Versuch einer Ehrenrettung
Grünen-Mitbegründerin Jutta Ditfurth hat ein dickleibiges Werk mit selbstbewusstem Untertitel über die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof vorgelegt. Die Verfasserin, so scheint es, hat eine Mission. Sie versucht eine Ehrenrettung für die Halbschwester im Geiste.
Sie ist ein Unruhegeist der deutschen Politik, rigoros im Denken und Handeln - Jutta Ditfurth (geboren 1951 als "von Ditfurth"), Soziologin und Publizistin, eine "undogmatische Linke" und "Radikalökologin", Feministin und Atomkraftgegnerin. 1980 war sie Mitbegründerin der Grünen, 1984-88 deren Bundesvorsitzende, den "Realos" galt sie als Fundamentalistin. 1991 verließ Ditfurth die Partei. "Die Grünen sind grausam verlogen", sagte sie später; "Karrieristen wie Fischer und seiner Gang" bescheinigte sie "Skrupellosigkeit und Brutalität". Sie wünsche sich "eine emanzipatorische, linke, ökologische, antifaschistische Gegenmacht". Parlamentssitze seien nicht entscheidend, "mein Traum ist eine neue APO".
Heute sitzt Ditfurth für eine Wählervereinigung namens "ÖkoLinX-Antirassistische Liste" im Frankfurter Stadtparlament. Dort attackiert sie – gewohnt deutlich – die etablierten Parteien.
Im Streit um die Bewertung des RAF-Terrors der Siebziger hat Jutta Ditfurth mehrfach beherzt Partei ergriffen – gegen die als skrupellos empfundenen Mächtigen. "Der Staat braucht fast nichts so sehnsüchtig wie den Terror, den Schrecken für seine tagtägliche Gewalt", äußerte sie einmal. 1987 forderte sie eine Amnestie für "politische Gefangene". Die "Frankfurter Neue Presse" rechnet die Publizistin gar zu den "Apologeten der RAF".
Nun hat Jutta Ditfurth ein Buch über Ulrike Meinhof vorgelegt, ein dickleibiges Werk mit selbstbewusstem Untertitel ("Die Biographie"). Frau Meinhof (1934-76), wir erinnern uns: Die wortgewaltige Journalistin mit Villa in Hamburg und Partys auf Sylt, christlich erzogen, sozial engagiert, ebenfalls ein Unruhegeist deutscher Politik. Die Chefideologin der "Roten Armee Fraktion", die den "Akt der Befreiung im Akt der Vernichtung" feierte, die Terroristin, beteiligt an der Befreiung von Andreas Baader (1970) und fünf Bombenanschlägen (1972) mit vier Opfern. Schließlich ihr Tod in Stammheim, am Handtuchstrick. Was für eine Frau, Identifikationsfigur und Staatsfeindin Nr. 1. Aber: Eine Studie über die Meinhof ausgerechnet von Jutta Ditfurth und just nach der Textflut zum Jahrestag des "Deutschen Herbstes"?
Die Verfasserin, so scheint es, hat eine Mission, sie versucht eine Ehrenrettung für die Halbschwester im Geiste. "Keine öffentliche Figur in diesem Land ist dermaßen unter Legenden, Mythen, Fälschungen begraben wie Meinhof", behauptet Jutta Ditfurth dieser Tage im "Stern" (46/2007). Ein Autor (Stefan Aust, "Der Baader-Meinhof-Komplex") besitze das Monopol auf die RAF. Andere – "und das ist richtig grauslig" – würden nur abschreiben. Ditfurth beklagt die Verteufelung einer Rebellin (und meint auch sich selbst). Sie verurteilt eine "Dämonisierung von Widerstand" sowie jenen Zeitgeist, "nach dem radikale Opposition zum System, der Kampf um eine gerechtere Welt schlichtweg verrückt ist". Auf Nachfrage, in einer Mail, spricht Frau Ditfurth von "vergifteten Ursprungsquellen" und von "Müll, der über Meinhof geschrieben wird". Sie habe bei Null anfangen müssen. "Wenn ich die Frage beantworten müsste, was in bisherigen Darstellungen zutrifft, wäre die Liste sehr kurz."
