Verwirrspiel ohne Auflösung

Von Bernd Sobolla |
In seiner französischen Heimat ist der Schauspieler Daniel Auteuil längst ein Star und sein Name wird in einem Zug mit Gerard Dépardieu und Jean Reno genannt. Ab Donnerstag ist Auteuil, der hierzulande unter anderem durch "Die Bartholomäusnacht" und "Ein Herz im Winter" bekannt wurde, wieder in deutschen Kinos zu erleben. "Caché" läuft an, der neue Film von Michael Haneke.
"Ich kann es nicht lesen

Ne, Lenin, kann das sein? Avenue Lenin?

Ja. Ja, ja, ja! Avenue Lenin. Aber wo? Hast du einen Stadtplan?

Warte!

Roman Ville, es könnte Roman Ville sein. Sieh mal nach, ob es da eine Avenue Lenin gibt.

Hm, Moment. Ah, gleich in der Nähe der Métro Mairie des Lilas. Linie 11. Und was wirst du jetzt machen?"


George, gespielt von Daniel Auteuil, hat möglicherweise denjenigen ausfindig gemacht, der ihm seit einiger Zeit Videobänder zuschickt. Bänder, die seinem erfolgreichen, bürgerlichen Leben Risse zufügen. Denn George moderiert im Fernsehen eine Literaturtalkshow, die bestens läuft, hat an seiner Seite eine attraktive Frau und einen Sohn. Und sein Leben besteht vor allem darin, Abendeinladungen wahrzunehmen und Ausstellungseröffnungen zu besuchen.

Doch die Videobänder irritieren. Dabei zeigen sie zunächst nichts Außergewöhnliches: Ein Auto wird geparkt, eine Tür fällt ins Schloss. Stille. Aber gerade diese scheinbare Normalität und Stille, die man bereits aus anderen Filmen von Michael Haneke kennt wie "Bennys Video" und "Funny Games" wirkt besonders bedrohlich. Zumal der Fremde offenbar Georges Leben und das seiner Familie bestens kennt und weiter dokumentiert. Georges Frau vermutet zunächst einen verrückten Fan hinter den Aufnahmen, und die Polizei erkennt keinen Grund zu handeln. Aber allmählich wirken die Bänder immer bedrohlicher. Und plötzlich ändert sich das Bild.

"Ich habe einen Verdacht!

Was?

Ja, ich glaube, ich weiß, wer es ist.

Du weißt, wer es ist?

Ich glaube, ich weiß es.

Ja und!

Ja und? Ich muss mich vergewissern.

Sag mal, bist du noch zu retten? Würdest du mich an deinem einsamen Leben teilhaben lassen? Schließlich geht es mich auch ein wenig an, oder?

Ich kann es dir nicht sagen, weil ich es nicht weiß. Es ist nur ein Verdacht.

Und den kannst du mir nicht sagen?

Nein!"

Das Vertrauen zwischen Anne und Georges ist erschüttert, und ihre Beklemmung wächst weiter. Zumal auch die beiliegenden Zeichnungen, die zuerst Strichmännchen mit blutig roter Kehle zeigen, immer provozierendere Formen annehmen. Auf der letzten schließlich ist ein Huhn zu sehen mit durchschlagenem Hals. Regisseur Michael Haneke, der immer wieder die Zuschauer mit seinen Filmen zu verstören weiß, hat diesmal einen Thriller gedreht, der von Lügen und Geheimnissen handelt, von Misstrauen, Schuld und den Schatten der Vergangenheit. Allerdings löst der Filmemacher sein Verwirrspiel keineswegs eindeutig auf.

Michael Haneke: "Dieser Film ist ja gemacht, damit er im Kopf des Zuschauers zu Ende geht. Und das hängt ganz davon ab, wie der, der den Film sieht, damit umgeht. Wie er sich den anzieht. Und jeder hat Recht. … So ist mir jede Interpretation Recht. Weil darauf hin ist der Film angelegt. … Der Schluss eines Films muss wie eine Sprungschanze sein. Wuff… und jetzt kommt der Zuschauer dran und muss den Sprung zu Ende führen."