Versöhnung möglich?
Joachim Gauck leitete zehn Jahre lang die Aufarbeitung der Stasiunterlagen an der Spitze einer Behörde, die in dieser Zeit sogar seinen Namen trug. Beim Umgang der evangelischen Kirche mit der Stasivergangenheit bleibt noch einige Aufarbeitung, vielleicht auch Versöhnung zu leisten.
"Ich habe meine Biografie, meine ganz persönliche Biografie schon seit zwei Jahren in aller Öffentlichkeit ausgebreitet."
Der gut gekleidete Mann mittleren Alters ist aus dem Publikum an das Mikrofon in der Saalmitte eines Raumes getreten. Die 200 Gäste einer Veranstaltung zum Thema "Aufarbeitung, Gerechtigkeit, Versöhnung" halten inne und hören einem ehemaligen IM, einem Informellen Mitarbeiter der Staatssicherheit, zu.
"Ich habe Ermittlungsverfahren eingeleitet, das ist alles richtig."
Er ist einer der wenigen ehemaligen "IM", die heute öffentlich zu ihrer Stasivergangenheit stehen. Der Mann erzählt mit ruhiger Stimme, blickt in Gesichter, die meist 20 Jahre älter sind als er. Er habe niemanden getötet, betont er, dennoch sei es ihm heute sehr unangenehm, darüber zu sprechen. An Versöhnung glaube er nicht. Aufarbeitung halte er aber für unbedingt notwendig, um das System zu verstehen:
"Ich bin auch einer, der sagt, es darf keinen Schlussstrich geben unter diese Stasidebatte."
Die Menschen im Raum blicken ihn schweigend an. Auf dem Podium sitzen Marianne Birthler, die ehemalige Beauftrage für die Unterlagen der Staatssicherheit, und Ilse Junkermann, Landesbischöfin der evangelischen Kirche Mittelthüringen.
Wie kann Versöhnung zwischen Tätern und Opfern gelingen? Dürfen sich Menschen, wie Ilse Junkermann - aufgewachsen in Baden-Württemberg überhaupt ein Urteil erlauben? Manche der ehemals bespitzelten Stasiopfer beantworten diese Frage mit einem klaren "Nein".
Junkermann: "Das trifft mich natürlich. Ich nehme es sehr ernst. Weil damit deutlich gemacht wird: Nimm mir meine Geschichte nicht weg! Dahinter steckt ja eine Bedrohung."
Auch für Ilse Junkermann ist es 22 Jahre nach der Wiedervereinigung eine emotionale Debatte. Oft werden ihr in Gesprächen Biografien anvertraut, sie erhält Post von Menschen, die vom erlebten DDR-Unrecht erzählen. Dennoch wird sie auch verbal angegriffen, denn - mit einer westdeutschen Biografie, so ein älterer Herr, könne sie gar nichts verstehen.
Junkermann: "Dennoch sage ich, ich lebe jetzt hier in der Gesellschaft. Ich nehme wahr, da gibt es Themen, wo es einen Gesprächsbedarf gibt."
Bei der Frage der Versöhnung geht es auch um die Rolle der Kirche damals und heute. Wenn Marianne Birthler, die Nachfolgerin von Joachim Gauck im Amt der Beauftragten für Stasiunterlagen, zurückblickt, dann mit deutlicher Kritik an der Kirche:
"Ich ärgere mich schon manchmal, dass heute so was wie eine neue Legende entstanden ist, als sei die Kirche als Ganzes, ich spreche von der evangelischen Kirche, weil ich mich da am besten auskenne, ein Hort des Widerstandes gewesen. Ich finde das kann man nur mit großer. Einschränkung sagen. Ich erinnere mich sehr gut, dass es nur einige wenige Kirchen waren, die die Tore geöffnet haben, dass dort die Leute aus Friedens- oder Umweltgruppen sich treffen konnten. Während viele Gemeinden sich dem verweigert haben, weil sie vielleicht Angst hatten."
Auch innerhalb der Kirche gab es Spitzel. Bekannt sind Fälle, wo Pfarrer Menschen, die Zuflucht in einer Kirche suchten, an die Behörden ausgeliefert haben. Nicht alle kirchlichen Amtsträger haben sich damals der - wie es Marianne Birthler nennt - politischen Diakonie verpflichtet gefühlt.
"In den Akten steht sehr viel, was Menschen Menschen antun. Aber eben auch die andere Seite. Die Staatssicherheit hat ihre Berichte überwiegend verfasst über interessante Leute."