Die Autorin sei auf unbekanntes Quellenmaterial gestoßen, lobt nun der Verlag. Sie zeige "völlig neue Zusammenhänge" und beantworte die eine Frage: "Wer war Ulrike Meinhof wirklich?" Detailverliebt skizziert Ditfurth das Leben ihrer Protagonistin. Sie beschreibt sie in Rollen – die Atomwaffengegnerin und Kommunistin, Ehefrau und Zwillingsmutter, die Partisanin, Attentäterin und Gefangene, am Ende "Objekt". Die Verfasserin erhellt auch den Hintergrund, die Zeitumstände: Meinhofs Radikalisierung erfolgte schrittweise, parallel zur Radikalisierung der Massen und der Politik. Es gebe "viele Ereignisse und Konflikte in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, die die RAF möglich machten", heißt es im Buch. (Stichworte: Vietnamkrieg, Atomwaffen, Notstandsgesetze, der Mord an Ohnesorg, "Bild"-Hetze, der Anschlag auf Dutschke...) Die Aufrührer besaßen ein günstiges Umfeld. Ditfurth zitiert Meinungsforscher: "Jeder vierte Befragte unter 30 Jahren hatte ‚gewisse Sympathien’ für die RAF" (1971). In Meinhof verdichteten sich Jahrzehnte deutscher Geschichte, sie war – so die Autorin – "die große Schwester der 68er".
Jutta Ditfurth präsentiert tatsächlich neue Zusammenhänge. Etwa: Meinhofs Vater sei kein christlicher Widerständler, sondern leidenschaftlicher Nazi gewesen, genau wie Pflegemutter Renate Riemeck, eine Leitfigur der westdeutschen Friedensbewegung. In die Illegalität sei die Meinhof nicht hineingestolpert, sie habe den Schritt bewusst getan. Ihre Kinder wollte sie keineswegs – wie Aust sich erinnert – in ein Guerrilla-Trainingscamp der Palästinenser mitnehmen. Den Psychoterror von Baader & Co. gegen Meinhof, wie ihn etwa der "Spiegel" beschreibt (37/2007, "Die Nacht von Stammheim"), hat es nach Ditfurth nicht gegeben. Streit ja, aber "keine grundsätzlichen Differenzen", nicht die quälerische Selbsterniedrigung Ulrikes ("eine scheinheilige Sau"), nicht die Hassausbrüche von Gudrun Ensslin ("Das Messer im Rücken der RAF bist Du"). Massive Zweifel äußert Jutta Ditfurth an der offiziellen Meldung von Meinhofs Freitod; einen inszenierten Selbstmord, wohl als Resultat staatlicher Verschwörung, hält sie für eher wahrscheinlich.
Erregende Thesen – doch nicht alle werden bewiesen. Wie steht es um das vom Verlag verheißene "unbekannte Quellenmaterial"? Per Mail verweist Jutta Ditfurth auf private und archivierte Dokumente, BKA-Akten und Interviews mit Zeitzeugen. Doch: "Die unzähligen Quellen, die ich im Buch aus rechtlichen Gründen nicht nennen kann, kann ich auch hier nicht nennen."
Neu, erschreckend neu, mag für manche Leser die Beziehung zwischen Meinhof und der DDR-Führung sein. Unverfroren bat die Straßenkämpferin die Hardliner der SED um ein paar tausend Bauarbeiterhelme als Schutz bei Demos sowie (1970) um Hilfe bei der "Organisierung des Widerstandes in Westberlin".
Es gibt – in Bezug auf Weg und Schicksal der Ulrike M. – Kritik im Buch; scharfe Kritik aber nur am bundesdeutschen Staat und seinen Dienern, an deren Härte und Unversöhnlichkeit. Meinhofs Handlungen hingegen werden von Jutta Ditfurth erklärt, begründet. Widerspruchslos folgt die Verfasserin dem Schwarz-Weiß-Denken der Protagonistin: Unten gegen Oben, Volk gegen Macht, Recht gegen Unrecht.
