Verwirrung der Begriffe

Von Stefan Keim |
Nun haben wir schon wieder eine Debatte über das "Regietheater". Aber sie entzündet sich nicht an einem konkreten Beispiel, über das sich streiten ließe. Nein, Daniel Kehlmann hat bei der Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen, einen privaten Feldzug gestartet. Rache für seinen Papi, einen Regisseur, der sich als "Diener des Autors" verstand, und durch eine "Regietheatermafia" aus dem Job gedrängt wurde.
Zu dieser Verschwörungstheorie auf dem Niveau eines Direct-to-DVD-Thrillers gesellt Kehlmann noch ein paar Pointen, die zwar nichts mit der Realität zu tun haben - wann wurde zuletzt auf der Bühne mit Spaghetti rumgesaut? -, aber für billige Lacher gut sind.

Es schmerzt schon fast, auf die klaren Fakten hinweisen zu müssen. Viele konservativere Regisseure arbeiten immer noch am Theater. Natürlich haben sich einige Häuser in bestimmten Stilen profiliert, aber die Bühnenlandschaft ist sehr bunt. Das Ausland lacht auch nicht, wie Kehlmann es beschreibt, über das deutsche Regietheater, Aufführungen von Marthaler, Ostermeier, Castorf, Schlingensief sind vielmehr Exportschlager auf internationalen Festivals. Ganz zu schweigen von Rimini Protokoll und manch anderen Vertretern des freien Theaters.

Kehlmanns Äußerungen haben überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Sie sind rein subjektiv zu verstehen, als Rache für Papi. Natürlich gibt es Leute, die nicht ins Theater gehen, weil dort oft in harten Bildern gesellschaftliche Probleme oder menschliche Obsessionen reflektiert werden. Aber ebenso gibt es auch Leute, die nicht gern Wagner hören oder Nagelbilder von Günther Uecker sehen.

Den Schutz der Kunst nicht mehr als öffentliche Aufgabe zu definieren, hieße, die Intoleranz zur Maxime gesellschaftlichen Handelns zu machen. Natürlich braucht auch subventioniertes Theater Publikum. Hat es auch, denn an den Münchner Kammerspielen, dem Deutschen Theater Berlin, dem Thalia-Theater Hamburg, wo all die Exponenten des Regietheaters arbeiten, kriegt man kaum eine Karte. Diese Theater funktionieren - wie viele andere auch - als Foren der Demokratie. Es sind die letzten Orte, an denen sich noch Menschen körperlich wie geistig begegnen, um die Fragen zu diskutieren, denen wir als Gemeinschaft gegenüber stehen. Diese Foren abschaffen zu wollen, weil einem eine bestimmte Ästhetik nicht gefällt, ist zynisch, gefährlich und reaktionär.

"Regietheater" ist überdies als Kampfbegriff völlig unbrauchbar. Denn es gibt fast nur noch Regietheater. Schauspieler, die nebenbei die Kollegen auf der Bühne arrangieren, sind längst Relikte der Vergangenheit. Selbst wenn sich Regisseure als Originalkünstler begreifen und sich über Vorgaben eines Textes hinweg setzen, weil sie ihn in Teilen nicht mehr zeitgemäß finden, kann das zu großartigen Ergebnissen führen. Wie in vielen früheren Arbeiten Peter Steins, Peter Zadeks, Claus Peymanns, der ersten Generation des "Regietheaters" heutiger Prägung. Der Trend der Dekonstruktion, wie ihn Frank Castorf prägte, ist längst wieder Vergangenheit. Es war nötig, sich der theatralen Mittel neu zu versichern, heute sind die meisten Regisseure längst wieder auf neuen Wegen.

Natürlich gibt es schlechtes Theater, aber das ist doch kein Grund, die ganze Kunstform zu diskreditieren. Schließlich gibt es sie deutlich länger als das Kino, Zeitungen, Fernsehen und Internet. Und es wird sie immer geben, weil das Spiel zu den ursprünglichen menschlichen Verhaltensformen gehört und die körperliche Begegnung, die auch zwischen Bühne und Zuschauern stattfindet, eine Qualität hat, die keine andere Kunstform jemals in diesem Maße erreichen wird.

Noch etwas zum "Diener des Autors": Wann hat es ihn eigentlich wirklich gegeben? Goethe zerdehnte Kleists "zerbrochnen Krug" bei der Uraufführung und setzte noch eine Oper davor, weil er dem Stück nicht traute. Schiller bearbeitete Texte anderer Dichter neu für die Bühne, adaptierte sie, wie heute John von Düffel Thomas Mann bearbeitet. Shakespeare adaptierte alles was er in die Finger bekam. Das waren Theaterleute, die für ihre Gegenwart arbeiteten, keine Dichterfürsten, die ihre Werke für die Ewigkeit konserviert sehen wollten.

Es handelt sich also keineswegs um eine "texttreue" Inszenierung, wenn ein Regisseur Klassiker in historischen Kostümen mit den Gesten und Tonfällen der Entstehungszeit inszeniert. Denn er interessiert sich nicht für den Geist eines Stückes. Das gilt übrigens auch für Opern, Giuseppe Verdi zum Beispiel wählte politische Themen, um Aussagen zu treffen. Ein Arrangement singender Kleiderständer wird ihm nicht gerecht, sondern nur der Versuch, seine Opern aus der Gegenwart neu zu denken.

Die Diskussion um das "Regietheater" ist in der derzeitigen Form schlicht Unfug. Über einzelne Inszenierungen zu streiten, kann Gewinn bringen. Es stimmt allerdings, dass einige Theater sich zu sehr in ihre Kunstansprüche verrennen. Ich begreife nicht, warum es kein Genretheater mehr gibt, wieso die anspruchsvollen Gattungen des Politthrillers, des Krimis, mit denen man viel über die Gegenwart auf populäre, spannende Weise erzählen kann, auf dem Theater keine Chance haben. Deutsche Autoren, die well made plays schreiben, gelten als zweitklassig, dafür stürzt man sich oft auf ähnliche Stücke aus dem Ausland. Oder adaptiert Filme und Romane.

Das ist ein konkreter Vorwurf, der diskutiert und für die Zukunft fruchtbar gemacht werden kann. Doch mit Pauschalvorwürfen Stammtische aufzuhetzen und die Stimmung zu vergiften, ist völlig sinnlos. Ich schwimme zum Beispiel nicht gern. Aber ich mach doch kein Gezeter, weil die Städte von meinen Steuern auch Schwimmbäder finanzieren. Ist doch okay, wenn andere gern ins Schwimmen kommen. Zumindest das sollten Kehlmann und seine Krawallkollegen doch nachvollziehen können.