Handlungstipps von Experten gegen die Verunsicherung: In unserer Reihe "Rassismus und Gewalt" gehen wir den Fragen nach, wie wir auf Rassismus, Sexismus und Antisemitismus im Alltag reagieren können.
"Diese Leute suchen Erklärungen"
06:38 Minuten
Der Amerikanist Michael Butter forscht über Verschwörungstheorien. Fürs Gespräch mit deren Anhängern rät er zur Behutsamkeit und nicht immer zum Argumentieren. Die Theorien sprächen insbesondere Menschen an, die schlecht mit Unsicherheit und Ambivalenz umgehen können.
Stephan Karkowsky: Nach dem rassistischen Attentat von Hanau sind noch viele Fragen offen, etwa: wie rede ich mit Verschwörungstheoretikern. Gerade am rechten politischen Rand sind nicht wenige überzeugt von einer großen Weltverschwörung, deren Ziel ist dann zum Beispiel die "Umvolkung", also ein Geheimplan zum Austausch der Deutschen durch Ausländer. Ein klarer Nazibegriff und als Polemik sehr beliebt bei AfD-Politikern wie Tino Chrupalla.
Auch der rechtsextremistische Attentäter von Hanau glaubte an Verschwörungstheorien. Ob man ihn davon hätte abbringen können, das bespreche ich mit Doktor Michael Butter, er ist Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. Herr Butter, guten Morgen!
Michael Butter: Guten Morgen!
Karkowsky: Sie leiten ein EU-Forschungsprojekt zur Analyse von Verschwörungstheorien. Haben Sie da nicht was Hübsches für uns zum Coronavirus?
Butter: Es gibt mehr Verschwörungstheorien zum Coronavirus als man zählen kann, dass es das Virus überhaupt nicht gibt, dass das eine Chimäre ist, die dazu dient, China wirtschaftlich zu schaden, dass der Virus von den Demokraten in den USA geschaffen wurde, um Donald Trump die Wiederwahl zu kosten, dass der Virus von den internationalen Eliten in den Umlauf gebracht wurde, um zum großen Austausch in Europa beizutragen. Es gibt da mehr Versionen, als man zählen kann.
Karkowsky: Woher wissen Sie, dass das alles nicht stimmt?
Butter: Weil ich der wissenschaftlichen Expertise all derjenigen Expertinnen und Experten vertraue, die sagen, dass es dieses Virus gibt und was es mit diesem Virus auf sich hat und nicht eher den pseudowissenschaftlichen Quellen, die man im Netz heutzutage leider allzu leicht findet.
Manchmal hilft nachfragen
Karkowsky: Katrin Hummel erzählte gestern in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" die Geschichte eines Mitfahrers. Da hat sie einen mitgenommen, und der erzählte ihr dann, die Mondlandung habe es ja nie gegeben. Sie erklärt ihm dann, dass viele Menschen verunsichert sind durch die Komplexität unserer modernen Welt und froh sind, wenn ihnen klar jemand sagt, was gut und böse ist. Ist das eine gute Strategie im Dialog mit Verschwörungstheoretikern?
Butter: Das kommt darauf an, wie überzeugt derjenige oder diejenige von ihren oder seinen Verschwörungstheorien ist. Also überzeugte Verschwörungstheoretiker kann man mit Fakten und solchen Erklärungen nicht greifen. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass die danach noch mehr an ihre Verschwörungstheorien glauben als vorher, weil man ihre Identität so massiv infrage stellt dadurch. Bei Leuten, die eher unentschieden sind und noch keine Meinung dazu haben, kann man aber mit solchen Erklärungen sehr gut punkten.
Karkowsky: Aber wenn einer nun ganz klar weiß, was es mit den sogenannten Chemtrails auf sich hat – so werden ja unter Verschwörungstheoretikern die Kondensstreifen am Himmel genannt –, kriegt man zu denen noch einen Zugang, oder muss man den aufgeben?
Butter: Das ist ganz, ganz schwierig, und das muss man dann immer persönlich entscheiden. Es kommt dann immer auf die spezifische Situation an. Auf jeden Fall darf man da nicht sagen, nein, das stimmt nicht, das ist eine Verschwörungstheorie, und so und so ist es, und du glaubst das aus dem und dem Grund, sondern man sollte dann eher offen sein.
Man sollte Fragen stellen, man sollte bei Details einhaken, sollte versuchen, dass die Leute ihre eigene Argumentation vielleicht beginnen zu hinterfragen und auf Widersprüche aufmerksam werden. Die Frage ist nur, ob man das in allen Verschwörungstheorien machen möchte. Also bei der Mondlandung, das ist ja noch recht harmlos.