"Wer war Ulrike Meinhof wirklich?" Die Frage bleibt unbeantwortet, die Figur am Ende so unscharf wie am Anfang. Nach knapp 500 Seiten Lektüre darf man aber mutmaßen, wer oder was diese Frau in den Augen der Autorin ist: ein gefallener Engel, mehr Opfer denn Täterin, Märtyrerin für eine abstrakte Gerechtigkeit. Ein nüchterner Befund war von Jutta Ditfurth nicht zu erwarten (die Polit-Aktivistin stand der Forscherin im Wege). Ein lesenswertes, wichtiges, weil zum Meinungsstreit herausforderndes, streckenweise auch spannendes Buch ist ihr dennoch gelungen.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biographie,
Ullstein-Verlag, Berlin 2007. 479 Seiten, 22,90 Euro
Heute sitzt Ditfurth für eine Wählervereinigung namens "ÖkoLinX-Antirassistische Liste" im Frankfurter Stadtparlament. Dort attackiert sie – gewohnt deutlich – die etablierten Parteien.
Im Streit um die Bewertung des RAF-Terrors der Siebziger hat Jutta Ditfurth mehrfach beherzt Partei ergriffen – gegen die als skrupellos empfundenen Mächtigen. "Der Staat braucht fast nichts so sehnsüchtig wie den Terror, den Schrecken für seine tagtägliche Gewalt", äußerte sie einmal. 1987 forderte sie eine Amnestie für "politische Gefangene". Die "Frankfurter Neue Presse" rechnet die Publizistin gar zu den "Apologeten der RAF".
Nun hat Jutta Ditfurth ein Buch über Ulrike Meinhof vorgelegt, ein dickleibiges Werk mit selbstbewusstem Untertitel ("Die Biographie"). Frau Meinhof (1934-76), wir erinnern uns: Die wortgewaltige Journalistin mit Villa in Hamburg und Partys auf Sylt, christlich erzogen, sozial engagiert, ebenfalls ein Unruhegeist deutscher Politik. Die Chefideologin der "Roten Armee Fraktion", die den "Akt der Befreiung im Akt der Vernichtung" feierte, die Terroristin, beteiligt an der Befreiung von Andreas Baader (1970) und fünf Bombenanschlägen (1972) mit vier Opfern. Schließlich ihr Tod in Stammheim, am Handtuchstrick. Was für eine Frau, Identifikationsfigur und Staatsfeindin Nr. 1. Aber: Eine Studie über die Meinhof ausgerechnet von Jutta Ditfurth und just nach der Textflut zum Jahrestag des "Deutschen Herbstes"?
Die Verfasserin, so scheint es, hat eine Mission, sie versucht eine Ehrenrettung für die Halbschwester im Geiste. "Keine öffentliche Figur in diesem Land ist dermaßen unter Legenden, Mythen, Fälschungen begraben wie Meinhof", behauptet Jutta Ditfurth dieser Tage im "Stern" (46/2007). Ein Autor (Stefan Aust, "Der Baader-Meinhof-Komplex") besitze das Monopol auf die RAF. Andere – "und das ist richtig grauslig" – würden nur abschreiben. Ditfurth beklagt die Verteufelung einer Rebellin (und meint auch sich selbst). Sie verurteilt eine "Dämonisierung von Widerstand" sowie jenen Zeitgeist, "nach dem radikale Opposition zum System, der Kampf um eine gerechtere Welt schlichtweg verrückt ist". Auf Nachfrage, in einer Mail, spricht Frau Ditfurth von "vergifteten Ursprungsquellen" und von "Müll, der über Meinhof geschrieben wird". Sie habe bei Null anfangen müssen. "Wenn ich die Frage beantworten müsste, was in bisherigen Darstellungen zutrifft, wäre die Liste sehr kurz."
