Vertrauen ist gut ...

Von Uwe Bork |
Der Spruch gehört zu den vermeintlich goldenen Regeln, die uns eine – zumindest vorläufig – untergegangene Ideologie namens Kommunismus hinterlassen hat. Zugeschrieben Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt: Lenin, von dem aber wohl nie so gesagt, gehört die griffige Sentenz inzwischen dennoch weltweit zum rhetorischen Standardrepertoire von Erbsenzählern wie von Diktatoren: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!"
Ausgerechnet einem Mann, den der wortgewaltige russische Revolutionär vermutlich als einen der Haupt-Opiumdealer des abhängigen Volkes gebrandmarkt hätte, kam es nun zu, in einer ökonomischen Krisensituation globalen Ausmaßes gewissermaßen den "Anti-Lenin" zu formulieren. Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch war es, der auf der diesjährigen Herbstvollversammlung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz den Satz prägte: "Ohne Vertrauen und Hoffnung floriert keine Wirtschaft … Wer dem anderen nicht glaubt – lateinisch: non credit –, gibt ihm keinen Kredit."

Was denn nun: Kontrolle oder Kredit – Verzeihung: Vertrauen? Wovon brauchen wir mehr, damit unsere Wirtschaft endlich wieder auf Touren kommt, unsere Politiker unser Staatsschiff endlich wieder auf Kurs bringen und es uns allen endlich wieder besser geht? Und damit ist nicht nur materieller Wohlstand gemeint.

Der Pegel scheint zunächst einmal in Richtung Kontrolle auszuschlagen. Hätte man den Gebrüdern Lehman und ihren Nachfolgern im Management schließlich nur genauer auf die Finger geschaut, wäre der Welt wahrscheinlich der Beinahe-Zusammenbruch ihrer Wirtschaft erspart geblieben. Und einen hyperaktiven Banker wie Georg Funke samt Konsorten: Hätte man ihn und seinesgleichen nicht stärker kontrollieren müssen, um unserem Staat – und damit uns allen – ein scheinbar unergründliches Milliardenloch wie das der Hypo Real Estate zu ersparen?

Fast scheint es in der Tat so, als böte eine Verstärkung des in allen größeren Betrieben ohnehin gut ausgebauten Controlling den Universalschlüssel, um die Tür zu den globalen wirtschaftlichen Risiken nicht nur ins Schloss fallen zu lassen, sondern sie darüber hinaus auch gleich für immer und ewig zu versperren und zu verriegeln.

Aber stimmt das wirklich? War es wirklich nur unzureichende Kontrolle, die zu den katastrophalen Fehlentwicklungen führte, die ganze Staaten in den Abgrund zu reißen drohten – und vielleicht immer noch drohen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass mangelnde Moral – und zwar sowohl persönlich wie geschäftlich – die von jeglicher Verantwortung freien Entscheidungen über Millionen und Milliarden fremden Geldes, die Monetarisierung weitester Lebensbereiche, überhaupt erst denkbar gemacht hat? Nun ist es jedenfalls perdu, das Vertrauen. Und jetzt allein auf mehr Kontrolle zu setzen, bringt es auch nicht wieder, eher im Gegenteil. Diese Forderung greift zu kurz und sie führt in die Irre.

Ein Kontrollstaat wie Orwells "1984" ist der zur Diktatur gewordene Alptraum; eine Wirtschaftsordnung, die jeden Zug ihrer Akteure doppelt und dreifach kontrollieren will, erstickt jegliche Initiative. Was uns fehlt, ist viel schwerer zu etablieren als jedes technokratische Sicherungssystem. Was uns fehlt, ist eine Ethik, die den Sinn menschlicher Existenz nicht mehr nur im eigenen Ego sucht, die unter Wirtschaft nicht mehr nur Profitmaximierung versteht und die mit den endlichen Ressourcen der Gesellschaft und der Natur nicht mehr so umgeht, als gäbe es kein Morgen.

Auf daraus abgeleitete Handlungsmaximen müssen wir wieder vertrauen können und nicht auf noch so ausgeklügelte, aber dennoch immer auch versagensanfällige Kontrollmechanismen. Das ließe dann sogar Lenin wieder zu Ehren kommen. Zu dessen tatsächlichen – und nicht nur ihm zugeschriebenen – Lieblingssätzen gehörte nämlich eine alte russische Volksweisheit: "Vertraue, aber prüfe nach!" Und dagegen kann ja nun wirklich niemand etwas haben.


Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.
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