Vertriebene Rohingya in Bangladesch

Existenz ohne Zukunft

Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch.
Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch © Ed JONES / AFP
Stefan Teplan im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Seit ihrer Vertreibung aus Myanmar vor einem Jahr leben die rund eine Million Rohingya in einem Flüchtlingslager im benachbarten Bangladesch. Stefan Teplan von Caritas International war gerade dort und beklagt die völlige Perspektivlosigkeit.
Organisationen wie Caritas International leisten im größten Flüchtlingslager der Welt humanitäre Hilfe, seit die muslimische Minderheit der Rohinga aus Myanmar nach Bangladesch vertrieben wurde. Aber Bangladesch will die rund eine Million Menschen nicht behalten, Myanmar sie trotz internationalen Drucks nicht zurücknehmen. Stefan Teplan von Caritas International war vor wenigen Tagen vor Ort und beklagt, dass die Vertriebenen im Lager auf 14 Quadratkilometern zusammen gepfercht leben müssten.

Bedrückende Lage

"Sie sind eigentlich gettoisiert und können das Lager nicht verlassen", sagte Teplan im Deutschlandfunk Kultur. "Das ist doch eine sehr bedrückende Situation, wenn auch die Caritas und andere Hilfsorganisationen alles tun, damit das Leid dieser Menschen gelindert wird durch humanitäre Hilfe." Die Bedingungen seien zwar besser als vor einem Jahr, aber ohne Perspektive, da die Menschen nicht hinaus könnten und es im Lager nur wenige Jobs gebe.

Verlorenene Generation

Bei den Kindern müsse man von einer "verlorenen Generation" sprechen, da es keine Schulen gebe. Die vorhandenen Lernzentren böten nur stundenweise Bildungsangebote und Betreuung. "Da wäre eigentlich schon eine Forderung auch von uns an die Regierung, sich zu überlegen, ob man nicht zumindest Bildung zulassen möchte", sagte Teplan. "Die Caritas könnte auch das leisten, wie sie das auch in anderen Projekten in anderen Teilen der Welt macht, aber sie muss dazu die Genehmigung der Regierung erhalten."
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Vor einem Jahr, am 25. August 2017, griffen Rohingya-Rebellen in ihrer Heimat Myanmar zahlreiche Posten der Sicherheitskräfte an. Die Armee reagierte umgehend mit sogenannten Räumungsoperationen in den Dörfern der muslimischen Minderheit, die nach Ansicht der Vereinten Nationen die Merkmale eines Völkermordes trugen. Inzwischen leben rund eine Millionen Rohingya im Nachbarland Bangladesch im größten Flüchtlingslager der Welt. Bangladesch will sie nicht behalten, Myanmar sie trotz internationalen Drucks nicht zurücknehmen. Stefan Teplan von Caritas International war vor wenigen Tagen in Bangladesch im größten Flüchtlingscamp der Welt, jetzt ist er am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Teplan!
Stefan Teplan: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
von Billerbeck: Sie sind seit ein paar Tagen zurück, was ist Ihnen in Erinnerung geblieben, wenn Sie an dieses Flüchtlingscamp denken?
Teplan: Ja, vor allem also diese große Dimension, wie Sie das geschildert haben, dass hier über eine Million Menschen auf einer kleinen Fläche von etwa 14 Quadratkilometern zusammengepfercht leben unter eigentlich Umständen, unter denen man nicht leben möchte. Sie sind eigentlich gettoisiert und können das Lager nicht verlassen. Das ist doch eine sehr bedrückende Situation, wenn auch die Caritas und andere Hilfsorganisationen alles tun, damit das Leid dieser Menschen gelindert wird durch humanitäre Hilfe.
Mehr als 700.000 Rohingya-Fluechtlinge leben im Lager von Cox's Bazar in Bangladesch
Die Rohingya-Fluechtlinge leben im Lager inzwischen in Hütten, die aber nicht für Dauer ausgelegt sind. © imago stock&people / NicolaxGlass
von Billerbeck: Eine Million Menschen auf 14 Quadratkilometer, das heißt eine Millionenstadt – wie sind die Bedingungen dort, was haben Sie gesehen?
Teplan: Die Bedingungen sind weit besser, als ich das vor einem Jahr kennengelernt habe. Vor einem Jahr war das ganze Land eigentlich noch Wildnis, und die Leute sind im Schlamm gesteckt, weil der Monsun, der jetzt auch wieder herrscht, damals war, und die Menschen konnten damals nur unter Plastikplanen, die sie über einige Bambusstäbe gestülpt haben, leben.
Heute leben sie vergleichsweise sehr viel besser in Hütten, die die Hilfsorganisationen, auch die Caritas errichtet haben, die relativ stabil sind. Ich sage relativ, denn die Caritas und andere Hilfsorganisationen dürfen nicht permanent stabile Häuser bauen aufgrund einer Auflage der Regierung, die damit signalisiert, sie möchte diese Menschen nicht dauerhaft behalten und keine permanenten Lösungen schaffen.
Die Menschen sind auch versorgt, niemand muss dort hungern, niemand muss dursten, sie erhalten Lebensmittelverteilungen, es gibt auch im Lager überall inzwischen Verkaufsbuden und Märkte, in denen sie auch andere Lebensmittel erwerben können. Also so gesehen geht es ihnen weit besser als vor einem Jahr, wo die Zustände noch wirklich katastrophal waren.
Dennoch ist die Situation bedrückend, weil sie nicht aus dem Lager können, weil sie nicht in die Gesellschaft von Bangladesch integriert werden, erklärtermaßen, hat die Regierung von Bangladesch eindeutig abgelehnt, weil sie eigentlich keine Perspektive haben. Sie können nicht in ihr Heimatland zurück, die meisten möchten das auch gar nicht nach den Gräueltaten, die sie dort erlebt haben, aber sie machen auch keine Bildungsmöglichkeiten und Arbeitsmöglichkeiten nur in ganz, ganz beschränktem Maße innerhalb des Lagers, aber nicht außerhalb.