Menschen, die auf verschiedene Weise versucht haben, anständig zu bleiben, so formuliert es Birthler und appelliert an den Stolz derer, die sich heute als Verlierer fühlen und in dieser Identität verharren. Aus diesem Kreis heraus zu kommen, die Opferrolle zu verlassen und den Mut von einst als etwas Positives zu begreifen, das wünsche sie sich von jenen, die mit einer gebrochenen Biografie hadern. Es komme darauf an, wie man abwäge, aufarbeite und die verschiedenen Geschichten höre, sagt auch Landesbischöfin Junkermann:
"Dazu gehört dann auch von der Kirche, von Menschen in der Kirche, - hier haben wir etwas falsch eingeschätzt, hier hätten wir mutiger sein können oder hier haben wie so viel wir konnten gemacht, dazu gehört natürlich auch: Was ist falsch gelaufen? Und auch: Was ist 1990 falsch gelaufen an Aufarbeitung?"
Roland Jahn, der heutige Beauftragte für die Aufarbeitung der Stasiunterlagen, stammt aus Thüringen. 1981 verlor er einen seiner besten Freunde, Matthias Domaschk. Dieser war damals ein engagiertes Mitglied der Jenaer Jungen Gemeinde und kam aus bislang ungeklärten Umständen in einer Haftzelle nach einem Stasiverhör ums Leben. Heute, sagt Roland Jahn, geht es um Verantwortung, die Aufklärung von Taten vieler Einzelner - nicht nur im Fall Domaschk:
"Ich glaube, Kirche hat noch viel zu tun an Aufarbeitung, die eigene Rolle zu bestimmen. Es war Kirche im Sozialismus, eine Kirche, die sich arrangiert hatte mit dem Staat DDR. Es gab auch einzelne Pfarrer, Kirchenglieder, die ganz aktiv waren für Menschen in Not. Aber insgesamt gesehen, ist es eine Doppelrolle von Kirche, einerseits offen zu sein für Menschen in Not, für die kritischen Geister, aber andererseits dieses System auch stabilisierend. Und dieser Doppelrolle muss man sich stellen."
Allein das Aufarbeiten der Akten wird noch Jahre in Anspruch nehmen.
16.000 Säcke mit Papierschnipseln gilt es zu sortieren. In jedem davon lagern etwa 5.000 zerrissene Blätter. Mithilfe einer speziellen Software sollen diese künftig virtuell rekonstruiert werden. Erst dann gelingt es möglicherweise, Biografien zu rekonstruieren - die der Täter und die der Opfer. Landesbischöfin Ilse Junkermann geht davon aus, dass Versöhnung möglich ist:
"Und ich bin sehr froh, dass Herr Jahn zustimmt, was das Zentrum unserer christlichen Botschaft ist, dass Gott unterscheidet, zwischen der Person, den Menschen mit seiner unverletzlichen Würde und seinen Werken, dass ein Mensch auch durch die schlimmste Untat seine Würde nicht verliert. Das ist eine große Zumutung, wenn wir in Extremen denken, aber das ist der einzige Weg, wie wir überhaupt miteinander leben können und es immer wieder Möglichkeiten zur Umkehr gibt und zu besserer Einsicht."
Auch Joachim Gauck ist einst als Pfarrer in Mecklenburg bespitzelt worden, von seinem besten Freund, wie er später erfuhr. Er habe ihm die Scham und das große Bedauern abgenommen, als er sich Jahre später dafür entschuldigte - `ìn dem Moment`, so Gauck, `als er das tat, sei dieser Mann in seinen Augen generös geworden.`
Die Kirche heute könne zum Beispiel Räume schaffen zum Zuhören, sagt Marianne Birthler. Das wäre ein Anfang. Der Bedarf zu reden, Ungesagtes aufzuarbeiten, ist vorhanden - dessen ist sich auch die Landesbischöfin bewusst:
"Das muss deutlich werden in der weiteren Diskussion und Aufarbeitung: dass es darum geht, einander Gesicht zu zeigen in der Fehlbarkeit. Das bedeutet aber eben, Abschied zu nehmen von einem: 'Ich war nur ein kleines Rädchen, also ich bin eigentlich niemand', oder Abschied zu nehmen: 'Wir haben eben verloren, deshalb reden wir nicht mehr miteinander.'"
