Versteinert: Wagner
In Leipzig erblickte er das Licht der Welt, in Dresden wirkte er als Kapellmeister - wenig verwunderlich also die vielen Wagner-Denkmäler in Sachsen. Wie ist das mit Richard Wagner, seinen steinernen Zeugnissen und den Geschichten dazu?
[Musik aus "Lohengrin": Ouvertüre]
Wild jagen die Wasser der Wesenitz durch den urwüchsigen Liebethaler Grund. Das tief eingeschnittene Tal bei Pirna hat etwas Mystisches. Ein Ort für Richard Wagner.
Hier, an der Lochmühle, einem verlassenen Ausflugslokal, soll der Meister so manches Glas geleert haben. Im Sommer 1846, auf dem Freisitz, der damalige Dresdner Hofkapellmeister. Weit weg vom Großstadttrubel. Im nahegelegenen Graupa komponierte er den "Lohengrin". Also wurde der Meister als Gralsritter zwischen Felsen und Bäumen stehend verewigt. Der Sachse schaut eben gerne zu jemandem auf. Erhöhung ist ihm ein Wesenszug. Also ist der Sandsteinsockel schon beachtliche acht Meter hoch. Die nächsten vier Meter gen Himmel sind dem Meister vorbehalten. Richard Wagner. Dabei war er nur 1,52 Meter groß, sagen die einen, andere geben seine Größe mit 1,665 Meter an.
Vielleicht klärt die Jahreszahl die Größe: 1933. Zu seinem 120. Geburtstag wurde die Bronzestatue von Richard Guhr hier aufgestellt. Eigentlich sollte sie ja 20 Jahre früher in den Dresdner Großen Garten. Aber, aber: Der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise und wohl auch der Groll mancher Dresdner verhinderten das. Die Residenzstädter hatten ihm nie so richtig verziehen, dass er 1848 führend am Aufstand gegen die Monarchie beteiligt war. Immerhin: Es war das erste Denkmal für Richard Wagner in Sachsen. Und bis heute ist es das größte Wagner-Denkmal der Welt.
[Musik aus "Lohengrin"]
Aber steht es auch am richtigen Ort? Genau am richtigen Ort, findet Thomas Krakow. "Nur" gebürtiger Sachsen-Anhaltiner, aber Vorsitzender des Richard-Wagner-Verbandes Leipzig und Vizepräsident des Internationalen Dachverbandes der 143 Wagner-Vereine weltweit mit über 25.000 Mitgliedern. Ja, am richtigen Ort, denn Richard war Ursachse:
"Wenn wir ihn hätten sprechen hören, wüssten wir sofort, dass er ein Sachse mit Leipziger Mundartprägung war. Wagner soll nie Hochdeutsch gekonnt haben, immer Sächsisch gesprochen. Und wenn er aufgeregt war, erregt war, böse war, dann muss das in ein Sprudeln übergegangen sein, das viele seiner Zeitgenossen dann nicht mehr verstanden haben. So schwer soll er ins Sächsische verfallen sein. Aus meiner Sicht macht ihn das sympathisch."
So sympathisch, dass "Richie" – wie Krakow ihn manchmal nennt – für ihn zum Full-Time-Job geworden ist. In seiner Wahlheimat Leipzig ist der Afrikanist und Historiker im Auftrag der Stadt dabei, seinem Idol einen Wagner würdigen 200. Geburtstag auszurichten.
"Richard ist Leipziger" wird dem Messestädter auf Schritt und Tritt mitgeteilt. Da ist er zu lesen und da und dort auch. Der Spruch stammt von Krakow:
"Richard ist Leipziger" ist eigentlich schon Programm, dass Richard vom Sockel runtergehört unter die Menschen, wo er auch immer war. Wagner ist für mich einer der zutiefst menschlichen, auch in seinem Fehlen, in seiner Fehlbarkeit, einer der zutiefst menschlichen Komponisten, die wir hatten. Der lebte nicht in irgendwelchen Wolkenkuckucksheimen. Der hatte eine Vision. Für die hat er gekämpft und die hat er am Ende auch durchgesetzt. Das ist ja das Erstaunliche. Mit welchen Mitteln, das ist dann noch eine andere Frage. Aber er hat wirklich Zeit seines Lebens diese Vision verfolgt und hat am Ende etwas geschaffen, was auch kein anderer Komponist geschaffen hat."
… und das nicht zuletzt dank der Eigenschaften, die ihm die Handelsstadt mit in die Wiege gelegt hat: Verkaufen, um zu überleben. Bei Wagner hieß das: Er hatte – zumindest bis zum 51. Lebensjahr - nie genug Geld und niemanden, der ihm die Türen öffnete. Aber:
"Der Sachse ist vigilant, also umtriebig, in jeder Weise immer unterwegs, was zu machen, zu organisieren, zu leisten. Für mich ist Wagner das erste ganz große Selbstvermarktungsgenie und dieses unentwegte Reden über sich selbst, was auch Menschen auf die Nerven gegangen ist, es hat sich eingeprägt. Auch wenn man dann über Wagner gelästert hat, auch wenn er der meistkarikierte Komponist schon zu Lebzeiten gewesen is. Aber man sprach über ihn, man rieb sich an ihm. Wagner war Thema und seine Musik auch."
[Musik aus "Tannhäuser"]
Mag sein, mag sein – aus sächsischer Sicht, von heute aus betrachtet. Nur der Betroffene hatte es zu Lebzeiten schwer, sehr schwer, jedenfalls hierorts. Er schrieb in Leipzig Sinfonien und Opern, aber bei der Ton angebenden konservativen Musikszene der Pleißestadt kam das nicht so richtig an.
