"Verursacherprinzip" bei maroden Straßen anwenden

Reinhard Meyer im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Hierzulande sei man zu wenig bereit, moderne Modelle der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auszuprobieren, kritisiert Reinhard Meyer (SPD). Der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz will den Schwerlastverkehr mehr für die Reparatur von Straßen und Brücken zahlen lassen.
Gabi Wuttke: Deutschland ist ein löchriger Käse. Sie wissen es aus eigener, bitterer Erfahrung. In vielen Teilen des Landes sind die Straßen marode, und der anstehende Winter wird das nicht besser machen. Die Verkehrsminister der Länder ringen seit Langem um das Geld, das sie selbst nicht haben, um die Schäden nicht nur für eine Saison auszuputzen. Deshalb legen sie heute, zehn Tage nach der Bundestagswahl den Plan für einen Sanierungssonderfonds vor. Die Forderung: Der Bund soll jedes Jahr 2,7 Milliarden Euro mehr zahlen als bislang.

Was das für einen Nutzen hätte, kann Ihnen der schleswig-holsteinische Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Reinhard Meyer von der SPD erklären. Einen schönen guten Morgen.

Reinhard Meyer: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Sie wollen also als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz zusammen mit Ihren Kollegen 38,5 Milliarden Euro in den kommenden 15 Jahren. Und als Zuckerbrot für den Bund, damit er diese zusätzlichen Milliarden gibt, schlagen Sie vor, die Lkw-Maut auszuweiten?

Meyer: Es ist ein Gesamtpaket, über das wir reden müssen. Es gibt die sogenannte Daehre-Kommission, die Ende letzten Jahres im Auftrag der Verkehrsminister der Länder und auch des Bundes festgestellt hat, dass wir pro Jahr einen Mehrbedarf für die Verkehrsinfrastruktur aufgrund des schlechten Zustandes von 7,2 Milliarden Euro haben, und deswegen haben wir gesagt, wir brauchen eine Kombination einerseits aus einer Diskussion, wie kann man aus dem bestehenden Haushalt mehr Geld investieren für die Infrastruktur. Das sind die 2,7 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Beispiel, indem ein höherer Anteil an der Mineralölsteuer genommen wird. Zum Beispiel wissen wir, dass vier Milliarden Euro für den Solidaritätszuschlag gar nicht in Ostdeutschland ausgegeben werden, das ist wichtig für die Koalitionsverhandlungen, dass man das miteinander bespricht.

Und der zweite Teil ist, weil 2,7 Milliarden Euro auf Dauer nur dazu führen, dass wir den augenblicklichen Zustand der Infrastruktur festhalten, also nichts besser machen. Und deswegen brauchen wir noch mehr Geld. Und da geht es dann schlicht um die Frage, wie kann man das mobilisieren. Und hier steht die Ausweitung der Lkw-Maut im Vordergrund.

Wuttke: Sie haben ja das Stichwort Koalitionsverhandlungen bzw. Koalitionsvertrag geliefert. Wie steht es denn mit der Pkw-Maut? Möglich wäre es ja, inländisch eine Pkw-Maut zu nutzen, um dann auch diesen Sonderfonds zu füllen.

Meyer: Also die Pkw-Maut ist natürlich ein sehr umstrittenes Thema. Ich halte wenig davon zu sagen, das machen wir jetzt nur für Ausländer, weil es einfach schlicht EU-rechtswidrig wäre. Was man machen kann bei einer Pkw-Maut, ist dann, genauso die Inländer in ein System sozusagen zur Finanzierung heranzuziehen. Aber ich sehe im Moment als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz der Länder nicht, dass es bei den Ländern eine Mehrheit gibt für die Einführung einer Pkw-Maut.

Wuttke: Das heißt, wer ist dagegen?

Meyer: Ich denke mal, die Mehrheit der SPD-geführten Länder ist dagegen. Wir müssen auch darüber diskutieren, das ist ja auch ein Stück weit Verursacherprinzip, wo in den letzten Jahren die meisten Probleme entstanden sind. Die sind natürlich insbesondere, wenn ich auf die maroden Brücken schaue, die ein Extra-Problem in der Infrastruktur darstellen, insbesondere im Straßenverkehr, dass wir natürlich einen extrem zunehmenden Güterverkehr haben, Schwerlastverkehr, der die Straßen besonders belastet.