Die Autorin sei auf unbekanntes Quellenmaterial gestoßen, lobt nun der Verlag. Sie zeige "völlig neue Zusammenhänge" und beantworte die eine Frage: "Wer war Ulrike Meinhof wirklich?" Detailverliebt skizziert Ditfurth das Leben ihrer Protagonistin. Sie beschreibt sie in Rollen – die Atomwaffengegnerin und Kommunistin, Ehefrau und Zwillingsmutter, die Partisanin, Attentäterin und Gefangene, am Ende "Objekt". Die Verfasserin erhellt auch den Hintergrund, die Zeitumstände: Meinhofs Radikalisierung erfolgte schrittweise, parallel zur Radikalisierung der Massen und der Politik. Es gebe "viele Ereignisse und Konflikte in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, die die RAF möglich machten", heißt es im Buch. (Stichworte: Vietnamkrieg, Atomwaffen, Notstandsgesetze, der Mord an Ohnesorg, "Bild"-Hetze, der Anschlag auf Dutschke...) Die Aufrührer besaßen ein günstiges Umfeld. Ditfurth zitiert Meinungsforscher: "Jeder vierte Befragte unter 30 Jahren hatte ‚gewisse Sympathien’ für die RAF" (1971). In Meinhof verdichteten sich Jahrzehnte deutscher Geschichte, sie war – so die Autorin – "die große Schwester der 68er".
Jutta Ditfurth präsentiert tatsächlich neue Zusammenhänge. Etwa: Meinhofs Vater sei kein christlicher Widerständler, sondern leidenschaftlicher Nazi gewesen, genau wie Pflegemutter Renate Riemeck, eine Leitfigur der westdeutschen Friedensbewegung. In die Illegalität sei die Meinhof nicht hineingestolpert, sie habe den Schritt bewusst getan. Ihre Kinder wollte sie keineswegs – wie Aust sich erinnert – in ein Guerrilla-Trainingscamp der Palästinenser mitnehmen. Den Psychoterror von Baader & Co. gegen Meinhof, wie ihn etwa der "Spiegel" beschreibt (37/2007, "Die Nacht von Stammheim"), hat es nach Ditfurth nicht gegeben. Streit ja, aber "keine grundsätzlichen Differenzen", nicht die quälerische Selbsterniedrigung Ulrikes ("eine scheinheilige Sau"), nicht die Hassausbrüche von Gudrun Ensslin ("Das Messer im Rücken der RAF bist Du"). Massive Zweifel äußert Jutta Ditfurth an der offiziellen Meldung von Meinhofs Freitod; einen inszenierten Selbstmord, wohl als Resultat staatlicher Verschwörung, hält sie für eher wahrscheinlich.
Erregende Thesen – doch nicht alle werden bewiesen. Wie steht es um das vom Verlag verheißene "unbekannte Quellenmaterial"? Per Mail verweist Jutta Ditfurth auf private und archivierte Dokumente, BKA-Akten und Interviews mit Zeitzeugen. Doch: "Die unzähligen Quellen, die ich im Buch aus rechtlichen Gründen nicht nennen kann, kann ich auch hier nicht nennen."
Neu, erschreckend neu, mag für manche Leser die Beziehung zwischen Meinhof und der DDR-Führung sein. Unverfroren bat die Straßenkämpferin die Hardliner der SED um ein paar tausend Bauarbeiterhelme als Schutz bei Demos sowie (1970) um Hilfe bei der "Organisierung des Widerstandes in Westberlin".
Es gibt – in Bezug auf Weg und Schicksal der Ulrike M. – Kritik im Buch; scharfe Kritik aber nur am bundesdeutschen Staat und seinen Dienern, an deren Härte und Unversöhnlichkeit. Meinhofs Handlungen hingegen werden von Jutta Ditfurth erklärt, begründet. Widerspruchslos folgt die Verfasserin dem Schwarz-Weiß-Denken der Protagonistin: Unten gegen Oben, Volk gegen Macht, Recht gegen Unrecht.
"Wer war Ulrike Meinhof wirklich?" Die Frage bleibt unbeantwortet, die Figur am Ende so unscharf wie am Anfang. Nach knapp 500 Seiten Lektüre darf man aber mutmaßen, wer oder was diese Frau in den Augen der Autorin ist: ein gefallener Engel, mehr Opfer denn Täterin, Märtyrerin für eine abstrakte Gerechtigkeit. Ein nüchterner Befund war von Jutta Ditfurth nicht zu erwarten (die Polit-Aktivistin stand der Forscherin im Wege). Ein lesenswertes, wichtiges, weil zum Meinungsstreit herausforderndes, streckenweise auch spannendes Buch ist ihr dennoch gelungen.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biographie,
Ullstein-Verlag, Berlin 2007. 479 Seiten, 22,90 Euro