Vertriebenenpolitiker mit NS-Vorgeschichte
Mitläufer, Schreibtischtäter, überzeugte Nazis: Im Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen saßen mehrere Mitglieder mit brauner Vergangenheit. Ihr politisches und militärisches Verhalten während der NS-Zeit untersucht der Zeithistoriker Michael Schwartz nun in einer kenntnisreichen Studie.
Sie haben in der Bundesrepublik Karriere gemacht. Unter ihnen befanden sich ein Bundesminister, mehrere Landesminister und Staatssekretäre. Sie gehörten somit der politischen Elite Westdeutschlands an. Neun von ihnen sind mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.
Doch nicht auf die bundesrepublikanische Karriere ihrer Biografie, zielt die Studie des Zeithistorikers Michael Schwartz. Die Vergangenheit, die hier interessiert, ist jene vor 1945 – in der NS-Zeit und während des Zweiten Weltkriegs.
Die "Vorgeschichte" einiger Mitglieder des Gründungspräsidiums des Bundes der Vertriebenen war bereits um 1960 von der DDR ausgeleuchtet und öffentlich anklagend gegen die Bundesrepublik instrumentalisiert worden. In der Folge musste zum Beispiel Hans Krüger als Bundesvertriebenenminister zurücktreten. Darüber hinaus aber wurden Vorwürfe aus Ostberlin stets als Verleumdungen abgetan, die jedoch – wie man heute weiß – einen wahren Kern hatten.
Fragen waren immer wieder gestellt worden, aber erst 2006 stieß ein Artikel über "Unbequeme Wahrheiten" auf erhöhte Sensibilität, sicher auch weil gerade intensiv über ein "Zentrum gegen Vertreibungen" diskutiert wurde. Erika Steinbach, die Präsidentin des BdV, nahm das zum Anlass, das Institut für Zeitgeschichte in München zu beauftragen, dazu ein Forschungsprojekt durchzuführen.
Doch nicht auf die bundesrepublikanische Karriere ihrer Biografie, zielt die Studie des Zeithistorikers Michael Schwartz. Die Vergangenheit, die hier interessiert, ist jene vor 1945 – in der NS-Zeit und während des Zweiten Weltkriegs.
Die "Vorgeschichte" einiger Mitglieder des Gründungspräsidiums des Bundes der Vertriebenen war bereits um 1960 von der DDR ausgeleuchtet und öffentlich anklagend gegen die Bundesrepublik instrumentalisiert worden. In der Folge musste zum Beispiel Hans Krüger als Bundesvertriebenenminister zurücktreten. Darüber hinaus aber wurden Vorwürfe aus Ostberlin stets als Verleumdungen abgetan, die jedoch – wie man heute weiß – einen wahren Kern hatten.
Fragen waren immer wieder gestellt worden, aber erst 2006 stieß ein Artikel über "Unbequeme Wahrheiten" auf erhöhte Sensibilität, sicher auch weil gerade intensiv über ein "Zentrum gegen Vertreibungen" diskutiert wurde. Erika Steinbach, die Präsidentin des BdV, nahm das zum Anlass, das Institut für Zeitgeschichte in München zu beauftragen, dazu ein Forschungsprojekt durchzuführen.
13 individuelle Biografien
Es entstand eine Bestandsaufnahme von 800 Seiten, die nun in einer gekürzten Fassung vorliegt. Dass es sich um ein Gutachten handelt, ist wichtig hervorgehoben zu werden. Es schlägt sich in der Struktur, der Argumentation und im Duktus nieder. Kenntnisreich und auf einer breiten Quellengrundlage trägt es dazu bei, die Debatte um die nationalsozialistische Vergangenheit der 13 Vertriebenenpolitiker zu verwissenschaftlichen. Das tut das Buch, so Michael Schwartz:
"Einerseits durch die systematische, methodisch nachvollziehbare Aufarbeitung gesicherter Fakten, soweit sie rekonstruierbar und innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens erreichbar- und auswertbar waren. Andererseits durch die Kontextualisierung der individuellen Biographien der dreizehn Angehörigen des ersten BdV-Präsidiums, das heißt durch die Einbettung der hier zur Debatte stehenden Personen in deren jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Handlungskontext, der bislang häufig nicht beachtet worden ist."
Die Lebensläufe aus Ostpreußen, Böhmen, Schlesien, Danzig, Pommern und der Batschka werden Altersgruppen und Generationen, sozialen Schichten, Bildungsgängen und Berufsfeldern zugeordnet. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Personen kaum mehr verband, als dass sie dem ersten Präsidium des Bundes der Vertriebenen angehörten.
