Zu früher Abschied
Der Tod ereilt Menschen leider auch in ganz jungen Jahren. Dazu gehören Säuglinge, die zu früh zur Welt gekommen sind, oder Föten, die schon im Mutterleib gestorben sind. Erst seit kurzer Zeit gibt es mehr Möglichkeiten, um von ihnen Abschied zu nehmen.
Erik und Paul kamen viel zu früh zur Welt. Die Zwillinge wurden in der 25. Schwangerschaftswoche geboren. Und starben, nachdem sie sechs bzw. sieben Wochen gelebt hatten.
Andreas Beu: "Ich habe für beide – ja, ich mag nicht so gerne Sarg sagen, den Behälter, die Kiste, habe ich selber geschreinert mit Freunden."
Als Andreas Beu den ersten kleinen Sarg für Erik angefertigt hatte, starb Paul. Der Vater hat dann einen neuen Sarg für beide geschreinert. Gemeinsam mit der Mutter der Zwillinge hat er die toten Kinder auch eingekleidet:
"Sie haben beide von uns ein Superman-T-Shirt bekommen, weil ich fand, sie haben beide so gekämpft, der eine zwei Darm-OPs, eine Hirn-OP der andere, sie waren so tapfer, und haben immer wieder gezeigt; wir wollen noch."
Die Eltern haben die Kinder in den Sarg gelegt. Mit dabei waren Briefe, Fotos und Geschenke.
"Ich habe jedem noch ein kleines Cent-Stück als – ich weiß es nicht: vielleicht ist ja irgendwo ein Bootsmann, der ein Pfand haben möchte, so haben wir sie ausstaffiert."
"Kurzes Leben, kleine Trauer, das gibt es nicht"
Die Eltern haben aktiv Abschied genommen, haben sich um fast alles selbst gekümmert, sagt Andreas Beu:
"Aber wir hatten eine Betreuung, die uns immer wieder zugehört hat, immer wieder motiviert hat, unsere Sachen zu machen, unsere Vorstellungen umzusetzen."
Diese Betreuung leistete die damalige Klinikseelsorgerin Birgit Berg, die die Eltern auch beriet, als es um die Frage ging, ob die Kinder eingeäschert werden sollen:
Andreas Beu: "Verbrennen? Das ist doch nicht ethisch, oder das macht man mit Kindern nicht."
War die erste Reaktion des Vaters. Doch die meisten Totgeburten, und auch viele so genannte Frühchen, die nach wenigen Tagen oder Wochen sterben, werden eingeäschert. In Hamburg zum Beispiel wird die Asche der Kleinen alle drei Monaten in einer Trauerfeier in einem gemeinsamen Grab beigesetzt. Die frühere Klinikseelsorgerin Birgit Berg arbeitet heute als Friedhofspastorin in Hamburg. Sie wirbt darum, dass in den Kliniken religiöse Riten beachtet werden.
"Ich begleite auch viele muslimische Familien - das ginge gar nicht, dass die verbrannt werden, weil man da die Toten nicht verbrennt, sondern in einem Leinentuch in die Erde legt."
Wenn ein Kind während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt stirbt, versucht Birgit Berg die Eltern zu ermutigen, aktiv zu trauern:
"Kurzes Leben, kleine Trauer, das gibt es nicht."
Die Hamburger Pfarrerin kann sich noch daran erinnern, dass Ärzte und Hebammen früher die Kinder schnell verschwinden lassen wollten:
"Man meinte, man tut den Müttern was Gutes, wenn sie das Kind nicht sehen. ‚Nicht geguckt, nicht gesehen, die Trauer ist dann kleiner.' Das weiß man inzwischen nachweislich aus den Familientherapien, wie schwerwiegend dann die Trauer in Familien dann auch bleibt."
Wie bei Stefan und seiner Frau. Als sie die dritte Fehlgeburt hatte, wollte sie ihr Kind nach der Geburt gern sehen. Doch der Arzt erklärte, das sei nicht möglich.
Stefan: "Wobei man sich nicht vorstellen möchte, warum das nicht ging, warum das alles so schnell gehen musste."
