Verstörende Brüche
Thomas Manns Novelle über die unmoralische Leidenschaft eines alten Schriftstellers für einen Jungen inszeniert Thomas Ostermeier in Rennes mit vielen Brüchen und Ergänzungen. Im Mittelpunkt stehen schließlich die Schwestern des Jungen als eine Art Macbethsche Hexen.
Thomas Ostermeier, der Chef der Berliner Schaubühne, wurde letztes Jahr, als er in Venedig war, mit anderen Regisseuren gebeten, eine kurze Szene zum Thema Todsünden zu erarbeiten. Er hatte die – wegen des Ortes naheliegende - Idee, Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig" für die Bühne zu adaptieren – aber die Probenzeit war nur kurz. Die zehnminütige Aufführung wurde zur Initialzündung, das Thema ausführlicher zu erfassen, nicht nur als Skizze. Jetzt kam "Der Tod in Venedig" unter dem Titel "La mort à Venise/ Kindertotenlieder" heraus – in Rennes, einem europäischen Partner der Schaubühne; die Premiere in Berlin ist für den 12. Januar angekündigt.
Die Bühnenbearbeitung ist eine starke Verkürzung und ein noch stärkerer Kommentar, eine Korrektur. Der Text passt auf sieben Schreibmaschinenseiten, die Aufführung dauert nicht viel länger als fünf Viertelstunden. Die ganze Exposition bleibt weg, auch der Schluss.
Die Verkürzung hat aber nicht nur das Fehlen wichtiger Teile zur Folge, sie ist gleichzeitig eine Konzentration. Wenn auch nicht das Leben und Sterben des berühmten Schriftstellers Gustav von Aschenbach erzählt wird, bleibt doch der wesentliche Ausschnitt: die Verwandlung eines Künstlers, der anfangs, ganz apollinisch, sich dem Tag zuwendet, dem Gesetz, der Zucht, und am Ende sich in einen Knaben, in den 14-jährigen Tadzio, verliebt, im Dionysischen landet, im Nächtlichen, Dämonischen, im zerstörerischen Rausch.
Schließlich überschreitet Ostermeier die Grenzen der Novelle und verwandelt seine Bühnenfassung in eine Collage, in der er die Inkohärenz betont. Am verblüffendsten ist die vorletzte Szene. Tadzio hat drei Schwestern; die lustigen Teenager werden streng zu jungen Damen erzogen. Sie rückt Ostermeier statt Tadzios plötzlich in den Mittelpunkt. Im vorletzten Bild verwandeln sie sich in drei Hexen, die an "Macbeth" erinnern. Ihr wilder Tanz (Choreographie: Mikel Aristegui) hat zur Folge, das schwarze Fetzen vom Himmel regnen, Fallout. Das Geräusch aus den Lautsprechern klingt wie Geigerzählerklicken – die (zu) lange Tanzszene beschreibt eine Apokalypse, offenbar setzen Atombomben dem Leben der Menschheit ein Ende.
Dieses Aufbrechen der Erzählung, die Fortführung und der Kommentar wirken provozierend, als sage Ostermeier, Thomas Mann habe in seiner Novelle den Schwerpunkt falsch gesetzt. Es komme nicht darauf an, Verständnis für Aschenbach und seine Leidenschaft für den kindlichen Knaben zu wecken, sondern die sexuelle Unterdrückung von Tadzios Schwestern in den Mittelpunkt zu rücken und zu problematisieren. Diese sexuelle Unterdrückung könne nämliche zerstörerische Folgen nach sich ziehen.
Das Ende gehört noch einmal Josef Bierbichler, der Gustav von Aschenbach spielt – sein in sich gekehrter Gesang einiger Kindertotenlieder von Gustav Mahler ist Ausdruck tiefer Resignation, Schwermut, Melancholie. Als leide Aschenbach nicht nur unter seiner unerfüllten Leidenschaft, sondern auch darunter, dass die großen Probleme, die über unser aller Wohl und Wehe entscheiden, außerhalb der Reichweite der Kunst und der Künstler liegen.