Da kann man gerne nachfragen, aber was ist, wenn Sie es mit antisemitischen oder rassistischen Verschwörungstheorien zu tun haben. Möchte man dann wirklich fragen, warum glaubst du, dass die Juden böse sind, oder möchte man dann nicht auf den Tisch hauen und sagen, also Moment mal, das geht aber wirklich nicht. Also, es ist schwer.
Karkowsky: Wie wird man eigentlich zum Verschwörungstheoretiker? Also, ich stelle die Frage mal anders: Was stimmt mit diesen Leuten nicht?
Butter: Mit diesen Leuten stimmt eigentlich alles. Diese Leute sind nicht unbedingt psychisch krank. Das hat man früher geglaubt. Das stimmt aber nicht. Verschwörungstheorien sind viel zu weit verbreitet, als dass man das als Paranoia oder Psychose abtun könnte, auch wenn das jetzt im Fall von Hanau wirklich eher so der Fall war als eine klassische Verschwörungstheorie. Diese Leute suchen Erklärungen.
Verschwörungstheorien sprechen insbesondere diejenigen Menschen an, die schlecht mit Unsicherheit und Ambivalenz umgehen können. Ganz offensichtlich ist es so, dass es für viele Menschen einfacher ist zu akzeptieren, dass jemand Böses im Hintergrund die Strippen zieht, als zu akzeptieren, dass niemand die Strippen zieht, und die Dinge einfach so passieren und sich auch nicht immer klar in gut und böse unterteilen lassen.
Das Internet als Katalysator
Karkowsky: Welche Rolle spielt dabei das Internet?
Butter: Das Internet ist natürlich so ein Katalysator für Verschwörungstheorien. Wir hatten schon vor dem Internet jede Menge Verschwörungstheorien, aber durch das Netz sind sie sichtbarer geworden und verfügbarer geworden. Die "Wahrheit" – in Anführungszeichen – ist nur noch eine Google-Suche entfernt. Das Internet trägt natürlich zur Vernetzung von Verschwörungstheoretikern bei.
Selbst wenn Sie auf einer Autofahrt jemandem sagen, das stimmt so alles nicht, und der glaubt Ihnen dann, danach googelt der einmal, und dann hat er wieder 50 Leute gefunden, die ihm bestätigen, doch, doch, Du hattest schon recht. Insofern trägt das Internet also dazu bei, dass sich Verschwörungstheorien verfestigen, dass sie wieder einflussreicher werden und entsprechend dann auch natürlich auf individuelle Identität, aber auch auf den politischen Diskurs Einfluss nehmen.
Karkowsky: Halten Sie denn Verschwörungstheoretiker generell für gefährlich, oder sind die meisten – ich benutze jetzt mal einen sehr saloppen Ausdruck – harmlose Spinner?
Butter: Man kann das so generell nicht sagen, dass Verschwörungstheorien gefährlich sind. Es gibt ganz viele Verschwörungstheoretiker, die absolut harmlos sind, und es gibt ganz viele Verschwörungstheorien, die absolut harmlos sind. Ich kenne zum Beispiel niemanden, der jemals wegen der Mondlandungstheorie losgezogen ist, um ein Attentat zu begehen.
Es kommt immer darauf an, wer glaubt was wann in welcher spezifischen Situation. Aber es ist völlig klar, dass es Verschwörungstheorien gibt, die antisemitisch und rassistisch aufgeladen sind und die insofern schon dazu führen können, dass Leute sich weiter radikalisieren und für sich auch erklären und rechtfertigen können, dass es in Ordnung ist, raus auf die Straße zu gehen und Menschen, die einer anderen Glaubensrichtung, eine andere Hautfarbe haben, zu töten, weil man die als Soldaten in einem großen komplexen Komplott betrachtet. Dann werden Verschwörungstheorien natürlich gefährlich.
Gefährliche Theorien
Karkowsky: Und gehört zu diesen gefährlichen Theorien auch die "Umvolkungstheorie"?
Butter: Das ist sicherlich die gefährlichste Verschwörungstheorie, die wir momentan haben, weil in der natürlich auch ganz alte Verschwörungstheorien aufgehen wie die von der" jüdischen Weltverschwörung", denn meistens ist ja der "Strippenzieher" George Soros, und im Grunde bei alle den Anschlägen und Attentaten der letzten zwei, drei Jahre, egal, ob Christchurch oder Halle, war es ja so, dass gerade diese Verschwörungstheorie von der "Umvolkung", "vom großen Austausch" immer im Hintergrund war und oft auch ganz explizit wahrgenommen wurde und artikuliert wurde von denjenigen, die dann gemordet haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.