Verwirrspiel der Liebe mit Doppelhochzeit

Von Ulrich Fischer |
Die Werke des Schweizer Theaterregisseurs Luc Bondy stehen im Fokus der diesjährigen Ruhrtriennale. In Bochums Jahrhunderthalle war nun seine Inszenierung von Marivaux' "La Seconde Surprise de l’amour" zu sehen. Im Verwirrspiel um die schönste Nebensache der Welt ergreift er Partei für die einfachen Leute und spricht sich gegen Bindungsangst aus.
Die RuhrTriennale setzt häufig einen Schwerpunkt, um einen Regisseur intensiv vorzustellen – in diesem Jahr Luc Bondy. Am Dienstagabend war Bondys Inszenierung von "La Seconde Surprise de l’amour" zu sehen. Marivaux, einer der richtungsweisenden französischen Dramatiker der Aufklärung, hatte zunächst "La Surprise de l’amour" geschrieben – auf Deutsch: "Die Überraschung durch die Liebe", 1722 in Paris uraufgeführt – und das Thema dann variiert, Titel: "La Seconde Surprise de l’amour" – "Die zweite Überraschung durch die Liebe" also, fünf Jahre später uraufgeführt, 1727.

Die Hauptfigur, eine Marquise, jung, schön, reich, ist untröstlich. Ihr Gemahl ist nach nur einmonatiger Ehe verschieden. Sie will nie wieder lieben. Ganz ähnlich ihr Nachbar, der junge Chevalier - er hat eine unglückliche Affäre hinter sich und ist entschlossen, sich nie wieder zu binden. Die beiden klagen sich gern ihr Leid und haben sich, ehe sie es selbst merken, verliebt. Es dauert drei lange Akte, ehe sie nach vielen Irrtümern und noch mehr Irrwegen sich endlich in die Arme sinken. Ihre Diener, die Zofe Lisette und der patente Lubin, machen keine Umwege, sie lieben sich ohne Fisimatenten - am Ende steht eine Doppelhochzeit.

Luc Bondy nimmt für die einfachen Leute Partei - er spricht sich gegen Prätention und Bindungsangst aus: Wer stets sein Gesicht wahren will, läuft Gefahr, sein Glück zu versäumen. Bondy arbeitet die Volkstheaterelemente des Dreiakters heraus, Marivaux war vom italienischen Theater beeinflusst, der Commedia dell‘Arte.

So wird auch gespielt. Zur Zeit Marivaux‘ galt noch die Ständeklausel: hohe Herrschaften spielten tragische Rollen, das einfache Volk war komisch. Das dreht Bondy um: folgt Eurem Herzen, eurem Gefühl - alles andere ist gekünstelt, unecht und widernatürlich. In Luc Bondys Deutung erscheint Marivaux wie ein Vorläufer der Revolution. Zur Parteinahme tragen Karl-Ernst Herrmann (Bühne: abstrakt, aber sprechend: vollendet!) und Moidele Bickel (Kostüme - eine Augenweide!) durch eindeutige Farbgebung bei: die Trauer heuchelnden Aristokraten tragen schwarz, das das Volk repräsentierende Dienerpaar weiß.

Das sechsköpfige Ensemble spielte makellos. Clotilde Hesme als Marquise und Micha Lescot als Chevalier übertreiben immer nur eine Nuance - genug für die Erkenntnis der Schwächen, genug zum Lachen. Die Akteure sprechen Französisch - ein Problem. Zwar wird die Übersetzung auf eine Leinwand über der Bühne projiziert, aber wer lesen muss, wendet den Blick von den Spielern. Es kommt indes auf die Differenz zwischen dem, was gesagt und was gefühlt, empfunden wird, an. Die Marquise und ihr Chevalier sagen selten die Wahrheit - manchmal will einer den anderen täuschen, prüfen, manchmal irrt er/sie sich über die eigenen Gefühle. So wäre es am besten, man könnte auf die Übersetzung verzichten. Leute, lernt Französisch! Es lohnt sich. Luc Bondy ist ein Vorbild; wenn wir gute Europäer werden wollen, müssen wir (mehr) fremde Sprachen lernen wie er - und er ist ein Meister seines Fachs.

Eine großartige, in sich stimmige Aufführung, die den Realismus der kleinen Leute preist. Das passt in die Umgebung - es wird nämlich nicht im Theater gespielt, sondern in einem Industriedenkmal: in Bochums Jahrhunderthalle. Der Schlussbeifall war einhellig und klang begeistert. Zu Recht.