Verwundbarer Einhandsegler

In seinem neuen Buch spürt US-Schriftsteller Geoffrey Wolff dem amerikanischen Kapitän Joshua Slocum nach, der als erster Mensch allein die Welt umsegelte. "Slocum" ist literarische Biografie und Abenteuergeschichte in einem.
Es gibt viele Gründe, ein Buch über den ersten Einhand-Weltumsegler, Abenteurer und Klipperkapitän Joshua Slocum zu schreiben. Der frühere Literaturprofessor Geoffrey Wolff hatte einen ganz speziellen: Er ist den Texten verfallen, die Slocum über seine Fahrten verfasst hat, ihrer Dichte, ihrem Anspielungsreichtum. Wolff deutet Joshua Slocums Reiseprosa mit Zitaten von Sophokles bis Baudelaire und verortet den Segler in einer maritimen Literaturlandschaft, zusammen mit Herman Melville, Joseph Conrad und Stephen Crane. Auch in diesem Sinne ist "Slocum" eine literarische Biographie: Das Schreiben über das Meer ist eines der Themen dieses Buches,

Joshua Slocum ist 1909 im Alter von 64 Jahren im Atlantik verschollen. Davor hatte er fast alle Schiffe gesteuert, die damals auf den Weltmeeren unterwegs waren. Wolff lässt eine ganze Ära wieder auferstehen, die mit Schiffen vollgestopften Häfen, den Größenwahn der übertakelten Schnellsegler im 19. Jahrhundert, die grandiosen Profite – aber auch die noch größeren Risiken dieser Fahrten. Slocum hat beides erlebt. Er war Miteigner eines amerikanischen Großseglers, doch mit 45 war er pleite: "Familie Slocum war abgesoffen", so fasst Geoffrey Wolff den Tiefpunkt im Leben des späteren Einhandseglers zusammen.

Wolff folgt Slocums Biographie nicht mit blinder Bewunderung. Das zeigt sich zuerst in seiner beweglichen, angenehm respektlosen Sprache. So bietet er für den bis heute ungeklärten Tod des Seglers zwei Theorien an. Die poetische: der große Mann des Windjammerzeitalters wurde mit seiner Jacht von einem Handelsdampfer überfahren, also von der Moderne dahingerafft. Die prosaische: "Verwundbar sind Einhandsegler, wenn sie vom Heck ins Meer zu pinkeln versuchen, besonders nachts, wenn sie vielleicht nur halb wach sind."

Geoffrey Wolff schöpft aus einem beeindruckenden Fundus. Er collagiert seine Biographie aus Slocums eigenen Texten, aus dem Buch seines Sohnes Victor, aus anderen Biographien und zeitgenössischen Berichten. Man könnte leicht ertrinken in diesen Materialfluten, aber Wolff hält strikt Kurs auf seine zentrale Frage: Was war das für ein Mann, der als erster auf die wahnwitzige Idee kam, alleine um die ganze Welt zu segeln?

Slocum hat miterlebt, wie das Zeitalter der Segelschiffe zu Ende ging, wie die schlanken Segler aus Holz und Tuch von eisernen Dampfschiffen abgelöst wurden. Der Untergang dieser Welt hat Joshua Slocum hinausgetrieben in die Einsamkeit einer Weltumseglung. Aber es war noch etwas Stärkeres im Spiel: seine grenzenlose Liebe zum Segeln auf dem offenen Meer, in einer gewalttätigen Natur, die ihm mit Stürmen und Monsterwellen so oft fast das Leben gekostet hat.

Besprochen von Frank Meyer

Geoffrey Wolff: Slocum. Nur Reisen ist Leben
Aus dem Amerikanischen von Michael Kellner
Arche Verlag, Hamburg 2011
336 Seiten, 24,90 Euro