[Musik aus "Tannhäuser"]
Thomas Krakow: "Er eilte eigentlich seiner Zeit in dem Musikgeschmack Leipzigs voraus, wollte die Oper reformieren, weg von diesen Nummernstücken italienisch-französischer Prägung, auch ein Stück hin zur deutschen Oper, denn er war ja durchaus auch dem, was Carl Maria von Weber in Dresden bewerkstelligte, begegnet. Dafür war Leipzig garantiert nicht der richtige Ort. Dass er sich da nicht sehr positiv äußerte und die Leipziger nicht gerade Gefallen an ihm, seinem Werk, seinen Äußerungen fanden, hat diese Missstimmung, dieses Missverhältnis zwischen ihm und seiner Vaterstadt, Geburtsstadt begründet."
Regelrecht zerrüttet soll das Verhältnis gewesen sein. Und es dauerte lange an. Erst 1853 kam der Tannhäuser, 1854 der Lohengrin hierorts zur Aufführung. Aber beide so schlecht und durch Streichungen verhunzt, dass der Schöpfer es vorgezogen hätte, sie wären dort gar nicht gespielt worden. 1869 strahlte endlich der Erfolg in deutschen Landen und in Europa auch in seine Geburtsstadt aus … und Wagner wurde nun gespielt, wie er es wollte.
[Musik aus "Tannhäuser"]
Zwar versöhnte man sich irgendwann irgendwie mit dem eigenwilligen Sohn der Stadt. Aber die Anläufe, ihn sichtbar zu würdigen, standen unter keinem guten Stern. Immerhin, 1913 stand man schon mal kurz davor.
Am Goerdelerring kann man zumindest die Treppe hinaufgehen, die zum fünf Meter hohen Marmor-Wagner von Max Klinger führen sollte und den Sockel bewundern. Auf ihm die Rheintöchter, Mime und Siegfried und Kundry und Parsifal. Sie symbolisieren Musik, Dichtung und Schauspiel, die Wagner in seinem Werk vereint hat. Aber fast hätten weder Treppe noch der drei Meter hohe Block hier gestanden.
Thomas Krakow: "Der Weg dorthin ist schwierig gewesen. Mal fehlte das Geld. Mal die notwendige Begeisterung. Mal war Klinger dann natürlich – weil er nicht kontinuierlich arbeiten konnte – mit ganz anderen Dingen beschäftigt und das blieb liegen. Und erst in der Endphase hatte das so richtig Schwung aufgenommen, aber die Zeiten waren schwierig und der Marmor musste aus Laas im Vinschgau in Südtirol kommen und der erste Block, den er hatte, war leider schadhaft, weil da 'ne Ader durchging. Also musste ein neuer gebrochen, wieder punktiert werden, und man hat dann einfach eine Grundsteinlegung 1913 gemacht."
Wieder verhinderten Erster Weltkrieg und Finanzkrise den Fortgang des Projektes und Klinger selbst starb 1920. Wer sollte sein Denkmal nun vollenden?
Thomas Krakow: "Die Schüler Max Klingers sind dann tatsächlich nach Südtirol gefahren, haben diesen punktierten Block auch bearbeitet. So roh, wie er jetzt dasteht. Also er müsste eigentlich noch fein geschliffen werden, wenn man es mal so nennen möchte, und 1924 nach Leipzig geholt. Und dann passierte eben das Eigenartige, dass man nicht mehr Wagner damit ehrte, sondern Max Klinger damit ehrte."
Das jedoch geschah im Klingerhain in dessen Villa im Westen der Stadt, und den Ursprung vergaßen die Nachgeborenen irgendwann.
Thomas Krakow: "Ja, und der Leipziger Volksmund ist immer ganz schnell mit Spitznamen und da man immer an den drei nackten Grazien vorbeiging, hieß das bei den Leipzigern auf einmal "Pornowürfel" und keiner wusste mehr, worum es hier eigentlich ging."
Auch am Denkmal-Standort erinnerte irgendwann nichts mehr an das geplante Monument.
Thomas Krakow: "Die Treppenanlage ist in den 70er-Jahren abgebaut und eingelagert worden, als entschieden worden war, dass genau hier an der Ursprungsstelle der Stadt Leipzig ein großer Erweiterungsbau der Bezirkszentrale des Ministeriums für Staatssicherheit im damaligen Bezirk Leipzig errichtet wurde und das hat man auch bis 1988 getan und den Durchgang runter an die Promenade auch mit einer großen Mauer verschlossen."
Thomas Krakow: "1991, als viele Verantwortlichkeiten wechselten und viele auch nicht mehr wussten, mit welchen Materialien sie umgingen, ist diese Treppenanlage aus dem Lager, in dem sie sich befand, auf eine Müllhalde in Leipzig gekarrt worden, was dann zufällig wieder einer interessierten Mitarbeiterin im Grünflächenamt zu Ohren kam, die dann mit Kollegen und einem Kleinbus dorthin gefahren ist und alles schnell wieder von der Müllhalde runtergesammelt hat."
Vor drei Jahren schließlich wurde alles wieder hingebaut, verschwindet aber optisch vor dem vierstöckigen riesigen Plattenbau. Im Mai soll sich das ändern, denn dann soll hier tatsächlich ein Ganzkörper-Wagner eingeweiht und damit das Projekt nach nur 100 Jahren doch noch vollendet werden.
Dieses Glück sollte dem Richard-Wagner-Hain in Leipzig nicht beschieden sein:
Thomas Krakow: "Hier sind die Aussparungen schon, wo die Reliefs rein sollten mit den Szenen aus Wagneropern in dieser Trockenmauer. Das ist auch der Rest, der geblieben ist. Einen Teil hat man nach dem Krieg abgebaut und als Baumaterial für die Deutsche Hochschule für Körperkultur beziehungsweise das Schwimmstadion verwendet."
