Warum öffnen wir die Ehe nicht tatsächlich für alle?
Auch Parteifreunde sind verärgert über Kramp-Karrenbauers Kritik an der "Ehe für alle". Die CDU-Politikerin fürchtet Forderungen wie die nach einer Heirat von mehr als zwei Menschen. Zu Recht, meint die Journalistin Antje Schrupp, die solche Öffnungen begrüßen würde.
Annegret Kramp-Karrenbauer ist derzeit, so scheint es, everybody's darling. Allerdings steckt da für liberale Geister ein ziemlich großer Stachel im Fleisch: Ihre sehr konservative, aus katholischer Tradition gespeiste Haltung zu allem, was mit Sexualität und Familienformen zu tun hat.
Was dabei viele vor allem ärgert, ist ihre Behauptung, dass die Öffnung der Ehe über die traditionelle Verbindung von Mann und Frau hinaus womöglich noch weitere Forderungen nach sich ziehen könnte: nach einer Heirat unter engen Verwandten zum Beispiel oder nach der Ehe für mehr als zwei Menschen.
Inzucht also, und Polygamie, ganz schlimme Sachen.
Nirgendwo steht, dass Eheleute Sex haben müssen
Aber ist es das, worum es wirklich geht? Wer die Ehe für alle damit verteidigt, dass sich doch überhaupt nichts am Bestehenden ändert, wenn auch Lesben und Schwule heiraten, springt deutlich zu kurz. Selbstverständlich ändert sich dadurch etwas Wesentliches.
Es geht nicht bloß darum, ein traditionelles Privileg von einer bestimmten Gruppe auf eine etwas größere bestimmte Gruppe auszuweiten. Sondern die "Ehe für alle" macht sichtbar, dass sich unser Verständnis von Familie von der Bindung an gemeinsame leibliche Kinder gelöst hat. Genau das sollte aber in christlicher Tradition unbedingt zusammengehören: Familienleben, Kinder haben und Sexualität.
In die sexuellen Beziehungen der Leute mischt sich der Staat heute aber immer weniger ein – nirgendwo steht noch, dass man Sex haben muss, wenn man verheiratet ist, oder dass man keinen Sex haben darf, wenn man es nicht ist. Faktisch ist die Ehe ein staatliches Programm zur Förderung von privaten Wirtschaftsgemeinschaften geworden: Wer verheiratet ist, bekommt Privilegien vom Staat, muss dafür aber im Fall von Nöten und Schwierigkeiten erst einmal füreinander aufkommen, bevor staatliche Hilfen aufgerufen werden können.
Die "Ehe für alle" ist deshalb nicht eine bloße Banalität, sondern ein weiterer Schritt im Rahmen einer großen gesellschaftlichen Veränderung. Ebenso wie schon das reformierte Scheidungsrecht macht sie sichtbar, dass wir uns als Gesellschaft nicht mehr ausschließlich um den lebenslangen zweigeschlechtlichen Nukleus sortieren, der aus Vater, Mutter und deren eigenen leiblichen Kindern besteht. Sondern dass wir den Fokus auf frei gewählte, unter Umständen auch zeitlich begrenzte "Verantwortungspartnerschaften" legen, die eben flexibler, dynamischer, vielfältiger sind.
Warum nicht tatsächlich für alle?
Und so gibt es tatsächlich inzwischen gesellschaftliche Gruppen, die noch weiter denken, auch wenn sie bislang nicht im Mainstream angekommen sind. Eine wachsende Polyamorie-Bewegung wirbt um öffentliche Akzeptanz von Liebesbeziehungen zwischen mehr als zwei Personen. Und es sind bereits regelrechte Plattformen für Co-Parenting entstanden, also Familiengründungen, bei denen zwei Menschen Eltern werden, ohne eine gemeinsame Liebesbeziehung zu haben. Häufig sind es lesbische Paare, die diese Möglichkeit nutzen, weil sie einen Samenspender brauchen, um schwanger zu werden.
Es gibt aber auch Menschen, die aus allen möglichen anderen Gründen sexuelle Begegnungen und Elternschaft voneinander trennen möchten.
Es ist deshalb nur logisch, dass wir in Zukunft über weitere sinnvolle Formen von verantwortlichen Lebenspartnerschaften nachdenken. Der Staat hat nämlich Interesse daran, dass Menschen in stabilen Gemeinschaften füreinander Verantwortung übernehmen. Und es gibt keinen Grund, warum das nicht auch zwischen mehr als zwei Erwachsenen oder unter Geschwistern möglich sein sollte.
Die konservative Befürchtung, dass mit der Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben noch nicht das Ende der Debatte erreicht ist, mag also in ihrer emotionalen Panik veraltet wirken. Rein logisch stimmt das aber, und das ist auch gut so.
Antje Schrupp, 54, ist Politikwissenschaftlerin und Journalistin und lebt in Frankfurt am Main. Sie schreibt für verschiedene Medien und ist Autorin zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihr die Biografie der ersten amerikanischen Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull ("Vote for Victoria!", Ulrike Helmer Verlag) und der Comic "Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext" (zusammen mit Patu, Unrast-Verlag).