Ein Mensch werde zum Menschen, weil er Verantwortung übernimmt, sagt Ilse Junkermann - und (eben) nicht nur willenloses Werkzeug anderer ist. Und es zähle auch für sie der urbiblische Gedanke, dass Geschichte vor uns liegt, und nicht nur hinter uns.
Der gut gekleidete Mann mittleren Alters ist aus dem Publikum an das Mikrofon in der Saalmitte eines Raumes getreten. Die 200 Gäste einer Veranstaltung zum Thema "Aufarbeitung, Gerechtigkeit, Versöhnung" halten inne und hören einem ehemaligen IM, einem Informellen Mitarbeiter der Staatssicherheit, zu.
"Ich habe Ermittlungsverfahren eingeleitet, das ist alles richtig."
Er ist einer der wenigen ehemaligen "IM", die heute öffentlich zu ihrer Stasivergangenheit stehen. Der Mann erzählt mit ruhiger Stimme, blickt in Gesichter, die meist 20 Jahre älter sind als er. Er habe niemanden getötet, betont er, dennoch sei es ihm heute sehr unangenehm, darüber zu sprechen. An Versöhnung glaube er nicht. Aufarbeitung halte er aber für unbedingt notwendig, um das System zu verstehen:
"Ich bin auch einer, der sagt, es darf keinen Schlussstrich geben unter diese Stasidebatte."
Die Menschen im Raum blicken ihn schweigend an. Auf dem Podium sitzen Marianne Birthler, die ehemalige Beauftrage für die Unterlagen der Staatssicherheit, und Ilse Junkermann, Landesbischöfin der evangelischen Kirche Mittelthüringen.
Wie kann Versöhnung zwischen Tätern und Opfern gelingen? Dürfen sich Menschen, wie Ilse Junkermann - aufgewachsen in Baden-Württemberg überhaupt ein Urteil erlauben? Manche der ehemals bespitzelten Stasiopfer beantworten diese Frage mit einem klaren "Nein".
Junkermann: "Das trifft mich natürlich. Ich nehme es sehr ernst. Weil damit deutlich gemacht wird: Nimm mir meine Geschichte nicht weg! Dahinter steckt ja eine Bedrohung."
Auch für Ilse Junkermann ist es 22 Jahre nach der Wiedervereinigung eine emotionale Debatte. Oft werden ihr in Gesprächen Biografien anvertraut, sie erhält Post von Menschen, die vom erlebten DDR-Unrecht erzählen. Dennoch wird sie auch verbal angegriffen, denn - mit einer westdeutschen Biografie, so ein älterer Herr, könne sie gar nichts verstehen.
Junkermann: "Dennoch sage ich, ich lebe jetzt hier in der Gesellschaft. Ich nehme wahr, da gibt es Themen, wo es einen Gesprächsbedarf gibt."
Bei der Frage der Versöhnung geht es auch um die Rolle der Kirche damals und heute. Wenn Marianne Birthler, die Nachfolgerin von Joachim Gauck im Amt der Beauftragten für Stasiunterlagen, zurückblickt, dann mit deutlicher Kritik an der Kirche:
"Ich ärgere mich schon manchmal, dass heute so was wie eine neue Legende entstanden ist, als sei die Kirche als Ganzes, ich spreche von der evangelischen Kirche, weil ich mich da am besten auskenne, ein Hort des Widerstandes gewesen. Ich finde das kann man nur mit großer. Einschränkung sagen. Ich erinnere mich sehr gut, dass es nur einige wenige Kirchen waren, die die Tore geöffnet haben, dass dort die Leute aus Friedens- oder Umweltgruppen sich treffen konnten. Während viele Gemeinden sich dem verweigert haben, weil sie vielleicht Angst hatten."
Auch innerhalb der Kirche gab es Spitzel. Bekannt sind Fälle, wo Pfarrer Menschen, die Zuflucht in einer Kirche suchten, an die Behörden ausgeliefert haben. Nicht alle kirchlichen Amtsträger haben sich damals der - wie es Marianne Birthler nennt - politischen Diakonie verpflichtet gefühlt.
"In den Akten steht sehr viel, was Menschen Menschen antun. Aber eben auch die andere Seite. Die Staatssicherheit hat ihre Berichte überwiegend verfasst über interessante Leute."