Einlaß nur mit Sondergenehmigung

von Billerbeck: Nun sind Sie dort hingefahren, wie muss ich mir das vorstellen, man spaziert da einfach rein? Das ist ja auch so ein bisschen, selbst wenn Sie ein Helfer sind, als ginge man in einen Zoo.
Teplan: Ja, es kann nicht jeder einfach so reinspazieren. Gott sei Dank hat die Regierung von Bangladesch eine solche Art, wie soll ich sagen, Katastrophentourismus abgeschafft, das ging vor einem Jahr noch. Inzwischen ist das Lager streng bewacht, man muss Army Checkpoints passieren, und ohne Sondergenehmigung kommt man da nicht rein. Das Lager ist also sehr streng eigentlich bewacht.
Ein Flüchtlingsmädchen der Rohingya hält ein Kleinkind auf dem Arm. Das Bild stammt aus dem Kutupalong-Flüchtlingslager im Bezirk Cox's Basar in Bangladesch im Juni 2018.
Vor allem die Kinder sind die Verlierer. Das Lager bietet ihnen keine Schulbildung an. © dpa-Bildfunk / AP
von Billerbeck: Nun sind unter den Flüchtlingen auch sehr viele Kinder. Es soll Lernzentren geben, aber es gibt viele Stimmen, die schon wie immer, wenn es so große Flüchtlingslager gibt – wir kennen das ja auch von den Palästinensern oder aus anderen Gegenden –, da wird von einer verlorenen Generation der Rohingya-Kinder gesprochen. War das auch Ihr Eindruck, Ihr Gefühl?
Teplan: Das ist absolut mein Eindruck, den kann ich teilen. Ich habe ja vorher erwähnt, dass es keine Bildungs- und auch keine Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder und für die Jugend dort gibt, und wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Menschen womöglich über Jahre hinweg dort leben müssen, wächst tatsächlich eine verlorene Generation heran, denn was soll denn aus dieser Jugend werden, wenn sie nichts lernt, wenn sie keine Bildung erhält. Das ist eine absolut verlorene Zeit.
Da wäre eigentlich schon eine Forderung auch von uns an die Regierung, sich zu überlegen, ob man nicht zumindest Bildung zulassen möchte. Die Caritas könnte auch das leisten, wie sie das auch in anderen Projekten in anderen Teilen der Welt macht, aber sie muss dazu die Genehmigung der Regierung erhalten. Die ist nicht da.
Es gibt, wie Sie das vorhin nannten, Lernzentren, dort wird das auf Englisch als "Child Friendly Spaces", also kinderfreundliche Zonen bezeichnet. Das kann man sich so vorstellen, dass dort Gruppen von Kindern, die sind nach Altersgruppen gesplittet zwischen vier und zwölf Jahren, einige Stunden mit Erzieherinnen und Erziehern verbringen, spielen, und da geschieht ein Minimum an Bildung, die aber nicht mit einer Schulbildung zu vergleichen ist.

Zwischen allen Stühlen

von Billerbeck: Wenn man das hört, und ich hab's ja am Anfang auch gesagt, dass auf der einen Seite Bangladesch verhindert, dass die Rohingya sich da dauerhaft niederlassen – haben Sie ja geschildert, dass da keine festen Häuser gebaut werden dürfen –, und andererseits dürfen die Rohingya nicht nach Myanmar zurück. Die sitzen also zwischen allen Stühlen, eine Million Menschen in so einem Flüchtlingslager – wie kann das weitergehen, wohin wird das führen?
Teplan: Ja, es ist leider Gottes anzunehmen – ist eine persönliche Spekulation von mir –, dass diese Menschen über Jahre hinweg in diesem Lager bleiben werden. Es gibt da den Präzedenzfall, dass ja schon knapp 300.000 Rohingya vorher, vor dieser großen Vertreibungswelle 2017, in dem Lager sind. Seit 1978, und seit 1992, da gab es eine weitere Vertreibungswelle, sind knapp 300.000 Menschen dort, und die sind seit Jahrzehnten dort, immer noch, und können auch das Lager nicht verlassen. Und dieses selbe Schicksal droht nun diesen Menschen eigentlich auch, wenn nicht auf politischer Ebene etwas unternommen wird, dass man diesen Menschen eine Heimat bietet.
von Billerbeck: Stefan Teplan war das von Caritas International über die Rohingya. Vor wenigen Tagen war er zu Besuch im größten Flüchtlingscamp der Welt, in Bangladesch. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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