben."
Podcasts wirken intimer als andere Medien
Dabei spielt auch eine Rolle, wie genau ein jeweiliges Medium Menschen beeinflussen kann. Zwar scheint es noch keine konkreten Untersuchungen zu Podcasts zu geben. Aber die Psychologin Christiane Attig geht davon aus, dass sie für die Meinungsbildung gesamtgesellschaftlich relevant sind:
"Podcasts zeichnen sich durch eine sehr persönliche Ansprache aus. Durch eine hohe Intimität. Und wenn ich bestimmte Podcasts regelmäßig höre, solche, in denen die Podcastenden vielleicht auch persönliche Einblicke zulassen, dann können sogenannte parasoziale Beziehungen entstehen. Also das Gefühl, dass sie fast schon Freundinnen und Freunde geworden sind oder dass ich zumindest Freundinnen und Freunden zuhöre. Daraus entsteht ein großes Potenzial, Perspektiven zu erweitern und auch unsichere Meinungen zu festigen oder in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. Denn persönlicher Einfluss ist bei der Meinungsbildung prinzipiell sehr mächtig."
So gebe es beispielsweise in der Sozialpsychologie die sogenannte Kontakt-Hypothese. Die besage, dass Vorurteile durch Kontakte mit den Personen, denen diese Vorurteile angelastet werden, abgebaut werden können, so Attig. Podcasts hätten dann das Potenzial, diesen Kontakt herzustellen und Vorurteilen gegenzuwirken. Dies könne man dann andererseits auch genau gegenteilig einsetzen, um beispielsweise Verschwörungsmythen zu festigen.
Vor diesem Hintergrund scheint es daher sinnvoll, über eine Regulierung des Marktes nachzudenken und wie diese aussehen könnte. Rein rechtlich fallen Podcasts dabei in dieselbe Regulierung wie Soziale Netzwerke und andere Medien. Der Unterschied: Kaum jemand fordert hier eine strikte Moderation. Ein wichtiger Faktor, mein Karolin Schwarz. Sie sagt, dass die Schritte anderer Plattformen in den letzten Jahren immer durch öffentlichen Druck ausgelöst wurden.
Die rechtliche Situation wird sich ändern
Doch nehmen wir an, dieser Druck würde existieren. Ab wann müssten die Podcast-Anbieter einschreiten? Aktuell würde deren Pflicht erst greifen, wenn sie Kenntnis über rechtswidrige Inhalte erhielten, sagt der Medienrechtler Stephan Dreyer. Doch das soll sich ändern:
"Der derzeit im Entwurf befindliche Digital Services Act für digitale Dienste auf der EU-Ebene sagt nämlich, wenn Plattformen automatisiert und selbstständig präventiv nach illegalen Inhalten auf ihren Plattformen suchen, dann sind sie nicht automatisch haftbar, sondern auch dort erst ab aktiver Kenntnis sozusagen." Das würde dazu führen, dass Plattform-Anbieter allgemeine Monitorings für Inhalte rechtssicherer anbieten und einrichten könnten, meint der Experte für Medienrecht.
Mit diesen Monitorings werden die Plattformen auch von selbst Verstöße finden. Dann wäre es denkbar, dass sie ähnlich wie Facebook und Twitter selbstständig aktiv werden würden. Da das Scannen von Ton technisch aber schwieriger ist als das von Text, könnte das zu Upload-Filtern ähnlich wie beim Urheberrecht führen. Das wäre jedoch mit eigenen Problemen verbunden, sagt Stephan Dreyer:
"So ein System müsste nicht nur auf bestimmte Schlagwörter reagieren, sondern es müsste die einzelne Episode durchsuchen, verstehen und kontextualisieren. Und damit haben automatisierte Systeme unglaubliche Schwierigkeiten. Es wird noch schwieriger, wenn dann nicht offensichtlich gehetzt oder rassistisch geäußert wird, sondern wenn Codes benutzt werden. Oder man – die Amerikaner sprechen von Borderline Content – immer haarscharf an der Strafbarkeit entlang schrammt."
Automatisierte Moderation scheint aktuell unmöglich zu sein
Dazu kommt, dass eine strafrechtliche Einschätzung selbst Menschen oft schwerfällt. Wie kompliziert so eine Entscheidung sein kann, das hat Stephan Dreyer selbst erlebt. Er ist Teil der Prüfausschüsse bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia. Dort werden Fälle diskutiert, die Facebook und YouTube nicht selber entscheiden wollen, weil sie sich unsicher sind. Da sitzen dann drei Anwältinnen und Anwälte zusammen und versuchen festzustellen, ob ein Inhalt ein Straftatbestand ist oder nicht – gar nicht so einfach:
"Volksverhetzung ist einer dieser Straftatbestände, die unglaublich schwierig auf den Einzelfall anzuwenden sind, weil es dort um sehr unbestimmte Rechtsbegriffe geht. Also wenn selbst drei Anwälte, Anwältinnen sich nicht immer einig sind, ob das eine Volksverhetzung ist oder nicht bei einer bestimmten Äußerung, dann ahnt man, wie schwierig das für die Plattform sein muss, skalierbar dort Prozesse einzuführen, die dann entsprechende Äußerungen erkennen und von der Plattform nehmen."
Eine magische Formel, um rechtsextremes Gedankengut und Desinformationen in Podcasts zu regulieren, wird es also auch nach einer Gesetzesreform noch nicht geben.