Menschen, die auf verschiedene Weise versucht haben, anständig zu bleiben, so formuliert es Birthler und appelliert an den Stolz derer, die sich heute als Verlierer fühlen und in dieser Identität verharren. Aus diesem Kreis heraus zu kommen, die Opferrolle zu verlassen und den Mut von einst als etwas Positives zu begreifen, das wünsche sie sich von jenen, die mit einer gebrochenen Biografie hadern. Es komme darauf an, wie man abwäge, aufarbeite und die verschiedenen Geschichten höre, sagt auch Landesbischöfin Junkermann:
"Dazu gehört dann auch von der Kirche, von Menschen in der Kirche, - hier haben wir etwas falsch eingeschätzt, hier hätten wir mutiger sein können oder hier haben wie so viel wir konnten gemacht, dazu gehört natürlich auch: Was ist falsch gelaufen? Und auch: Was ist 1990 falsch gelaufen an Aufarbeitung?"
Roland Jahn, der heutige Beauftragte für die Aufarbeitung der Stasiunterlagen, stammt aus Thüringen. 1981 verlor er einen seiner besten Freunde, Matthias Domaschk. Dieser war damals ein engagiertes Mitglied der Jenaer Jungen Gemeinde und kam aus bislang ungeklärten Umständen in einer Haftzelle nach einem Stasiverhör ums Leben. Heute, sagt Roland Jahn, geht es um Verantwortung, die Aufklärung von Taten vieler Einzelner - nicht nur im Fall Domaschk:
"Ich glaube, Kirche hat noch viel zu tun an Aufarbeitung, die eigene Rolle zu bestimmen. Es war Kirche im Sozialismus, eine Kirche, die sich arrangiert hatte mit dem Staat DDR. Es gab auch einzelne Pfarrer, Kirchenglieder, die ganz aktiv waren für Menschen in Not. Aber insgesamt gesehen, ist es eine Doppelrolle von Kirche, einerseits offen zu sein für Menschen in Not, für die kritischen Geister, aber andererseits dieses System auch stabilisierend. Und dieser Doppelrolle muss man sich stellen."
Allein das Aufarbeiten der Akten wird noch Jahre in Anspruch nehmen.
16.000 Säcke mit Papierschnipseln gilt es zu sortieren. In jedem davon lagern etwa 5.000 zerrissene Blätter. Mithilfe einer speziellen Software sollen diese künftig virtuell rekonstruiert werden. Erst dann gelingt es möglicherweise, Biografien zu rekonstruieren - die der Täter und die der Opfer. Landesbischöfin Ilse Junkermann geht davon aus, dass Versöhnung möglich ist:
"Und ich bin sehr froh, dass Herr Jahn zustimmt, was das Zentrum unserer christlichen Botschaft ist, dass Gott unterscheidet, zwischen der Person, den Menschen mit seiner unverletzlichen Würde und seinen Werken, dass ein Mensch auch durch die schlimmste Untat seine Würde nicht verliert. Das ist eine große Zumutung, wenn wir in Extremen denken, aber das ist der einzige Weg, wie wir überhaupt miteinander leben können und es immer wieder Möglichkeiten zur Umkehr gibt und zu besserer Einsicht."
Auch Joachim Gauck ist einst als Pfarrer in Mecklenburg bespitzelt worden, von seinem besten Freund, wie er später erfuhr. Er habe ihm die Scham und das große Bedauern abgenommen, als er sich Jahre später dafür entschuldigte - `ìn dem Moment`, so Gauck, `als er das tat, sei dieser Mann in seinen Augen generös geworden.`
Die Kirche heute könne zum Beispiel Räume schaffen zum Zuhören, sagt Marianne Birthler. Das wäre ein Anfang. Der Bedarf zu reden, Ungesagtes aufzuarbeiten, ist vorhanden - dessen ist sich auch die Landesbischöfin bewusst:
"Das muss deutlich werden in der weiteren Diskussion und Aufarbeitung: dass es darum geht, einander Gesicht zu zeigen in der Fehlbarkeit. Das bedeutet aber eben, Abschied zu nehmen von einem: 'Ich war nur ein kleines Rädchen, also ich bin eigentlich niemand', oder Abschied zu nehmen: 'Wir haben eben verloren, deshalb reden wir nicht mehr miteinander.'"
Ein Mensch werde zum Menschen, weil er Verantwortung übernimmt, sagt Ilse Junkermann - und (eben) nicht nur willenloses Werkzeug anderer ist. Und es zähle auch für sie der urbiblische Gedanke, dass Geschichte vor uns liegt, und nicht nur hinter uns.