Die Idee dazu war in den 20er-Jahren entstanden, die Uferzone des Elsterflutbeckens sollte ein Thema erhalten. Das fiel mit den Überlegungen der Wagner-Ehrungen zu dessen 50. Todestag und 125. Geburtstag zusammen. An dem Gestaltungswettbewerb beteiligten sich 654 Künstler. Ausgewählt wurde der Entwurf von Emil Hipp. Der Stuttgarter Bildhauer wollte den Genius sowie das Mystische und Mythologische aus Wagners Werk verewigen. Nicht Wagner selbst, sondern die emotionale Ausstrahlung sollte wirken. Ursprünglich war nur ein Hauptblock geplant, zehn Meter lang und vier Meter 50 hoch. Dann kam Hitler, wollte dazu noch 19 Reliefs, einen Rheintöchterbrunnen und eine Siegfried-Figur. Das ganze bis zum 125. Geburtstag Wagners 1938.
Thomas Krakow: "Da haben sich die Gestaltungswünsche etwas verändert. Man wollte Hipp dazu drängen, dass er aus den Tauben auf seinen Reliefdarstellungen vor allem auf dem Hauptblock dann Adler macht und dass Runen eingebracht werden, natürlich auch das Hakenkreuz. Dagegen hat er sich vehement verwahrt und sich geweigert und hat auch keines dieser Symbole in die Reliefdarstellungen eingebracht, was dann dazu führte, dass man in Leipzig Angst bekam vor diesem Denkmal. Und der Oberbürgermeister Dr. Freiberg, der ab Ende 1937 dann im Amt war, ein extrem strammer Nazi, der sich dann 1945 auch das Leben genommen hat, als amerikanische Truppen die Stadt einnahmen, ist nach Kiefersfelden gereist, wo sich das Atelier von Emil Hipp befand und war völlig geschockt von dem, was der dort machte und es soll den Ausspruch von ihm gegeben haben: Der Führer steckt uns alle ins KZ, wenn wir dieses Denkmal hier aufstellen. Woraufhin er dann sofort Notrufe nach Berlin sandte und dann eine Kommission nach Kiefersfelden reiste und das Gespräch suchte mit Emil Hipp beziehungsweise auch in Augenschein nahm, was er bisher so geschaffen hatte und dann auch beruhigte, so nach dem Motto: Na ja, er hat zwar nicht verstanden, was wir in dieser Zeit wollen, aber Schaden richtet er auch keinen an."
Die Stadt bezahlte weiter. Aber …
Thomas Krakow: "Je mehr diese größenwahnsinnigen Baupläne für Berlin und das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg Gestalt annahmen, umso mehr Marmorbedarf war dort auch. Und Hipp hat unregelmäßig Marmor bekommen, hat andere Aufträge angenommen, so dass das ins Stocken geriet und immer mehr auf die lange Bahn geschoben wurde. Und wenn der Marmor da war, war vielleicht der Künstler gerade nicht verfügbar, weil er gerade etwas anderes zu Ende bringen musste."
Als schließlich Hipp bis auf die Marmorschale alles fertig hatte, da fiel Leipzig Stein um Stein zusammen. Sommer 1944 – auf dem Bahnhof in Kiefersfelden fertiger Marmor, in Leipzig Bombeneinschläge und Zerstörung. Keine Zeiten für Denkmale. Keine Transportmittel und keine sicheren Transportwege.
Thomas Krakow: "Und die erste Anfrage des Bildhauers, wann denn nun die Materialien abgenommen werden, 1945, sind dann aus der von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzten Administration damit beantwortet worden: Wir wollen ihr Nazizeug nicht haben. Wenn Sie Ihre Auftraggeber suchen, dann wenden Sie sich doch an das Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg. Dort sind die zu finden. Was also – jetzt ehrlich mal gesagt – jeglicher sachlicher Grundlage entbehrte. Denn der Auftraggeber war die Stadt Leipzig mit einem Oberbürgermeister Goerdeler, der kein Mitglied der NSDAP gewesen ist."
Und 1945 in Berlin-Plötzensee von den Nazis hingerichtet worden, weil er maßgeblich am Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Von Hipps Werken ist bis heute keines in Leipzig. Thomas Krakow hat sich auf die Suche gemacht und 2008 die meisten Teile des Denkmals gefunden. Der Freistaat Bayern hat alles unter Denkmalschutz gestellt und vor der weiteren Zerstörung gerettet. In den 70er-Jahren hatte man begonnen, das Werk zu zersägen. Die Marmor-Industrie Kiefer AG hatte schon einige Teile unter anderem als Fensterbänke verkauft, um die Lagerkosten zu decken.
[Musik aus "Götterdämmerung": Siegfrieds Tod]
Die Stücke wurden verkauft und stehen heute auf privaten Grundstücken - in Gärten, sind in Gartenmauern eingebaut, in einem Verwaltungsgebäude. Auch die Stadt Bayreuth hat sich 1976 zum 100. Jubiläum seiner Festspiele zwei Tafeln gekauft und in die Stadtmauer eingebaut: Die Reliefs "Hagen tötet Siegfried" und "Der fliegende Holländer". Dies ist auch der einzige Ort, wo auf das ursprünglich geplante Leipziger Hipp-Denkmal hingewiesen wird.
Und was ist aus dem Leipziger Areal dies- und jenseits vom Elsterflutbecken geworden?
