Versuch über die Liebe
In Per Olov Enquists neuem Roman rekonstruiert der Erzähler Per Ola seine Kindheit im schwedischen Västerbotten. Er schreibt über seine erste Begegnung mit der Liebe - dem eigentlichen "Sinn des Lebens". Eine Fallstudie über die Rätsel des Lebens und Schreibens.
"Amor Omnia Vincit – die Liebe überwindet alles". Mit diesem Satz beginnt Per Olov Enquists Roman "Das Buch von Blanche und Marie" (2004), in dem mit Hilfe von drei Notizheften die "rätselhafte Wahrheit" der Liebe enthüllt wird, um die es im literarischen Werk des schwedischen Romanciers immer wieder geht.
Denn in der Spannung zwischen dem nachweislich Geschehenen (Dokument) und seiner Rekonstruktion (Fiktion) liegt für Enquist jener innerste Raum, den es für den Erzähler zu öffnen gilt.
Um die Macht von Schriftstücken geht es auch im "Buch der Gleichnisse", um ein in den 1980ern begonnenes Arbeitsbuch des Erzählers, um einen verbrannt geglaubten Notizblock mit Liebesgedichten seines vor 76 Jahren gestorbenen Vaters, in dem merkwürdigerweise neun Seiten fehlen, und um die missglückte Rede am Grab der Mutter im Jahr 1992.
Sie bilden die Schmerzzentren, um die der Text in neun "Gleichnissen" kreist. In ihnen wird die Landschaft der Kindheit im schwedischen Västerbotten rekonstruiert, wo Literatur und Sexualität als "sündig" galten. Es ist darin nachzulesen, wie sich das geheimnisvolle Reich der Liebe – der eigentliche "Sinn des Lebens" – dem Erzähler erstmals öffnete.
Gleichzeitig aber unterzieht der Schriftsteller namens "Per Ola" sein literarisches Werk einer schonungslosen Revision. Hatte er doch behauptet, die Mutter habe die sündigen Notizen des Vaters verbrannt. Nun aber liegen sie vor ihm. Wie wahrhaftig kann ein Schriftsteller eigentlich sein?
Viele Details stellen eine autobiografische Nähe zum Autor her. Doch handelt es sich auch bei diesem Roman um eine kunstvolle und stilistisch ausgereifte Fallstudie, in deren Kern es um das Rätsel des Lebens und des Schreibens geht. Bei Enquist ist das Gleichnis keine rhetorische Figur, sondern eine doppelwandige Partitur.
In der dritten Person versucht sich Enquist sein bislang persönlichstes Autor-Ich auf Distanz zu halten. "Per Ola" ist eine literarische Figur, auch wenn im Sound des Namens die Västerbottnische Herkunft des Autors hervorzutreten scheint. Erzählerische Freiheit entsteht für ihn im Spiel von Authentizität (Autobiografie) und Fiktionalität. Die Suche nach dem Nicht-Faktischen vollzieht sich im Schreiben selbst:
"Wenn er schrieb, hatte er nie Angst, aber nur dann."
Enquists Roman wühlt auf und rührt an unser Innerstes - an die verschlossen gehaltenen Herzländer. Doch auch wenn man die Liebe nicht erklären kann, "wer wären wir, wenn wir es nicht versuchten".
Besprochen von Carola Wiemers
Denn in der Spannung zwischen dem nachweislich Geschehenen (Dokument) und seiner Rekonstruktion (Fiktion) liegt für Enquist jener innerste Raum, den es für den Erzähler zu öffnen gilt.
Um die Macht von Schriftstücken geht es auch im "Buch der Gleichnisse", um ein in den 1980ern begonnenes Arbeitsbuch des Erzählers, um einen verbrannt geglaubten Notizblock mit Liebesgedichten seines vor 76 Jahren gestorbenen Vaters, in dem merkwürdigerweise neun Seiten fehlen, und um die missglückte Rede am Grab der Mutter im Jahr 1992.
Sie bilden die Schmerzzentren, um die der Text in neun "Gleichnissen" kreist. In ihnen wird die Landschaft der Kindheit im schwedischen Västerbotten rekonstruiert, wo Literatur und Sexualität als "sündig" galten. Es ist darin nachzulesen, wie sich das geheimnisvolle Reich der Liebe – der eigentliche "Sinn des Lebens" – dem Erzähler erstmals öffnete.
Gleichzeitig aber unterzieht der Schriftsteller namens "Per Ola" sein literarisches Werk einer schonungslosen Revision. Hatte er doch behauptet, die Mutter habe die sündigen Notizen des Vaters verbrannt. Nun aber liegen sie vor ihm. Wie wahrhaftig kann ein Schriftsteller eigentlich sein?
Viele Details stellen eine autobiografische Nähe zum Autor her. Doch handelt es sich auch bei diesem Roman um eine kunstvolle und stilistisch ausgereifte Fallstudie, in deren Kern es um das Rätsel des Lebens und des Schreibens geht. Bei Enquist ist das Gleichnis keine rhetorische Figur, sondern eine doppelwandige Partitur.
In der dritten Person versucht sich Enquist sein bislang persönlichstes Autor-Ich auf Distanz zu halten. "Per Ola" ist eine literarische Figur, auch wenn im Sound des Namens die Västerbottnische Herkunft des Autors hervorzutreten scheint. Erzählerische Freiheit entsteht für ihn im Spiel von Authentizität (Autobiografie) und Fiktionalität. Die Suche nach dem Nicht-Faktischen vollzieht sich im Schreiben selbst:
"Wenn er schrieb, hatte er nie Angst, aber nur dann."
Enquists Roman wühlt auf und rührt an unser Innerstes - an die verschlossen gehaltenen Herzländer. Doch auch wenn man die Liebe nicht erklären kann, "wer wären wir, wenn wir es nicht versuchten".
Besprochen von Carola Wiemers
Per Olov Enquist: Das Buch der Gleichnisse. Ein Liebesroman
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt
Carl Hanser Verlag, München 2013
224 Seiten, 18,90 Euro
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt
Carl Hanser Verlag, München 2013
224 Seiten, 18,90 Euro