Bundesländer behandeln Bestattungspflicht unterschiedlich
Das Paar wurde in einen Raum gebracht und wartete dort erst einmal allein. Statt des Arztes kam schließlich eine Schwester, die ihnen erklärte, sie könnten jetzt nach Hause gehen:
Stefan: "In solchen Situationen denkt man auch nicht richtig nach. "Es ist so, dass da eine kleine Welt zusammenbricht, und wenn jemand sagt: Geh nach Hause, dann geht man Hause. Man ist in einer wirklichen Ausnahmesituation und wenn man es sich hinterher überlegt, würde man viele Dinge nachher nicht so tun, die man da getan hat."
Sonja Bergen ist Gynäkologin, Ilse-Dore Grabe Klinikseelsorgerin im hannoverschen Friederikenstift. Beide betonen, dass man heute den Eltern immer anbieten würde, ihr Kind noch einmal zu sehen.
Sonja Bergen: "Sie können sich vorstellen, dass nicht jedes Kind so aussieht, wie wir uns ein Kind vorstellen, und deswegen wird es von der betreuenden Hebamme erst mal schön zurecht gemacht."
Ilse-Dore Grabe: "Und dass sie dann merken: ihre Fantasie ist oft viel schlimmer als das Kind wirklich zu sehen. Und wenn sie dann sehen, dass das Kind so in den Händen ist, dann ist das ein heilsamer Schritt auf dem Weg der Trauer."
Ilse-Dore Grabe: "Und dass sie dann merken: ihre Fantasie ist oft viel schlimmer als das Kind wirklich zu sehen. Und wenn sie dann sehen, dass das Kind so in den Händen ist, dann ist das ein heilsamer Schritt auf dem Weg der Trauer."
Sonja Bergen: "Was wir auch zur Erinnerung machen: es wird ein Fußabdruck, ein Handabdruck gemacht, dass auch möglich ist, den Frauen praktische Erinnerungen an die Hand zu geben. Und dass dann vorsichtig den Frauen der Kontakt angeboten wird."
Die Eltern erhalten ein Foto vom Kind und eine Geburtsurkunde des Krankenhauses. Außerdem können die Eltern – seit zwei Jahren ist dies gesetzlich so geregelt - auch ein totgeborenes Kind standesamtlich eintragen lassen. Je nach Bundesland sind Frühgeburten unter 500 Gramm allerdings nicht bestattungspflichtig. Sie gelten rechtlich nicht als "Leichen". In Bundesländern wie Schleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin, Niedersachsen, Hessen und dem Saarland sind Kliniken nicht verpflichtet, diese Kinder zu bestatten
Birgit Berg: "Es gibt zwar vom Bestattungsrecht diese Worte: bestattungspflichtig/nicht-bestattungspflichtig, aber dass Eltern auf jeden Fall wissen sollen: egal wie früh ihr Kind gestorben ist, dass sie immer bestattet werden können."
Hühnergötter statt Grabstein
Die Erfahrung von Birgit Berg: Wenn man mit den Eltern, die meist unter Schock stehen, behutsam redet, dann äußern die meisten den Wunsch, sich intensiv von ihrem Kind zu verabschieden: mit einer individuellen Bestattung wie bei den Zwillingen von Andreas Beu und seiner Freundin. Sie haben Erik und Paul auf dem Öjendorfer Friedhof in Hamburg bestattet:
Andreas Beu: "Ich habe keinen Grabstein. Ich habe bemalte Hühnergötter. Im Moment suche ich gerade nach einem richtig schönen Hühnergott. Also ein Hühnergott ist ein Stein mit einem Loch drin: Ein Symbol. Ich glaube, da wurden die bösen Geister vertrieben von Kuhställen, aber für mich als Kind war das einfach das Glückssymbol, und wenn wir das am Strand gefunden haben, dann waren wir so happy, weil das nicht so oft vorkam."
Für Pfarrerin Birgit Berg kommt es nicht darauf an, dass Eltern mit korrekten christlichen Ritualen trauern. Sie ermutigt die Trauernden vielmehr, neue Formen auszuprobieren:
"Alles, was sie in die Hände bekommen und gestalten können, das ist das beste Hilfsmittel, um die Trauer zu bewältigen. Also die wird nie weggearbeitet, die wird auch nie weggehen, aber dass das Kind einen liebevollen friedlichen Platz im eigenen Herzen haben kann und äußerlich einen mit dem eigenen liebenden Auge selbst gestalteten Ort, das ist das, was hilft."
Andreas Beu: "Für mich war es auch da schon wichtig: ich wollte niemals eine Situation haben, dass ich im Nachhinein sagen könnte: Hätte ich mal. Weil ich kann sagen: ich habe."