"Versuche von Einschüchterung und Diskreditierung"
Der Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Jens Siegert, verteidigt die russischen Behörden, die derzeit hunderte ausländische Nichtregierungsorganisationen "besuchen". Das seien keine Razzien, sondern nach geltendem Recht zulässige Untersuchungen. Dennoch sieht er die massenhaften Überprüfungen kritisch.
Ulrike Timm: Das war kein Besuch: Russische Behörden durchsuchten die Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Petersburg und nahmen Computer mit. Vorher schon hatte man Akten der Friedrich-Ebert-Stiftung durchstöbert und war auch schon bei Amnesty International und vor zwei Minuten hat uns das Goethe-Institut in Novosibirsk bestätigt: Morgen sollen wir auch Besuch kriegen, einfach so, mal gucken, einschüchtern und Unterlagen kassieren! Mit demokratischen Spielregeln ist so eine Aktion unvereinbar und so bestellte Bundesaußenminister Westerwelle den Botschafter ein. Aber reicht das? Und was steckt womöglich dahinter?
Dazu Fragen an Jens Siegert, den Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau. Herr Siegert, ich grüße Sie.
Jens Siegert: Guten Tag.
Timm: Haben Sie Ihren Computer noch?
Siegert: Ja, ich sitze vor ihm.
Timm: Aber anscheinend nützt es nichts, den Botschafter einzubestellen, wenn das Goethe-Institut in Novosibirsk morgen Nachmittag betroffen sein soll. Anscheinend redet man dann gegen Wände, wenn man sagt: So was gehört sich nicht …
Siegert: Ja, das ist die Frage, was dem Botschafter gesagt worden ist. Ist ihm gesagt worden, die deutschen politischen Stiftungen sollen sie in Ruhe lassen oder alle deutschen Organisationen oder sie sollen keine Computer konfiszieren? Das weiß ich nicht, was dem im Auswärtigen Amt gesagt worden ist.
Timm: Das wissen wir beide nicht, aber es gibt so in Russland eine sehr beliebte Entschuldigung: "Das waren die Kollegen, die waren wohl ein bisschen grob oder ein bisschen übereifrig." Zieht das? Ich meine, es geht doch darum, Druck zu machen, wenn jemand kurz im Auftrag des Staates hereinschneit und Computer kassiert. Sie sind bei der Konrad-Adenauer-Stiftung beschlagnahmt worden, bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei Amnesty International, vielleicht sind Sie, Herr Siegert, morgen dran. Nach politischen Farben scheint das ja nicht zu gehen.
Siegert: Nein, das sicher nicht. Dass diese Prüfer, diese Staatsanwälte, Beamte des Justizministeriums und der Steuerbehörde auch zu uns kommen, damit muss man rechnen. Ich muss Sie hier aber ganz kurz ein wenig korrigieren: Computer sind nach meinem Wissen nur bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Petersburg konfisziert worden. Die Besuche – ich bezeichne die jetzt ausdrücklich als "Besuche" – sind auch nicht, wie das vor allen Dingen in der deutschen Presse dargestellt worden ist, Razzien oder Durchsuchungen, denn es sind nach russischem Recht Überprüfungen. Das heißt, es sind Behörden, die dafür rechtlich im Prinzip auch berechtigt sind, sind gekommen, um Nichtregierungsorganisationen zu überprüfen, und auch die deutschen Organisationen wie zum Beispiel die Stiftungen sind hier als Nichtregierungsorganisationen registriert.
Timm: Das mag so sich jetzt ausdrücken. Aber ich meine, ist das ein Besuch, wenn jemand einen Computer mitnimmt oder wie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in die Akten guckt?
Siegert: Nein, das mit dem Computer-Mitnehmen geht deutlich also auch aus meiner Sicht über das, was ein Besuch ist, heraus. Ich wollte nur noch einmal deutlich machen, das ist bisher glücklicherweise ein Einzelfall. Bisher. Das kann tatsächlich so sein, wie Sie das eben angedeutet haben, dass das ein bisschen im Übereifer in Sankt Petersburg passiert ist. Das werden wir sehen, ob sich das wiederholt oder ob sich das nicht wiederholt. Das ist natürlich schlecht und man muss dagegen protestieren, das finde ich auch sehr gut, dass sich das Auswärtige Amt dort eingeschaltet hat, und es gibt jetzt schon Informationen, dass Frau Merkel, wenn Herr Putin in zwei Wochen zur Hannover-Messe kommt, das auch zum Thema machen wird. Das ist auf jeden Fall hilfreich.