Thomas Krakow: "Die Trockenmauer ging hier entlang. Auch hier ist sie dann abgebaut worden, in den 50er-Jahren abgetragen worden, um dann einen Damm entstehen zu lassen für die in den 50er-Jahren errichtete Hochschule für Körperkultur. Aber das Gelände an sich ist teilweise auch noch mit dem Baum- und Strauchwerk, so wie das Gustav Allinger als Gartenarchitekt hier angelegt hat, noch erhalten."
Allinger, der auch den Grünen Hügel in Bayreuth geschaffen hat. In Leipzig dagegen stehen von einer Gartenhalle nur noch die Säulen. Auf der gegenüberliegenden Uferseite sind Anlagen des Springbrunnens zu sehen, der seit Jahren defekt ist. Dahinter die Säulen der Pergola, die in den 90er-Jahren komplett wieder hergestellt wurden. Aber die Holzauflagen sind längst verrottet und aus Sicherheitsgründen wieder abgenommen worden.
Dennoch: Leipzig ist nicht ganz wagnerlos. Am Schwanenteich hinter der Oper wird der Suchende fündig. Eine Büste von Max Klinger.
Thomas Krakow: "Man soll’s nicht glauben. Zu DDR-Zeiten hat man einfach mal kurz einen Beschluss gefasst und hat hier einen Wagner aufgestellt. Zum 100. Todestag 1983. Man wollte doch nicht alles Bayreuth überlassen und die Musikwissenschaft hat sich da wirklich ins Zeug gelegt und konnte auch bei den zuständigen Gremien – so was musste ja immer auch von den Partei- und Staatsfunktionären abgesegnet werden – dann auch durchsetzen, dass hier eine große musikwissenschaftliche Konferenz in Leipzig stattfand, sogar aus der DDR Ausgereiste wie Martin Gregor Dellin eingeladen werden durften, der ja doch eine richtungweisende Wagnerbiografie in den 70er-Jahren geschrieben hatte. Und man hat sich Verbündete gesucht. Der damalige Gewandhauskapellmeister Kurt Masur hatte Einfluss. Es war ja auch möglich, ein neues Gewandhaus zu bauen. Und mit seiner Unterstützung hat man tatsächlich geschafft, dass ein Bronzeabguss einer Wagnerbüste von Max Klinger, die 1904 auf der Weltausstellung in Sankt Louis im deutschen Musikpavillon 'Leipzig-Zimmer', so was gab es damals, gezeigt wurde, dann hier neugegossen wurde und aufgestellt wurde. Und seit dem 13. Februar 1983 besitzt Leipzig tatsächlich ein Richard-Wagner-Denkmal."
[Musik aus "Der fliegende Holländer": Seemannschor]
Thomas Krakow: "Man kann nun nicht sagen, dass die DDR unbedingt ausgesprochen Wagner-affin war. Aber Wagner ist die gesamte Zeit über sehr sehr viel gespielt worden … und das ist schon erstaunlich, was passiert ist. Die Regisseure konnten sich da doch relativ frei bewegen in der Auswahl ihrer Stücke und auch in der Gestaltung und … meistens mangelte es dann eher an den notwendigen Sängern, die man dazu brauchte, als an dem Willen oder auch dem Riegel, den jemand davor geschoben hatte. Und die theoretische Auseinandersetzung begann eigentlich in jener Zeit."
… und war begleitet von rund 6.150 Wagner-Aufführungen in 309 Inszenierungen auf unzähligen Bühnen sowie Schallplattenproduktionen, Rundfunkaufnahmen und sogar der Verfilmung des "Fliegenden Holländers". Aber ganz ohne Bauchschmerzen war die Entscheidung über den Standort der Büste denn wohl doch nicht verlaufen. Sie steht auf der falschen Seite der Promenade, wo kaum Leute vorbeiflanieren und sie von Besuchern der Stadt schon gar nicht wahrgenommen wird. Vielleicht steht die Büste aus einem anderen guten Grund auf dieser Seite: Immerhin befand sich hier früher das Neue Theater, wo 1878 der "Ring des Nibelungen" erfolgreich und erstmals außerhalb Bayreuths aufgeführt worden war. Trotzdem wäre er nicht versteckt hinter der Oper, sondern stattdessen auf dem Augustusplatz davor besser aufgehoben? Zumal gegenüber im Gewandhaus ein Denkmal für dessen einstigen Kapellmeister Felix Mendelssohn-Bartholdy steht.
Thomas Krakow: "Also gerade auch aufgrund der nicht ganz unproblematischen Situation um Wagner und Mendelssohn fände ich es also durchaus reizend, wenn sie beide vor ihren jeweiligen Häusern stehen würden. Das ist ein Aspekt auch an seiner Biografie, der durchaus weiter und in dem Falle sogar bildlich diskutiert werden könnte."
Mit seinen Angriffen auf Mendelssohn hatte sich Wagner 1850 in seinem berüchtigten Artikel "Das Judenthum in der Musik" als Antisemit geoutet und damit die Leipziger noch mehr gegen sich aufgebracht. Gerade um all diese Wunden zu schließen und zu einem kritischen, aber entspannteren Verhältnis zu finden, plädiert Krakow für eine sachliche Auseinandersetzung und will Wagner wieder ins Bewusstsein der Leipziger zurückholen. Aber nicht unbedingt auf einen Sockel. Die Dauerausstellung, die am 21. Mai in der Alten Nikolai-Schule, zu deren Schülern Wagner gehört hatte, eröffnet wird, ist daher längst überfällig, sagt er. Eigentlich hat auch Wagner wie die anderen großen Musiker der Stadt ein Komponistenhaus verdient. Natürlich hat Krakow nichts gegen ein Denkmal, aber:
"Sein größtes Denkmal ist das Festspielhaus in Bayreuth und das hat er sich selbst gesetzt."