Akribisch und mit großem Aufwand wird ihr politisches und militärisches Verhalten untersucht – jeweils getrennt für die Zeit bis 1933, sowie von 1933 bis 1939 und schließlich während des Zweiten Weltkriegs. Leider werden dadurch die Biografien zerstückelt und vieles wiederholt.
"Einerseits durch die systematische, methodisch nachvollziehbare Aufarbeitung gesicherter Fakten, soweit sie rekonstruierbar und innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens erreichbar- und auswertbar waren. Andererseits durch die Kontextualisierung der individuellen Biographien der dreizehn Angehörigen des ersten BdV-Präsidiums, das heißt durch die Einbettung der hier zur Debatte stehenden Personen in deren jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Handlungskontext, der bislang häufig nicht beachtet worden ist."
Die Lebensläufe aus Ostpreußen, Böhmen, Schlesien, Danzig, Pommern und der Batschka werden Altersgruppen und Generationen, sozialen Schichten, Bildungsgängen und Berufsfeldern zugeordnet. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Personen kaum mehr verband, als dass sie dem ersten Präsidium des Bundes der Vertriebenen angehörten.
Akribisch und mit großem Aufwand wird ihr politisches und militärisches Verhalten untersucht – jeweils getrennt für die Zeit bis 1933, sowie von 1933 bis 1939 und schließlich während des Zweiten Weltkriegs. Leider werden dadurch die Biografien zerstückelt und vieles wiederholt.
Unterschiedliche Grade der NS-Verstrickung
Die Gruppe war heterogen und bot ein breites Spektrum an Einstellungen. Es reicht von überzeugten Nationalsozialisten, die als "Schreibtischtäter" oder als Angehörige der Wehrmacht und der Waffen-SS im Kriegseinsatz waren, bis hin zu ausgesprochenen Gegnern des Nationalsozialismus.
Beide Extreme sind quantitativ etwa gleich verteilt. Dazwischen weisen die Biografien unterschiedliche Grade an Verstrickung auf. Es dominiert die Generation, welche um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geboren wurde:
"Zu jung zur Kriegsteilnahme am Ersten Weltkrieg […], die jedoch die Nachkriegs- bzw. Zwischenkriegszeit bewusst miterlebt und auch mitzugestalten begonnen hatte. Zum Zeitpunkt ihrer Konfrontation mit dem Nationalsozialismus als Herrschaftssystem […] stand diese Generation bereits ausgebildet im Berufsleben und schickte sich an, zur maßgeblichen aktiven Generation ihrer jeweiligen Gesellschaft zu werden. Anders als in den politischen Spitzenämtern der Bundesrepublik ab 1949 […], repräsentierte die BdV-Führung altersmäßig eher die ‚Trägergeneration’ des ‚Dritten Reiches’ – ob diese Generation dieses Regime nun bejaht hatte oder nicht."
Ausdruck der abwägenden Analyse ist es, dass nicht allein nach der formellen Belastung einer Person, also nach der Mitgliedschaft in der NSDAP oder sonstigen NS-Organisationen gefragt wird. Das wäre irreführend, wie der Autor ausdrücklich vermerkt. Auf diese Weise lassen sich Vorwürfe entkräften. Zugleich aber werden angeblich weiße Tauben als braune bis dunkelbraune Falken entlarvt.
Als schwer belastet stuft das Gutachten drei Mitglieder des Gründungspräsidiums ein, als möglicherweise schwer belastet zwei, als in geringem Maß NS-belastet vier und als lediglich gering belastet drei. Nur zwei der untersuchten 13 Lebensläufe werden als vollkommen unbelastet qualifiziert.
Beide Extreme sind quantitativ etwa gleich verteilt. Dazwischen weisen die Biografien unterschiedliche Grade an Verstrickung auf. Es dominiert die Generation, welche um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geboren wurde:
"Zu jung zur Kriegsteilnahme am Ersten Weltkrieg […], die jedoch die Nachkriegs- bzw. Zwischenkriegszeit bewusst miterlebt und auch mitzugestalten begonnen hatte. Zum Zeitpunkt ihrer Konfrontation mit dem Nationalsozialismus als Herrschaftssystem […] stand diese Generation bereits ausgebildet im Berufsleben und schickte sich an, zur maßgeblichen aktiven Generation ihrer jeweiligen Gesellschaft zu werden. Anders als in den politischen Spitzenämtern der Bundesrepublik ab 1949 […], repräsentierte die BdV-Führung altersmäßig eher die ‚Trägergeneration’ des ‚Dritten Reiches’ – ob diese Generation dieses Regime nun bejaht hatte oder nicht."