Aber man sollte die Sachen auch nicht übertreiben. Wir sind hier, wir arbeiten hier in Russland und das heißt erst mal, dass wir uns auch an russische Gesetze halten müssen. Und russische Gesetze geben erstmals zu entsprechenden Behörden das Recht und die Möglichkeit, unsere Arbeit zu überprüfen. Solche Gesetze gibt es hier. Die kann man nun gut finden oder man kann sie kritisieren, aber es gibt erst mal diese Gesetze. Deswegen dürfen die Behörden kommen und dürfen in unsere Akten Einsicht verlangen. Dafür gibt es aber bestimmte Regeln.
Timm: Eine Regel sagt zum Beispiel, man muss sich ankündigen. Das wird also morgen auch im Goethe-Kulturinstitut in Novosibirsk passieren. Trotzdem ist es ja so, man kontrolliert dann zum Beispiel Dinge wie, ob die Internetverträge, ob das alles gut und richtig ist, aber es ist natürlich eine klare Geste der Einschüchterung, die sich gegen Nichtregierungsorganisationen richtet. Man hat jetzt den russischen Botschafter einbestellt, wie stark ist denn diese diplomatische Geste?
Siegert: In der diplomatischen Sprache ist das eine ziemlich starke Geste, das drückt schon deutlichen Unwillen aus. Ob das aber wirkt, das hängt von den Zielen ab, die hier hinter diesen Besuchen, hinter diesen Überprüfungen steht. Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass das Versuche von Einschüchterung und Diskreditierung sind, das liegt vor allen Dingen an der Massenhaftigkeit dieser Überprüfung. Es gibt niemanden im Moment, der so wirklich einen Überblick hat, wo das überall passiert, aber mehrere Hundert sind es auf jeden Fall schon, manche Zahlen gehen sogar in die Tausende. Und das ist bisher beispiellos, das hat es bisher bei russischen NGOs so noch nicht gegeben.
Timm: Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung und auch Ihre, die Heinrich-Böll-Stiftung sind politische Stiftungen. Die Goethe-Institute sind Kulturinstitute, wenn die jetzt auch durchsucht werden, ist das eine ganz neue Qualität. Anscheinend nützt es nichts, wenn man einen russischen Botschafter einbestellt. Muss man sich das wirklich noch bieten lassen, was kann man tun?
Siegert: Ja, bieten lassen muss man es sich. Jedenfalls, solange wir hier auf russischem Territorium arbeiten und die russischen Gesetze und die russischen Behörden hier gelten, jedenfalls solange wir das machen wollen. Wir können natürlich sagen, das geht nicht mehr, und können dann weggehen. Allerdings ist das auch eine schwierige Entscheidung, denn wir haben hier Verantwortung, zumindest die Verantwortung auch der Solidarität mit den Organisationen, mit denen wir hier – und das gilt sicherlich auch für das Goethe-Institut und die anderen politischen Stiftungen – seit vielen Jahren sehr eng und auch sehr gut zusammenarbeiten. Einige von denen, dazu gehören fast alle Partnerorganisationen der Heinrich-Böll-Stiftung, sind eben wegen dieser Überprüfung, deswegen, weil Staatsanwaltschaft und andere Behörden zu ihnen in die Büros gekommen, ziemlich unter Druck, da können wir uns nicht einfach zurückziehen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", im Gespräch mit Jens Siegert, dem Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau und nach den Durchsuchungen in Büros deutscher Nichtregierungsorganisationen in Russland. Herr Siegert, Sie leiten dort die Grünen-nahe Stiftung, und wenn ich mich mal kurz auf die Seite eines übereifrigen russischen Bürokratschniks begebe, spreche ich ja zurzeit mit einem ausländischen Agenten, oder?
Siegert: Nein, das ist falsch.
Timm: Es gibt doch dieses Agentengesetz, dass Sie sich so anmelden müssen?
Siegert: Ja, Sie sprechen wahrscheinlich das sogenannte NGO-Agentengesetz an, das russische NGOs – das ist im vorigen Jahr beschlossen worden und Ende des vorigen Jahres in Kraft getreten –, dass russische NGOs, die Geld aus dem Ausland bekommen und – so steht es im Gesetz – sich politisch betätigen, dazu verpflichtet, sich als ausländische Agenten registrieren zu lassen. Diese beiden Bedingungen, Geld aus dem Ausland und sich politisch zu betätigen, das gilt allerdings für russische NGOs.
