Verwischte Bleistiftstriche

Von Anette Selg |
Die deutsche Comic-Szene öffnet zunehmend ihre Genregrenzen. Experimentelle Arbeiten werden verlegt - etwa Graphic Novels, grafische Romane mit einer meist in sich geschlossenen Geschichte. In diesem Monat erscheint im Berliner Comicverlag Reprodukt eine Graphic Novel der Berliner Comiczeichnerin Barbara Yelin über die Giftmörderin Gesche Gottfried.
"Der Begriff Comic ist doch immer noch belegt durch Superhelden oder Funny oder Fantasy und das weitet sich im Bewusstsein schon. Also die Grenzen von Comic sind ja fließend, das heißt, 'n Comic muss nicht zwangsläufig 'ne Sprechblase drin haben und er muss auch nicht zwangsläufig lustig sein.''"

Der Blick von Barbara YelinsArbeitsplatz im Obergeschoss eines Berliner Hinterhauses geht weit über die Dächer der Stadt. Seit 2004, seit ihrem Diplom an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, lebt die Comiczeichnerin und Illustratorin in Berlin-Mitte. Vor Kurzem hat sie eine Bildererzählung, eine Graphic Novel mit dem Titel "Gift" beendet, die im Frühjahr beim Berliner Verlag Reprodukt erscheint. Bei Yelins erster Publikation war das noch anders.

""Ich war noch im Studium, da trat ein französischer Verleger an mich heran, der Thierry Groensteen, der hatte irgendwo auf 'ner Messe was gesehen und dem hat das halt gefallen. Dieses erste Buch war 'ne stumme Bildergeschichte, heißt 'Le visiteur', und da hab ich hier keinen Verleger gefunden. Das war eben kein Kinderbuch, es war kein Comic, es war so irgendwas, und in Frankreich gibt's da 'ne ganz andere Kultur dafür."

Auch ihr zweites Comic-Buch "Le Retard" (Die Verspätung) wurde im Jahr 2006 von Groensteen in Frankreich verlegt.

Barbara Yelin, etwas über 30, ist eine schlanke große Frau. Die braunen Haare hat sie am Hinterkopf hochgesteckt. Ihre Familie in München bezeichnet sie als aufgeschlossenes Bürgertum – der Großvater bildender Künstler, der Vater Architekt. Mit dem Studium der Illustration schlug sie nicht aus der Art. Als sich ihr Schwerpunkt vom Zeichnen irgendwann zum Comic verlegte, schon eher.

"So bin ich auch erzogen, Comics sind eigentlich Schund, also mir wurde zwar Wilhelm Busch vorgelesen, das war super, aber das is' ja kein Comic, und wenn ich Comics gelesen hab, war das eigentlich Schund."

Dass Yelin zur Comiczeichnerin wurde, hat wohl auch mit der Hamburger Hochschule zu tun und der dort lehrenden Professorin Anke Feuchtenberger, die mit ihren Arbeiten seit 20 Jahren für einen ganz anderen Comicbegriff steht.

"Ich glaube schon, dass da viele Leute, ja nich' nur Frauen, aber eben auch Frauen, verstärkt dazukommen, die jetzt nich' schon mit 15 gewusst haben, dass sie auf jeden Fall Comiczeichnerin werden. Ich glaube, daran hat anfänglich wirklich einen großen Anteil die Feuchtenberger gehabt, weil die einfach ein Beispiel gegeben hat. "

An der Wand neben Yelins Arbeitsplatte hängen Entwürfe für das Titelblatt von "Gift". Das Gesicht einer Frau ist darauf, die unter einer weißen Haube verängstigt, misstrauisch und doch bedrohlich in die Welt schaut. Yelins dritte Buchpublikation basiert auf einer wahren Begebenheit.

"Das ist 'ne Geschichte, eigentlich ein historisches Drama, über 'nen Kriminalfall von 1831, wo in Bremen eine Mörderin enthauptet wurde. Die hieß Gesche Gottfried und die hat in dieser Zeit, das war so im tiefsten Biedermeier, über 13 Jahre weg 15 Leute vergiftet und es hat keiner was gemerkt."

Der Worpsweder Autor Peer Meter, der den Text zu "Gift" geschrieben hat, kam vor einigen Jahren mit seinem Projekt auf die Comiczeichnerin zu.

"Das Spannende an diesem Buch ist eben auch, dass der Peer Meter, der Autor, der hat als Einziger eigentlich diese original Verhörprotokolle von damals gelesen."

Yelins Bilder zeigen Räume, Straßen, Menschen, fast dreidimensional und sehr malerisch. Ihre Tiefe entsteht durch unzählige Bleischichten, die die Zeichnerin übereinander aufträgt. Neben einem weichen Bleistift ist für ihre Technik ein Radiergummi unerlässlich.

"Haufenweise Radiergummi verschiedener Arten, welche, die es verwischen, und welche, die es wieder aufhellen, das is' immer lustig, wenn man im Laden fragt nach Radiergummis, die möglichst verwischen, weil die kucken dann, die Leute wollen normalerweise das Gegenteil."

Einfach war es nicht, sagt Barbara Yelin, sich fast zwei Jahre lang derart intensiv mit der Giftmörderin Gesche Gottfried auseinanderzusetzen, wie sie ihre Kinder, Eltern, Ehemänner umbringt.

"Da bin ich bei mir an Grenzen gestoßen beziehungsweise an zeichnerische Erlebnisse, die ich so bisher noch nicht kannte. Und gegen Schluss hab ich sie zum Schafott geführt und hab das auch umgesetzt und dann war sie weg. Das war ein sehr intensiver Prozess."

Bei der Frage nach Einflüssen, Vorbildern, Inspiration zögert Barbara Yelin. Filme, Bücher, das Leben, sagt sie dann, aber auch die alten Meisterzeichner, Daumier , Goya, Rembrandt oder die Romantiker, allen voran Caspar David Friedrich.

"Es geht eigentlich in allem, was ich rezipiere oder sehe oder aufnehme, um 'ne Atmosphäre, um 'ne Stimmung, und dieses Gefühl, das ist, was ich dann gerne mit reinnehme in meine Arbeit. Und dieses Gefühl, das ist das Magische, das find ich total irre, das ist auch das, was diese kleinen Glücksmomente auslöst, dass man echt denkt WOW."