Das heißt mit anderen Worten: Viele Straßen, die wir heute haben, die sind gar nicht mehr für den Schwerlastverkehr, den wir heute beobachten können auf diesen Straßen, tatsächlich geeignet. Und da geht es dann um die Frage Lkw-Maut: Ist das ein geeignetes Instrument, diejenigen, die im Transport davon profitieren, auch an den Kosten zu beteiligen.

Wuttke: Ein geeignetes Instrument. Wir haben es ja schon gesagt: Das, was heute vorgeschlagen wird, ist ein Sanierungssonderfonds. Das Stichwort ist Sondervermögen. Höre ich da nicht schon von anderer Stelle aus dem Bundesverkehrsministerium, aus dem Parlament, von den Haushältern lauten Widerstand?

Meyer: Ja, das ist ja genau unser Problem in Deutschland, dass wir nicht bereit sind, moderne Modelle der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung auszuprobieren, durchzuführen, dass wir immer auf das alte kameralistische System zurückfallen, jedes Jahr beim Bundeshaushalt für jedes neue Projekt um Geld zu betteln. Andere Länder um uns herum, ob in der Schweiz, ob in Dänemark, die zeigen uns über solche Sondervermögen, über Infrastrukturfonds, dass es auch anders geht. Und übrigens, ganz wichtig für das Parlament, immer mit einer demokratischen Legitimation verbunden durch Parlamentsbeschlüsse, immer mit Transparenz verbunden. Dass man also genau sehen kann, nach welcher Priorität welche Projekte angegangen werden.

Aber was wir brauchen, ist Investitionssicherheit in Deutschland, und der Vorteil von Sondervermögen ist, dass man Überjährigkeit erzielt, also nicht jedes Jahr für jedes neue Projekt anstehen muss, sondern tatsächlich über mehrere Jahre das Ganze planen kann. Und das ist aus meiner Sicht ein echter Modernisierungsvorteil.

Wuttke: Herr Meyer, Vernunft ist das eine, aber die politische Wirklichkeit in Deutschland ist womöglich eine andere.

Meyer: Das ist so. Deswegen müssen wir mit guten Argumenten antreten. Deswegen haben wir zum Beispiel in Schleswig-Holstein dieses Sondervermögen aufgelegt, um in einem Land zu zeigen, was auf Länderebene geht, hier für den Bereich der Verkehrsinfrastruktur vor allen Dingen der Landesstraßen. Das geht selbstverständlich auch auf der Bundesebene, weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir aus diesen alten Denkmustern raus müssen, wenn wir besser, schneller, effizienter etwas für die Infrastruktur tun wollen.

Wuttke: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, was rechnen Sie sich aus, dass der Vorschlag – und es ist ja kein Zufall, dass diese Konferenz eine Sonderkonferenz ist, zehn Tage nach der Bundestagswahl –, auch in einem zwischen wem auch immer zu schließenden Koalitionsvertrag Einzug halten wird?

Meyer: Ich glaube, dass wir eine gute Chance haben, jetzt in diesem kurzen Zeitfenster neue Instrumente zu etablieren. Da bin ich fest überzeugt, es gibt dort auch einen hohen Konsens der Verkehrspolitiker der Länder. Und ich denke, auch beim Bundesverkehrsminister werden wir dort auf Zustimmung stoßen. Eine andere Diskussion, die wir auch führen werden, ist dann natürlich die Nutzerfinanzierung, und das pendelt zwischen Lkw-Maut und Pkw-Maut, darauf hatte ich ja schon hingewiesen.

Wuttke: Das heißt, da steht noch einiges an. Entweder ein Aufschrei in der Bevölkerung oder womöglich ein anderer Bundesverkehrsminister, und dann können Sie das Ganze wieder eintüten?

Meyer: Nein, wir wollen gerade für Transparenz und wir wollen für Akzeptanz sorgen. Ich hab immer gesagt, wenn man über das Thema Nutzerfinanzierung, sprich Maut, redet, dann muss man auch gewährleisten, wenn man Geld einsammelt, dass dieses Geld nach Möglichkeit eins zu eins wieder in der Infrastruktur landet. Nur so können wir überhaupt Akzeptanz haben, zum Beispiel durch eine Ausweitung der Lkw-Maut, die zurzeit besteht ab Fahrzeugen von zwölf Tonnen aufwärts, auf alle Bundesstraßen. Das wäre übrigens ein Betrag von weiteren 2,3 Milliarden Euro jährlich und würde uns schon eine ganze Menge weiter bringen.

Wuttke: Sagt Rainhard Meyer aus Schleswig-Holstein. Er ist der Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz und war im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Herr Meyer, besten Dank und schönen Tag.

Meyer: Gleichfalls.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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