Wir sind keine russische NGO, die Heinrich-Böll-Stiftung und auch die anderen politischen Stiftungen sind hier als Filialen einer ausländischen NGO, also unserer Mutterhäuser in Deutschland registriert. Das heißt, wir können keine Agenten sein. Wenn man mal in der Agentensprache bleibt, dann sind wir die Residenten, also die Agentenführer vielleicht. Aber das sind wir natürlich auch nicht, weil wir natürlich davon ausgehen und darauf bestehen, dass die Partner, mit denen wir zusammenarbeiten, dass Memorial oder Transparency International oder viele andere russische Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, natürlich keine Agenten sind, dass sie das, was sie machen, nicht machen, weil sie aus dem Ausland bezahlt werden.
Timm: Trotzdem befremdet dieses Gesetz ja ungemein. Und dass Sie sich da ein bisschen raushalten können, macht die Sache ja nicht besser und was derzeit passiert, erschüttert ja sehr. Der offizielle Passus und die Lebenswirklichkeit, die mögen ja hier und da verschieden sein, aber was würden Sie sich denn eigentlich gefallen lassen und was nicht mehr? Wann würden Sie sagen, geht nicht, dann hören wir hier auf?
Siegert: Das kommt sehr stark darauf an – ich habe das vorhin ja schon mal erwähnt –, wie mit unseren Partnerorganisationen umgegangen wird. Das sind diejenigen, die russischen Partnerorganisationen, die tatsächlich in der Schusslinie stehen, die möglicherweise größere Repressionen, größere Verfolgung zu erwarten haben. Nehmen wir ein Beispiel: Unsere Hauptpartnerorganisation Memorial beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit. Da sind wir sofort in dieser Agentengeschichte drin. Der Vorwurf, Spion oder ausländischer Agent zu sein, ist unter Stalin viele Tausend Mal, vieltausendfach fälschlicherweise genutzt worden, um falsche Geständnisse zu erpressen und die Menschen dann mit diesen fingierten Urteilen entweder in den Gulag zu schicken oder sogar hinzurichten. Memorial arbeitet diese Fälle auf.
Natürlich kann sich solch eine Organisation auf keinen Fall selbst als ausländischer Agent bezeichnen. Erstens weil es eine Lüge ist, weil sie keine ausländischen Agenten sind, und zweitens mit dieser Geschichte. Da sind wir natürlich sehr solidarisch und wenn jetzt der Staat darauf besteht – in dem Gesetz steht drin, wer das nicht macht, der kann geschlossen werden –, wenn der Staat jetzt darauf besteht und Memorial geschlossen werden sollte, dann müssen wir uns natürlich überlegen, ob unsere Arbeit hier in Russland noch weiter Sinn macht.
Timm: Jens Siegert, ich glaube, auf Sie kommen nicht ganz einfache Tage zu. Ich sprach mit Jens Siegert, dem Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau, über die merkwürdigen Besuche und Durchsuchungen russischer Behörden bei NGOs. Ich danke Ihnen fürs Gespräch und ich wünsche Ihnen alles Gute.
Siegert: Bitte schön, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dazu Fragen an Jens Siegert, den Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau. Herr Siegert, ich grüße Sie.
Jens Siegert: Guten Tag.
Timm: Haben Sie Ihren Computer noch?
Siegert: Ja, ich sitze vor ihm.
Timm: Aber anscheinend nützt es nichts, den Botschafter einzubestellen, wenn das Goethe-Institut in Novosibirsk morgen Nachmittag betroffen sein soll. Anscheinend redet man dann gegen Wände, wenn man sagt: So was gehört sich nicht …
Siegert: Ja, das ist die Frage, was dem Botschafter gesagt worden ist. Ist ihm gesagt worden, die deutschen politischen Stiftungen sollen sie in Ruhe lassen oder alle deutschen Organisationen oder sie sollen keine Computer konfiszieren? Das weiß ich nicht, was dem im Auswärtigen Amt gesagt worden ist.
Timm: Das wissen wir beide nicht, aber es gibt so in Russland eine sehr beliebte Entschuldigung: "Das waren die Kollegen, die waren wohl ein bisschen grob oder ein bisschen übereifrig." Zieht das? Ich meine, es geht doch darum, Druck zu machen, wenn jemand kurz im Auftrag des Staates hereinschneit und Computer kassiert. Sie sind bei der Konrad-Adenauer-Stiftung beschlagnahmt worden, bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei Amnesty International, vielleicht sind Sie, Herr Siegert, morgen dran. Nach politischen Farben scheint das ja nicht zu gehen.