Ausdruck der abwägenden Analyse ist es, dass nicht allein nach der formellen Belastung einer Person, also nach der Mitgliedschaft in der NSDAP oder sonstigen NS-Organisationen gefragt wird. Das wäre irreführend, wie der Autor ausdrücklich vermerkt. Auf diese Weise lassen sich Vorwürfe entkräften. Zugleich aber werden angeblich weiße Tauben als braune bis dunkelbraune Falken entlarvt.
Als schwer belastet stuft das Gutachten drei Mitglieder des Gründungspräsidiums ein, als möglicherweise schwer belastet zwei, als in geringem Maß NS-belastet vier und als lediglich gering belastet drei. Nur zwei der untersuchten 13 Lebensläufe werden als vollkommen unbelastet qualifiziert.
Ein unentbehrliches Nachschlagewerk
Trotz der augenscheinlichen hohen Anzahl warnt das Gutachten zu Recht vor vorschnellen Schlüssen. Funktionäre mit einer NS-Vergangenheit sind in allen Institutionen der frühen Bundesrepublik zu finden. Vergleichswerte, welche die erste Führungsschicht des Bundes der Vertriebenen einordnen könnte, gibt es jedoch kaum.
Differenziert und ausgewogen durchleuchtet Michael Schwarz deren dunkle, nationalsozialistische Vergangenheit. Für diesen Abschnitt ihrer Biografien ist seine Studie ein unentbehrliches Nachschlagewerk, ein Kompendium.
Bedauerlicherweise gibt sie keine Auskunft darüber, wie aus NS-Belasteten die politische Elite der Bundesrepublik wurde, wie eine NS-Volksgemeinschaft sich zu einem freiheitlich-demokratisch verfassten Gemeinwesen wandelte. Denn solche Fragen gehörten nicht zum Forschungsauftrag.
Das verdienstvolle Gutachten bietet aber eine zuverlässige, nicht zu überschätzende Grundlage, um die wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, zu erfahren, wie Prägungen der NS-Zeit das bundesrepublikanische Staatsgefüge beeinflussten. Es reiht sich damit ein in einschlägige Studien über das Auswärtige Amt und den hessischen Landtag oder über das Bundesjustizministerium und den Bundesnachrichtendienst.
Die beiden letzteren sind noch nicht abgeschlossen. Weitere werden folgen, denn der Einfluss des Nationalsozialismus auf die bundesdeutsche Gesellschaft bleibt auch nach 60 Jahren ein zentraler Forschungskomplex deutscher Geschichtsschreibung.
Differenziert und ausgewogen durchleuchtet Michael Schwarz deren dunkle, nationalsozialistische Vergangenheit. Für diesen Abschnitt ihrer Biografien ist seine Studie ein unentbehrliches Nachschlagewerk, ein Kompendium.
Bedauerlicherweise gibt sie keine Auskunft darüber, wie aus NS-Belasteten die politische Elite der Bundesrepublik wurde, wie eine NS-Volksgemeinschaft sich zu einem freiheitlich-demokratisch verfassten Gemeinwesen wandelte. Denn solche Fragen gehörten nicht zum Forschungsauftrag.
Das verdienstvolle Gutachten bietet aber eine zuverlässige, nicht zu überschätzende Grundlage, um die wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, zu erfahren, wie Prägungen der NS-Zeit das bundesrepublikanische Staatsgefüge beeinflussten. Es reiht sich damit ein in einschlägige Studien über das Auswärtige Amt und den hessischen Landtag oder über das Bundesjustizministerium und den Bundesnachrichtendienst.
Die beiden letzteren sind noch nicht abgeschlossen. Weitere werden folgen, denn der Einfluss des Nationalsozialismus auf die bundesdeutsche Gesellschaft bleibt auch nach 60 Jahren ein zentraler Forschungskomplex deutscher Geschichtsschreibung.
Michael Schwartz: Funktionäre mit Vergangenheit
Das Gründungspräsidium der Vertriebenen und das "Dritte Reich"
Oldenbourg Verlag München, 2012
594 Seiten, 69,80 Euro
Das Gründungspräsidium der Vertriebenen und das "Dritte Reich"
Oldenbourg Verlag München, 2012
594 Seiten, 69,80 Euro