[Musik aus "Die Meistersinger von Nürnberg"]
Wild jagen die Wasser der Wesenitz durch den urwüchsigen Liebethaler Grund. Das tief eingeschnittene Tal bei Pirna hat etwas Mystisches. Ein Ort für Richard Wagner.
Hier, an der Lochmühle, einem verlassenen Ausflugslokal, soll der Meister so manches Glas geleert haben. Im Sommer 1846, auf dem Freisitz, der damalige Dresdner Hofkapellmeister. Weit weg vom Großstadttrubel. Im nahegelegenen Graupa komponierte er den "Lohengrin". Also wurde der Meister als Gralsritter zwischen Felsen und Bäumen stehend verewigt. Der Sachse schaut eben gerne zu jemandem auf. Erhöhung ist ihm ein Wesenszug. Also ist der Sandsteinsockel schon beachtliche acht Meter hoch. Die nächsten vier Meter gen Himmel sind dem Meister vorbehalten. Richard Wagner. Dabei war er nur 1,52 Meter groß, sagen die einen, andere geben seine Größe mit 1,665 Meter an.
Vielleicht klärt die Jahreszahl die Größe: 1933. Zu seinem 120. Geburtstag wurde die Bronzestatue von Richard Guhr hier aufgestellt. Eigentlich sollte sie ja 20 Jahre früher in den Dresdner Großen Garten. Aber, aber: Der Erste Weltkrieg und die Wirtschaftskrise und wohl auch der Groll mancher Dresdner verhinderten das. Die Residenzstädter hatten ihm nie so richtig verziehen, dass er 1848 führend am Aufstand gegen die Monarchie beteiligt war. Immerhin: Es war das erste Denkmal für Richard Wagner in Sachsen. Und bis heute ist es das größte Wagner-Denkmal der Welt.
[Musik aus "Lohengrin"]
Aber steht es auch am richtigen Ort? Genau am richtigen Ort, findet Thomas Krakow. "Nur" gebürtiger Sachsen-Anhaltiner, aber Vorsitzender des Richard-Wagner-Verbandes Leipzig und Vizepräsident des Internationalen Dachverbandes der 143 Wagner-Vereine weltweit mit über 25.000 Mitgliedern. Ja, am richtigen Ort, denn Richard war Ursachse:
"Wenn wir ihn hätten sprechen hören, wüssten wir sofort, dass er ein Sachse mit Leipziger Mundartprägung war. Wagner soll nie Hochdeutsch gekonnt haben, immer Sächsisch gesprochen. Und wenn er aufgeregt war, erregt war, böse war, dann muss das in ein Sprudeln übergegangen sein, das viele seiner Zeitgenossen dann nicht mehr verstanden haben. So schwer soll er ins Sächsische verfallen sein. Aus meiner Sicht macht ihn das sympathisch."
So sympathisch, dass "Richie" – wie Krakow ihn manchmal nennt – für ihn zum Full-Time-Job geworden ist. In seiner Wahlheimat Leipzig ist der Afrikanist und Historiker im Auftrag der Stadt dabei, seinem Idol einen Wagner würdigen 200. Geburtstag auszurichten.
"Richard ist Leipziger" wird dem Messestädter auf Schritt und Tritt mitgeteilt. Da ist er zu lesen und da und dort auch. Der Spruch stammt von Krakow:
"Richard ist Leipziger" ist eigentlich schon Programm, dass Richard vom Sockel runtergehört unter die Menschen, wo er auch immer war. Wagner ist für mich einer der zutiefst menschlichen, auch in seinem Fehlen, in seiner Fehlbarkeit, einer der zutiefst menschlichen Komponisten, die wir hatten. Der lebte nicht in irgendwelchen Wolkenkuckucksheimen. Der hatte eine Vision. Für die hat er gekämpft und die hat er am Ende auch durchgesetzt. Das ist ja das Erstaunliche. Mit welchen Mitteln, das ist dann noch eine andere Frage. Aber er hat wirklich Zeit seines Lebens diese Vision verfolgt und hat am Ende etwas geschaffen, was auch kein anderer Komponist geschaffen hat."
… und das nicht zuletzt dank der Eigenschaften, die ihm die Handelsstadt mit in die Wiege gelegt hat: Verkaufen, um zu überleben. Bei Wagner hieß das: Er hatte – zumindest bis zum 51. Lebensjahr - nie genug Geld und niemanden, der ihm die Türen öffnete. Aber:
"Der Sachse ist vigilant, also umtriebig, in jeder Weise immer unterwegs, was zu machen, zu organisieren, zu leisten. Für mich ist Wagner das erste ganz große Selbstvermarktungsgenie und dieses unentwegte Reden über sich selbst, was auch Menschen auf die Nerven gegangen ist, es hat sich eingeprägt. Auch wenn man dann über Wagner gelästert hat, auch wenn er der meistkarikierte Komponist schon zu Lebzeiten gewesen is. Aber man sprach über ihn, man rieb sich an ihm. Wagner war Thema und seine Musik auch."
[Musik aus "Tannhäuser"]
Mag sein, mag sein – aus sächsischer Sicht, von heute aus betrachtet. Nur der Betroffene hatte es zu Lebzeiten schwer, sehr schwer, jedenfalls hierorts. Er schrieb in Leipzig Sinfonien und Opern, aber bei der Ton angebenden konservativen Musikszene der Pleißestadt kam das nicht so richtig an.