Siegert: Nein, das sicher nicht. Dass diese Prüfer, diese Staatsanwälte, Beamte des Justizministeriums und der Steuerbehörde auch zu uns kommen, damit muss man rechnen. Ich muss Sie hier aber ganz kurz ein wenig korrigieren: Computer sind nach meinem Wissen nur bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Petersburg konfisziert worden. Die Besuche – ich bezeichne die jetzt ausdrücklich als "Besuche" – sind auch nicht, wie das vor allen Dingen in der deutschen Presse dargestellt worden ist, Razzien oder Durchsuchungen, denn es sind nach russischem Recht Überprüfungen. Das heißt, es sind Behörden, die dafür rechtlich im Prinzip auch berechtigt sind, sind gekommen, um Nichtregierungsorganisationen zu überprüfen, und auch die deutschen Organisationen wie zum Beispiel die Stiftungen sind hier als Nichtregierungsorganisationen registriert.
Timm: Das mag so sich jetzt ausdrücken. Aber ich meine, ist das ein Besuch, wenn jemand einen Computer mitnimmt oder wie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in die Akten guckt?
Siegert: Nein, das mit dem Computer-Mitnehmen geht deutlich also auch aus meiner Sicht über das, was ein Besuch ist, heraus. Ich wollte nur noch einmal deutlich machen, das ist bisher glücklicherweise ein Einzelfall. Bisher. Das kann tatsächlich so sein, wie Sie das eben angedeutet haben, dass das ein bisschen im Übereifer in Sankt Petersburg passiert ist. Das werden wir sehen, ob sich das wiederholt oder ob sich das nicht wiederholt. Das ist natürlich schlecht und man muss dagegen protestieren, das finde ich auch sehr gut, dass sich das Auswärtige Amt dort eingeschaltet hat, und es gibt jetzt schon Informationen, dass Frau Merkel, wenn Herr Putin in zwei Wochen zur Hannover-Messe kommt, das auch zum Thema machen wird. Das ist auf jeden Fall hilfreich.
Aber man sollte die Sachen auch nicht übertreiben. Wir sind hier, wir arbeiten hier in Russland und das heißt erst mal, dass wir uns auch an russische Gesetze halten müssen. Und russische Gesetze geben erstmals zu entsprechenden Behörden das Recht und die Möglichkeit, unsere Arbeit zu überprüfen. Solche Gesetze gibt es hier. Die kann man nun gut finden oder man kann sie kritisieren, aber es gibt erst mal diese Gesetze. Deswegen dürfen die Behörden kommen und dürfen in unsere Akten Einsicht verlangen. Dafür gibt es aber bestimmte Regeln.
Timm: Eine Regel sagt zum Beispiel, man muss sich ankündigen. Das wird also morgen auch im Goethe-Kulturinstitut in Novosibirsk passieren. Trotzdem ist es ja so, man kontrolliert dann zum Beispiel Dinge wie, ob die Internetverträge, ob das alles gut und richtig ist, aber es ist natürlich eine klare Geste der Einschüchterung, die sich gegen Nichtregierungsorganisationen richtet. Man hat jetzt den russischen Botschafter einbestellt, wie stark ist denn diese diplomatische Geste?
Siegert: In der diplomatischen Sprache ist das eine ziemlich starke Geste, das drückt schon deutlichen Unwillen aus. Ob das aber wirkt, das hängt von den Zielen ab, die hier hinter diesen Besuchen, hinter diesen Überprüfungen steht. Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass das Versuche von Einschüchterung und Diskreditierung sind, das liegt vor allen Dingen an der Massenhaftigkeit dieser Überprüfung. Es gibt niemanden im Moment, der so wirklich einen Überblick hat, wo das überall passiert, aber mehrere Hundert sind es auf jeden Fall schon, manche Zahlen gehen sogar in die Tausende. Und das ist bisher beispiellos, das hat es bisher bei russischen NGOs so noch nicht gegeben.
Timm: Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung und auch Ihre, die Heinrich-Böll-Stiftung sind politische Stiftungen. Die Goethe-Institute sind Kulturinstitute, wenn die jetzt auch durchsucht werden, ist das eine ganz neue Qualität. Anscheinend nützt es nichts, wenn man einen russischen Botschafter einbestellt. Muss man sich das wirklich noch bieten lassen, was kann man tun?