Die Inszenierung ist wegen der vielen Brüche verstörend, aber im Grunde wenig anders als andere Dekonstruktionen, die Regisseure seit Jahren auf die Bühne bringen. Hier ist sie nur klarer, unterbricht grob Fabelstränge, setzt geradezu ruppig Behauptungen des Regisseurs und des Autors nebeneinander. Die Inszenierung fordert heraus – Stellung zu nehmen, für oder gegen Thomas Mann, für oder gegen Thomas Ostermeier.
Vielleicht deswegen polarisierte der Abend das Publikum. Neben Bravos waren Buhs unüberhörbar.
Die Bühnenbearbeitung ist eine starke Verkürzung und ein noch stärkerer Kommentar, eine Korrektur. Der Text passt auf sieben Schreibmaschinenseiten, die Aufführung dauert nicht viel länger als fünf Viertelstunden. Die ganze Exposition bleibt weg, auch der Schluss.
Die Verkürzung hat aber nicht nur das Fehlen wichtiger Teile zur Folge, sie ist gleichzeitig eine Konzentration. Wenn auch nicht das Leben und Sterben des berühmten Schriftstellers Gustav von Aschenbach erzählt wird, bleibt doch der wesentliche Ausschnitt: die Verwandlung eines Künstlers, der anfangs, ganz apollinisch, sich dem Tag zuwendet, dem Gesetz, der Zucht, und am Ende sich in einen Knaben, in den 14-jährigen Tadzio, verliebt, im Dionysischen landet, im Nächtlichen, Dämonischen, im zerstörerischen Rausch.
Schließlich überschreitet Ostermeier die Grenzen der Novelle und verwandelt seine Bühnenfassung in eine Collage, in der er die Inkohärenz betont. Am verblüffendsten ist die vorletzte Szene. Tadzio hat drei Schwestern; die lustigen Teenager werden streng zu jungen Damen erzogen. Sie rückt Ostermeier statt Tadzios plötzlich in den Mittelpunkt. Im vorletzten Bild verwandeln sie sich in drei Hexen, die an "Macbeth" erinnern. Ihr wilder Tanz (Choreographie: Mikel Aristegui) hat zur Folge, das schwarze Fetzen vom Himmel regnen, Fallout. Das Geräusch aus den Lautsprechern klingt wie Geigerzählerklicken – die (zu) lange Tanzszene beschreibt eine Apokalypse, offenbar setzen Atombomben dem Leben der Menschheit ein Ende.
Dieses Aufbrechen der Erzählung, die Fortführung und der Kommentar wirken provozierend, als sage Ostermeier, Thomas Mann habe in seiner Novelle den Schwerpunkt falsch gesetzt. Es komme nicht darauf an, Verständnis für Aschenbach und seine Leidenschaft für den kindlichen Knaben zu wecken, sondern die sexuelle Unterdrückung von Tadzios Schwestern in den Mittelpunkt zu rücken und zu problematisieren. Diese sexuelle Unterdrückung könne nämliche zerstörerische Folgen nach sich ziehen.
Das Ende gehört noch einmal Josef Bierbichler, der Gustav von Aschenbach spielt – sein in sich gekehrter Gesang einiger Kindertotenlieder von Gustav Mahler ist Ausdruck tiefer Resignation, Schwermut, Melancholie. Als leide Aschenbach nicht nur unter seiner unerfüllten Leidenschaft, sondern auch darunter, dass die großen Probleme, die über unser aller Wohl und Wehe entscheiden, außerhalb der Reichweite der Kunst und der Künstler liegen.
Die Inszenierung ist wegen der vielen Brüche verstörend, aber im Grunde wenig anders als andere Dekonstruktionen, die Regisseure seit Jahren auf die Bühne bringen. Hier ist sie nur klarer, unterbricht grob Fabelstränge, setzt geradezu ruppig Behauptungen des Regisseurs und des Autors nebeneinander. Die Inszenierung fordert heraus – Stellung zu nehmen, für oder gegen Thomas Mann, für oder gegen Thomas Ostermeier.
Vielleicht deswegen polarisierte der Abend das Publikum. Neben Bravos waren Buhs unüberhörbar.