Verwanztes Schlafzimmer

Von Susanne Arlt |
Tagsüber verstecken sie sich hinter Steckdosen und Tapeten, nachts saugen sie den schlafenden Bewohnern das Blut aus dem Körper: Bettwanzen werden immer öfter in deutschen Wohnungen entdeckt. Wer die blutrünstigen Tiere einmal hat, wird sie so schnell nicht wieder los.
Verschwitzt und außer Atem steht Pierre Drews im Türrahmen der Dachgeschosswohnung. Über seiner rechten Schulter baumelt ein schmaler, länglicher Plastiksack. Darin steckt eine ein Meter lange metallene Sprühspritze. Kampfutensil eines Kammerjägers.

Roman Neumann lotst Pierre Drews und seinen Kollegen Enrico Scheid in das Zimmer seiner Tochter. Das hölzerne Hochbett steht in Einzelteile demontiert an der Wand. Davor lehnt die Matratze. Der Vater zeigt aufs Fußende. Dort hat er sie zum ersten Mal krabbeln sehen. Bettwanzen. Sechsbeinig. Fünf Millimeter groß. Dunkelbraune, birnenförmige Körper. Platt wie Papier. Darum passen sie auch in jede Ritze. Tagsüber verkriechen sie sich hinter Steckdosen, Tapeten, Bodenleisten. Nachts krabbeln sie zu ihrem Wirt, bohren ihre Stechrüssel ins Fleisch und saugen sein Blut. Pierre Drews kennt das Verhalten der Tiere. Fast täglich bekämpft der Kammerjäger Bettwanzen.

"Die müssen normalerweise alle sechs Tage spätestens trinken. Und nach der Blutmahlzeit findet die Häutung statt, die zum nächsten Larvenstadium führt und als adultes Tier können die dann nach jeder Blutmahlzeit Eier legen."

Drews: "Sind Sie denn auch gestochen worden?"

Neumann: "Meine Tochter ist gestochen worden, deshalb sind wir überhaupt erst aufmerksam geworden. Ich habe die Tiere abgesammelt und zeige Sie Ihnen mal."

"Mit das Ekelhafteste, was es gibt"
Er hält dem Kammerjäger ein verschlossenes Kapillarröhrchen unter die Nase. Ein prüfender Blick durch die Brillengläser. Pierre Drews nickt: Zehn tote Bettwanzen lautet sein Befund. Der Kammerjäger wirkt nicht zimperlich, ein großes Wikinger-Tattoo prangt auf seinem Arm.

Drews: "Für mich sind die Bettwanzen mit das Ekelhafteste, was es gibt. Wenn man sich die Tiere mal näher anguckt, die haben so ein bisschen was Außerirdisches, sage ich mal. Unter dem Mikroskop sehen die schon recht eklig aus."

Roman Neumann nickt. Seit Tagen zermartert sich der 36-Jährige den Kopf. Wie konnten sich die unliebsamen Zeitgenossen in seiner Wohnung einnisten? Im Urlaub ist er nicht gewesen. Gebrauchte Möbel hat er auch nicht gekauft. Vermutlich lagen ein paar Wanzeneier in einer Matratze, die ihm eine Bekannte geschenkt hat. Erzählt er Freunden von seinem Parasiten-Problem, reagieren die fast immer gleich:

"Mit einer ziemlichen Abneigung und Angst. Also alle sind gleich auf Distanz und - kriege ich das jetzt auch und wenn du jetzt Klamotten hast, springen die auf mich drauf? Also man war gleich ein rotes Tuch und - sehr unangenehm."

Kammerjäger Drews hört aufmerksam zu, zieht sich ein Paar Einweghandschuhe über. Die Leute wissen nicht viel über Bettwanzen, sagt er. Sie sind zwar eklig, für den Menschen aber ungefährlich. In Deutschland gibt es keine Meldepflicht und daher auch keine Statistiken. In den Metropolen wächst ihre Population aber stetig, sagt der Fachmann und kramt in seinem Koffer nach einer Taschenlampe.

Widerlich, aber harmlos: Bettwanzen sind für Menschen ungefährlich
Zielstrebig nimmt er das Hochbett unter die Lupe, leuchtet in die Montagelöcher und Ritzen. Bettwanzen mögen Holz. Und sie lieben es warm. Deshalb zieht sie auch verschwitze Wäsche an.

Drews: "Ja, da verstecken sie sich halt gerne, in diesen Ritzen."

Neumann: "Und sagen Sie, ist das hier ein Ei?"

Roman Neumann zeigt auf einen stecknadelgroßen weißen Punkt. Daneben befinden sich schwarze Kotspuren der Parasiten.

Drews: "Neben diesem schwarzen Punkt? Nee, also die Eier eher hell bis fast durchsichtig. Aber sie sind auch ein kleines bisschen kleiner."

Und nur sehr schwer zu erkennen. Selbst für so ein geübtes Auge wie das von Pierre Drews. Bettwanzen sind ausgesprochen scheue Tiere. Sie leben in Kolonien, ernähren sich nur nachts. Geht das Licht an, huschen sie zurück in die Ritze. Diese Parasiten sind darum ausgesprochen schwer zu bekämpfen, erklärt Pierre Drews und läuft zu seinem Kollegen, der inzwischen das Wohnzimmer inspiziert.

Enrico Scheid kniet auf dem Boden. Vor ihm liegt ein aufgeklapptes Schlafsofa. Sein Finger deutet auf den Lattenrost und die Halterungen für die einzelnen Holzbretter mit schmalen Ritzen. Viele kleine Traumvillen für Bettwanzen:

"Hier genau, hier in dem Lattenrost ist eine. Und da verstecken sie sich bevorzugt, gut geschützt und nah an der Quelle. Supermarkt ist gleich vor Ort und da kann man gleich zugreifen."

Ein ausgewachsenes Weibchen legt fast jeden Tag Eier
Roman Neumann kratzt sich unbewusst am Kopf. Bislang schläft er auf diesem Sofa. Nicht verzagen, sagt Roman Drews und packt seine Sprühflaschen aus. In die längliche Spritze aus Messing füllt er zwei Liter Flüssigkeit. Wenn überhaupt etwas gegen diese Parasiten hilft, dann sind es Insektizide, sagt Drews und pumpt den Kanister auf:

"Unser Mittel, was wir anwenden, wird mit Wasser gemischt. Das Wasser verdunstet und das Mittel legt sich wie ein Film über die behandelten Flächen. Und die Tiere laufen über diese Mittel hinweg sobald sie zum Wirt wollen und dann sterben sie und dann haben wir das erreicht, was wir wollten."

Roman Neumann schaut einigermaßen erleichtert. Doch der Kammerjäger nimmt ihm die Hoffnung auf ein schnelles Wanzenende. In den meisten Fällen reicht einmal Sprühen nicht aus. Die Tiere hocken zu versteckt und ihr Sexleben ist berüchtigt. Ein ausgewachsenes Weibchen legt fast jeden Tag Eier. 500 Nachkommen sind keine Seltenheit.

"Lässt dieses Langzeitmittel in seiner Wirkung nach und irgendwo sitzt noch ein Tier, dann sind die in der Lage, so schnell wieder eine neue Familie aufzubauen, dass das eigentlich schon beängstigend ist."