Siegert: Ja, bieten lassen muss man es sich. Jedenfalls, solange wir hier auf russischem Territorium arbeiten und die russischen Gesetze und die russischen Behörden hier gelten, jedenfalls solange wir das machen wollen. Wir können natürlich sagen, das geht nicht mehr, und können dann weggehen. Allerdings ist das auch eine schwierige Entscheidung, denn wir haben hier Verantwortung, zumindest die Verantwortung auch der Solidarität mit den Organisationen, mit denen wir hier – und das gilt sicherlich auch für das Goethe-Institut und die anderen politischen Stiftungen – seit vielen Jahren sehr eng und auch sehr gut zusammenarbeiten. Einige von denen, dazu gehören fast alle Partnerorganisationen der Heinrich-Böll-Stiftung, sind eben wegen dieser Überprüfung, deswegen, weil Staatsanwaltschaft und andere Behörden zu ihnen in die Büros gekommen, ziemlich unter Druck, da können wir uns nicht einfach zurückziehen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", im Gespräch mit Jens Siegert, dem Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau und nach den Durchsuchungen in Büros deutscher Nichtregierungsorganisationen in Russland. Herr Siegert, Sie leiten dort die Grünen-nahe Stiftung, und wenn ich mich mal kurz auf die Seite eines übereifrigen russischen Bürokratschniks begebe, spreche ich ja zurzeit mit einem ausländischen Agenten, oder?
Siegert: Nein, das ist falsch.
Timm: Es gibt doch dieses Agentengesetz, dass Sie sich so anmelden müssen?
Siegert: Ja, Sie sprechen wahrscheinlich das sogenannte NGO-Agentengesetz an, das russische NGOs – das ist im vorigen Jahr beschlossen worden und Ende des vorigen Jahres in Kraft getreten –, dass russische NGOs, die Geld aus dem Ausland bekommen und – so steht es im Gesetz – sich politisch betätigen, dazu verpflichtet, sich als ausländische Agenten registrieren zu lassen. Diese beiden Bedingungen, Geld aus dem Ausland und sich politisch zu betätigen, das gilt allerdings für russische NGOs.
Wir sind keine russische NGO, die Heinrich-Böll-Stiftung und auch die anderen politischen Stiftungen sind hier als Filialen einer ausländischen NGO, also unserer Mutterhäuser in Deutschland registriert. Das heißt, wir können keine Agenten sein. Wenn man mal in der Agentensprache bleibt, dann sind wir die Residenten, also die Agentenführer vielleicht. Aber das sind wir natürlich auch nicht, weil wir natürlich davon ausgehen und darauf bestehen, dass die Partner, mit denen wir zusammenarbeiten, dass Memorial oder Transparency International oder viele andere russische Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, natürlich keine Agenten sind, dass sie das, was sie machen, nicht machen, weil sie aus dem Ausland bezahlt werden.
Timm: Trotzdem befremdet dieses Gesetz ja ungemein. Und dass Sie sich da ein bisschen raushalten können, macht die Sache ja nicht besser und was derzeit passiert, erschüttert ja sehr. Der offizielle Passus und die Lebenswirklichkeit, die mögen ja hier und da verschieden sein, aber was würden Sie sich denn eigentlich gefallen lassen und was nicht mehr? Wann würden Sie sagen, geht nicht, dann hören wir hier auf?
Siegert: Das kommt sehr stark darauf an – ich habe das vorhin ja schon mal erwähnt –, wie mit unseren Partnerorganisationen umgegangen wird. Das sind diejenigen, die russischen Partnerorganisationen, die tatsächlich in der Schusslinie stehen, die möglicherweise größere Repressionen, größere Verfolgung zu erwarten haben. Nehmen wir ein Beispiel: Unsere Hauptpartnerorganisation Memorial beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit. Da sind wir sofort in dieser Agentengeschichte drin. Der Vorwurf, Spion oder ausländischer Agent zu sein, ist unter Stalin viele Tausend Mal, vieltausendfach fälschlicherweise genutzt worden, um falsche Geständnisse zu erpressen und die Menschen dann mit diesen fingierten Urteilen entweder in den Gulag zu schicken oder sogar hinzurichten. Memorial arbeitet diese Fälle auf.
Natürlich kann sich solch eine Organisation auf keinen Fall selbst als ausländischer Agent bezeichnen. Erstens weil es eine Lüge ist, weil sie keine ausländischen Agenten sind, und zweitens mit dieser Geschichte. Da sind wir natürlich sehr solidarisch und wenn jetzt der Staat darauf besteht – in dem Gesetz steht drin, wer das nicht macht, der kann geschlossen werden –, wenn der Staat jetzt darauf besteht und Memorial geschlossen werden sollte, dann müssen wir uns natürlich überlegen, ob unsere Arbeit hier in Russland noch weiter Sinn macht.
Timm: Jens Siegert, ich glaube, auf Sie kommen nicht ganz einfache Tage zu. Ich sprach mit Jens Siegert, dem Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau, über die merkwürdigen Besuche und Durchsuchungen russischer Behörden bei NGOs. Ich danke Ihnen fürs Gespräch und ich wünsche Ihnen alles Gute.
Siegert: Bitte schön, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.