[Musik aus "Tannhäuser"]
Thomas Krakow: "Er eilte eigentlich seiner Zeit in dem Musikgeschmack Leipzigs voraus, wollte die Oper reformieren, weg von diesen Nummernstücken italienisch-französischer Prägung, auch ein Stück hin zur deutschen Oper, denn er war ja durchaus auch dem, was Carl Maria von Weber in Dresden bewerkstelligte, begegnet. Dafür war Leipzig garantiert nicht der richtige Ort. Dass er sich da nicht sehr positiv äußerte und die Leipziger nicht gerade Gefallen an ihm, seinem Werk, seinen Äußerungen fanden, hat diese Missstimmung, dieses Missverhältnis zwischen ihm und seiner Vaterstadt, Geburtsstadt begründet."
Regelrecht zerrüttet soll das Verhältnis gewesen sein. Und es dauerte lange an. Erst 1853 kam der Tannhäuser, 1854 der Lohengrin hierorts zur Aufführung. Aber beide so schlecht und durch Streichungen verhunzt, dass der Schöpfer es vorgezogen hätte, sie wären dort gar nicht gespielt worden. 1869 strahlte endlich der Erfolg in deutschen Landen und in Europa auch in seine Geburtsstadt aus … und Wagner wurde nun gespielt, wie er es wollte.
[Musik aus "Tannhäuser"]
Zwar versöhnte man sich irgendwann irgendwie mit dem eigenwilligen Sohn der Stadt. Aber die Anläufe, ihn sichtbar zu würdigen, standen unter keinem guten Stern. Immerhin, 1913 stand man schon mal kurz davor.
Am Goerdelerring kann man zumindest die Treppe hinaufgehen, die zum fünf Meter hohen Marmor-Wagner von Max Klinger führen sollte und den Sockel bewundern. Auf ihm die Rheintöchter, Mime und Siegfried und Kundry und Parsifal. Sie symbolisieren Musik, Dichtung und Schauspiel, die Wagner in seinem Werk vereint hat. Aber fast hätten weder Treppe noch der drei Meter hohe Block hier gestanden.
Thomas Krakow: "Der Weg dorthin ist schwierig gewesen. Mal fehlte das Geld. Mal die notwendige Begeisterung. Mal war Klinger dann natürlich – weil er nicht kontinuierlich arbeiten konnte – mit ganz anderen Dingen beschäftigt und das blieb liegen. Und erst in der Endphase hatte das so richtig Schwung aufgenommen, aber die Zeiten waren schwierig und der Marmor musste aus Laas im Vinschgau in Südtirol kommen und der erste Block, den er hatte, war leider schadhaft, weil da 'ne Ader durchging. Also musste ein neuer gebrochen, wieder punktiert werden, und man hat dann einfach eine Grundsteinlegung 1913 gemacht."
Wieder verhinderten Erster Weltkrieg und Finanzkrise den Fortgang des Projektes und Klinger selbst starb 1920. Wer sollte sein Denkmal nun vollenden?
Thomas Krakow: "Die Schüler Max Klingers sind dann tatsächlich nach Südtirol gefahren, haben diesen punktierten Block auch bearbeitet. So roh, wie er jetzt dasteht. Also er müsste eigentlich noch fein geschliffen werden, wenn man es mal so nennen möchte, und 1924 nach Leipzig geholt. Und dann passierte eben das Eigenartige, dass man nicht mehr Wagner damit ehrte, sondern Max Klinger damit ehrte."
Das jedoch geschah im Klingerhain in dessen Villa im Westen der Stadt, und den Ursprung vergaßen die Nachgeborenen irgendwann.
Thomas Krakow: "Ja, und der Leipziger Volksmund ist immer ganz schnell mit Spitznamen und da man immer an den drei nackten Grazien vorbeiging, hieß das bei den Leipzigern auf einmal "Pornowürfel" und keiner wusste mehr, worum es hier eigentlich ging."
Auch am Denkmal-Standort erinnerte irgendwann nichts mehr an das geplante Monument.
Thomas Krakow: "Die Treppenanlage ist in den 70er-Jahren abgebaut und eingelagert worden, als entschieden worden war, dass genau hier an der Ursprungsstelle der Stadt Leipzig ein großer Erweiterungsbau der Bezirkszentrale des Ministeriums für Staatssicherheit im damaligen Bezirk Leipzig errichtet wurde und das hat man auch bis 1988 getan und den Durchgang runter an die Promenade auch mit einer großen Mauer verschlossen."
Thomas Krakow: "1991, als viele Verantwortlichkeiten wechselten und viele auch nicht mehr wussten, mit welchen Materialien sie umgingen, ist diese Treppenanlage aus dem Lager, in dem sie sich befand, auf eine Müllhalde in Leipzig gekarrt worden, was dann zufällig wieder einer interessierten Mitarbeiterin im Grünflächenamt zu Ohren kam, die dann mit Kollegen und einem Kleinbus dorthin gefahren ist und alles schnell wieder von der Müllhalde runtergesammelt hat."
Vor drei Jahren schließlich wurde alles wieder hingebaut, verschwindet aber optisch vor dem vierstöckigen riesigen Plattenbau. Im Mai soll sich das ändern, denn dann soll hier tatsächlich ein Ganzkörper-Wagner eingeweiht und damit das Projekt nach nur 100 Jahren doch noch vollendet werden.
Dieses Glück sollte dem Richard-Wagner-Hain in Leipzig nicht beschieden sein:
Thomas Krakow: "Hier sind die Aussparungen schon, wo die Reliefs rein sollten mit den Szenen aus Wagneropern in dieser Trockenmauer. Das ist auch der Rest, der geblieben ist. Einen Teil hat man nach dem Krieg abgebaut und als Baumaterial für die Deutsche Hochschule für Körperkultur beziehungsweise das Schwimmstadion verwendet."
