Versrhythmus mit abrupten Kehrtwenden

Trotz seiner Verankerung in der romanischen Gedichttradition, setzte sich der französische Poet Georges Perros stets für sein Ideal einer Bildung jenseits des Kanons ein. Mit "Luftschnappen war sein Beruf" stellt er nicht nur seinen lyrischen Werdegang vor.
Der Band ist eine herrliche Begegnung mit Georges Perros, der eigentlich Georges Poulot hieß, 1923 als Sohn eines Versicherungsangestellten in Paris geboren wurde und bis zu seinem Tod 1978 an der windigen Küste der Bretagne zu Hause war.

Allein deshalb wundert man sich nicht weiter über die viele Luft, die in den Versen seines "Gedichtromans" immer wieder herum pfeift. Der 1964 entstandene Band ist ein ungewöhnlicher Lebensabriss des Lyrikers und präsentiert in abwechselnd hohem und kolloquialem Ton mit bildhaften Wortschöpfungen die Stationen seines Werdegangs.

Kein Komma, kein Semikolon trennt die Wortketten, die auf den Leser einprasseln. Da gibt es das "Lebensnu" oder eine "milchigblasse Geste", "Redeknäule", statt der Mitmenschen tauchen "Ohnemenschen" auf, außerdem "Verzweifelungsalarmknöpfe", "Herzruder" oder "Genusswelpen" – Gelüste, die das Ich nachts mit Knochen bei Laune halten muss.

"Nur wenn man rückwärts atmet
gräbt das Unglück seine Grube"
,

heißt es einmal.
Dass Perros auch auf Deutsch eine so große Wirkung entfaltet, ist der Schriftstellerin Anne Weber zu verdanken.

Während des Krieges lebte Perros mit seinen Eltern in Reims und den Vogesen, nach einem Intermezzo als Theaterschauspieler ging er in den fünfziger Jahren mit seiner Frau in die Hafenstadt Douarnenez.

Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Seminaren in der Literaturabteilung der Universität von Brest, die er "Kurse in Unwissenheit" nannte. Das passt zu seinem auch in den Gedichten beschworenen Ideal einer Bildung jenseits des Kanons. Das heißt: Weg mit dem Larousse, Schluss mit dem Auswendiglernen, lieber auf die Sprache und ihre Klänge geachtet, denn das erst befähigt zur Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Natürlich ist Perros dennoch fest in der romanischen Lyriktradition verankert. Man erkennt eine Art Pendelbewegung. Wie einen Gummiball lässt er sein lyrisches Ich zwischen Hochkultur und Anekdote hin und her springen, zwischen deftigem Witz und literarischer Anspielung.

Perros kultiviert zwar einen spontanistischen Gestus, aber er kennt seine Klassiker. Dass er sich immer wieder vom Rhythmus der Sprache tragen lässt, erinnert an die écriture automatiqu der Surrealisten. Er tritt sogar in einen Dialog mit seiner eigenen Schreibweise:

"Wohin geht’s denn heute?
Mein Vers ist Hase ist Schildkröte
Hier Frettchen dort Schnecke
er läuft und rutscht oft aus
denn Leben ist Bananenschale
und gelangt vorwärts nach
eigenem schlendernden Belieben"


In den letzten Kapiteln des Langgedichts erzählt er von seiner Liebesgeschichte mit Tania, den Kindern, den Motorradfahrten an der Küste und den Abenden im Bistro.
Die Provinz bot ihm mehr als das mondäne Paris.

So wie sein Versrhythmus von abrupten Kehrtwendungen zeugt, schlug er auch im wirklichen Leben immer wieder Haken und lief lieber in die Gegenrichtung davon.
Das "Zukunftsmeer des Nichts" war belebend, denn Dichtung sollte ein Naturereignis sein, ein Windstoß, von dem man erfasst wird.

Besprochen von Maike Albath

Georges Perros: "Luftschnappen war sein Beruf. Gedichtroman"
Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Anne Weber, Matthes & Seitz Berlin 2012, 161 Seiten, 22,90 Euro