Die Idee dazu war in den 20er-Jahren entstanden, die Uferzone des Elsterflutbeckens sollte ein Thema erhalten. Das fiel mit den Überlegungen der Wagner-Ehrungen zu dessen 50. Todestag und 125. Geburtstag zusammen. An dem Gestaltungswettbewerb beteiligten sich 654 Künstler. Ausgewählt wurde der Entwurf von Emil Hipp. Der Stuttgarter Bildhauer wollte den Genius sowie das Mystische und Mythologische aus Wagners Werk verewigen. Nicht Wagner selbst, sondern die emotionale Ausstrahlung sollte wirken. Ursprünglich war nur ein Hauptblock geplant, zehn Meter lang und vier Meter 50 hoch. Dann kam Hitler, wollte dazu noch 19 Reliefs, einen Rheintöchterbrunnen und eine Siegfried-Figur. Das ganze bis zum 125. Geburtstag Wagners 1938.
Thomas Krakow: "Da haben sich die Gestaltungswünsche etwas verändert. Man wollte Hipp dazu drängen, dass er aus den Tauben auf seinen Reliefdarstellungen vor allem auf dem Hauptblock dann Adler macht und dass Runen eingebracht werden, natürlich auch das Hakenkreuz. Dagegen hat er sich vehement verwahrt und sich geweigert und hat auch keines dieser Symbole in die Reliefdarstellungen eingebracht, was dann dazu führte, dass man in Leipzig Angst bekam vor diesem Denkmal. Und der Oberbürgermeister Dr. Freiberg, der ab Ende 1937 dann im Amt war, ein extrem strammer Nazi, der sich dann 1945 auch das Leben genommen hat, als amerikanische Truppen die Stadt einnahmen, ist nach Kiefersfelden gereist, wo sich das Atelier von Emil Hipp befand und war völlig geschockt von dem, was der dort machte und es soll den Ausspruch von ihm gegeben haben: Der Führer steckt uns alle ins KZ, wenn wir dieses Denkmal hier aufstellen. Woraufhin er dann sofort Notrufe nach Berlin sandte und dann eine Kommission nach Kiefersfelden reiste und das Gespräch suchte mit Emil Hipp beziehungsweise auch in Augenschein nahm, was er bisher so geschaffen hatte und dann auch beruhigte, so nach dem Motto: Na ja, er hat zwar nicht verstanden, was wir in dieser Zeit wollen, aber Schaden richtet er auch keinen an."
Die Stadt bezahlte weiter. Aber …
Thomas Krakow: "Je mehr diese größenwahnsinnigen Baupläne für Berlin und das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg Gestalt annahmen, umso mehr Marmorbedarf war dort auch. Und Hipp hat unregelmäßig Marmor bekommen, hat andere Aufträge angenommen, so dass das ins Stocken geriet und immer mehr auf die lange Bahn geschoben wurde. Und wenn der Marmor da war, war vielleicht der Künstler gerade nicht verfügbar, weil er gerade etwas anderes zu Ende bringen musste."
Als schließlich Hipp bis auf die Marmorschale alles fertig hatte, da fiel Leipzig Stein um Stein zusammen. Sommer 1944 – auf dem Bahnhof in Kiefersfelden fertiger Marmor, in Leipzig Bombeneinschläge und Zerstörung. Keine Zeiten für Denkmale. Keine Transportmittel und keine sicheren Transportwege.
Thomas Krakow: "Und die erste Anfrage des Bildhauers, wann denn nun die Materialien abgenommen werden, 1945, sind dann aus der von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzten Administration damit beantwortet worden: Wir wollen ihr Nazizeug nicht haben. Wenn Sie Ihre Auftraggeber suchen, dann wenden Sie sich doch an das Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg. Dort sind die zu finden. Was also – jetzt ehrlich mal gesagt – jeglicher sachlicher Grundlage entbehrte. Denn der Auftraggeber war die Stadt Leipzig mit einem Oberbürgermeister Goerdeler, der kein Mitglied der NSDAP gewesen ist."
Und 1945 in Berlin-Plötzensee von den Nazis hingerichtet worden, weil er maßgeblich am Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Von Hipps Werken ist bis heute keines in Leipzig. Thomas Krakow hat sich auf die Suche gemacht und 2008 die meisten Teile des Denkmals gefunden. Der Freistaat Bayern hat alles unter Denkmalschutz gestellt und vor der weiteren Zerstörung gerettet. In den 70er-Jahren hatte man begonnen, das Werk zu zersägen. Die Marmor-Industrie Kiefer AG hatte schon einige Teile unter anderem als Fensterbänke verkauft, um die Lagerkosten zu decken.
[Musik aus "Götterdämmerung": Siegfrieds Tod]
Die Stücke wurden verkauft und stehen heute auf privaten Grundstücken - in Gärten, sind in Gartenmauern eingebaut, in einem Verwaltungsgebäude. Auch die Stadt Bayreuth hat sich 1976 zum 100. Jubiläum seiner Festspiele zwei Tafeln gekauft und in die Stadtmauer eingebaut: Die Reliefs "Hagen tötet Siegfried" und "Der fliegende Holländer". Dies ist auch der einzige Ort, wo auf das ursprünglich geplante Leipziger Hipp-Denkmal hingewiesen wird.
Und was ist aus dem Leipziger Areal dies- und jenseits vom Elsterflutbecken geworden?
Thomas Krakow: "Die Trockenmauer ging hier entlang. Auch hier ist sie dann abgebaut worden, in den 50er-Jahren abgetragen worden, um dann einen Damm entstehen zu lassen für die in den 50er-Jahren errichtete Hochschule für Körperkultur. Aber das Gelände an sich ist teilweise auch noch mit dem Baum- und Strauchwerk, so wie das Gustav Allinger als Gartenarchitekt hier angelegt hat, noch erhalten."
Allinger, der auch den Grünen Hügel in Bayreuth geschaffen hat. In Leipzig dagegen stehen von einer Gartenhalle nur noch die Säulen. Auf der gegenüberliegenden Uferseite sind Anlagen des Springbrunnens zu sehen, der seit Jahren defekt ist. Dahinter die Säulen der Pergola, die in den 90er-Jahren komplett wieder hergestellt wurden. Aber die Holzauflagen sind längst verrottet und aus Sicherheitsgründen wieder abgenommen worden.
Dennoch: Leipzig ist nicht ganz wagnerlos. Am Schwanenteich hinter der Oper wird der Suchende fündig. Eine Büste von Max Klinger.
Thomas Krakow: "Man soll’s nicht glauben. Zu DDR-Zeiten hat man einfach mal kurz einen Beschluss gefasst und hat hier einen Wagner aufgestellt. Zum 100. Todestag 1983. Man wollte doch nicht alles Bayreuth überlassen und die Musikwissenschaft hat sich da wirklich ins Zeug gelegt und konnte auch bei den zuständigen Gremien – so was musste ja immer auch von den Partei- und Staatsfunktionären abgesegnet werden – dann auch durchsetzen, dass hier eine große musikwissenschaftliche Konferenz in Leipzig stattfand, sogar aus der DDR Ausgereiste wie Martin Gregor Dellin eingeladen werden durften, der ja doch eine richtungweisende Wagnerbiografie in den 70er-Jahren geschrieben hatte. Und man hat sich Verbündete gesucht. Der damalige Gewandhauskapellmeister Kurt Masur hatte Einfluss. Es war ja auch möglich, ein neues Gewandhaus zu bauen. Und mit seiner Unterstützung hat man tatsächlich geschafft, dass ein Bronzeabguss einer Wagnerbüste von Max Klinger, die 1904 auf der Weltausstellung in Sankt Louis im deutschen Musikpavillon 'Leipzig-Zimmer', so was gab es damals, gezeigt wurde, dann hier neugegossen wurde und aufgestellt wurde. Und seit dem 13. Februar 1983 besitzt Leipzig tatsächlich ein Richard-Wagner-Denkmal."
[Musik aus "Der fliegende Holländer": Seemannschor]
Thomas Krakow: "Man kann nun nicht sagen, dass die DDR unbedingt ausgesprochen Wagner-affin war. Aber Wagner ist die gesamte Zeit über sehr sehr viel gespielt worden … und das ist schon erstaunlich, was passiert ist. Die Regisseure konnten sich da doch relativ frei bewegen in der Auswahl ihrer Stücke und auch in der Gestaltung und … meistens mangelte es dann eher an den notwendigen Sängern, die man dazu brauchte, als an dem Willen oder auch dem Riegel, den jemand davor geschoben hatte. Und die theoretische Auseinandersetzung begann eigentlich in jener Zeit."
… und war begleitet von rund 6.150 Wagner-Aufführungen in 309 Inszenierungen auf unzähligen Bühnen sowie Schallplattenproduktionen, Rundfunkaufnahmen und sogar der Verfilmung des "Fliegenden Holländers". Aber ganz ohne Bauchschmerzen war die Entscheidung über den Standort der Büste denn wohl doch nicht verlaufen. Sie steht auf der falschen Seite der Promenade, wo kaum Leute vorbeiflanieren und sie von Besuchern der Stadt schon gar nicht wahrgenommen wird. Vielleicht steht die Büste aus einem anderen guten Grund auf dieser Seite: Immerhin befand sich hier früher das Neue Theater, wo 1878 der "Ring des Nibelungen" erfolgreich und erstmals außerhalb Bayreuths aufgeführt worden war. Trotzdem wäre er nicht versteckt hinter der Oper, sondern stattdessen auf dem Augustusplatz davor besser aufgehoben? Zumal gegenüber im Gewandhaus ein Denkmal für dessen einstigen Kapellmeister Felix Mendelssohn-Bartholdy steht.
Thomas Krakow: "Also gerade auch aufgrund der nicht ganz unproblematischen Situation um Wagner und Mendelssohn fände ich es also durchaus reizend, wenn sie beide vor ihren jeweiligen Häusern stehen würden. Das ist ein Aspekt auch an seiner Biografie, der durchaus weiter und in dem Falle sogar bildlich diskutiert werden könnte."
Mit seinen Angriffen auf Mendelssohn hatte sich Wagner 1850 in seinem berüchtigten Artikel "Das Judenthum in der Musik" als Antisemit geoutet und damit die Leipziger noch mehr gegen sich aufgebracht. Gerade um all diese Wunden zu schließen und zu einem kritischen, aber entspannteren Verhältnis zu finden, plädiert Krakow für eine sachliche Auseinandersetzung und will Wagner wieder ins Bewusstsein der Leipziger zurückholen. Aber nicht unbedingt auf einen Sockel. Die Dauerausstellung, die am 21. Mai in der Alten Nikolai-Schule, zu deren Schülern Wagner gehört hatte, eröffnet wird, ist daher längst überfällig, sagt er. Eigentlich hat auch Wagner wie die anderen großen Musiker der Stadt ein Komponistenhaus verdient. Natürlich hat Krakow nichts gegen ein Denkmal, aber:
"Sein größtes Denkmal ist das Festspielhaus in Bayreuth und das hat er sich selbst gesetzt."
[Musik aus "Die Meistersinger von Nürnberg"]