Verzeichnisse von Homer bis Süskind
Dass Umberto Eco eine Vorliebe für Listen pflegt, ist nicht weiter verblüffend. Irgendwie muss er seine enzyklopädische Bildung schließlich in den Griff bekommen – und wie gelänge das besser als mit Hilfe eines imaginären Katalogs, der Schneisen durch das Wissen schlägt?
Seit jeher betont der Zeichentheoretiker, Sprachphilosoph, Experte für Massenkultur, Mittelalterkenner, Kolumnist und Romancier Umberto Eco die Notwendigkeit von Ordnungssystemen. In seinem letzten Roman "Die Flamme der Königin Loana" (2004) erlitt sein Held, der Antiquar Giambattista Bodoni, einen Gedächtnisverlust. Um sich selbst auf die Schliche zum kommen, näherte er sich den Bestandteilen der Kultur seiner Jugend. Bodoni versank in Kisten voller Comics, Schellackplatten, alter Zeitungen und Romane.
Ecos Protagonisten fehlte das, was Erziehung und Kultur ausmacht: eine Instanz, die über den Wert und die Bedeutung von Informationen entscheidet. Ohne ein Ich, ohne die Möglichkeit, die private Enzyklopädie zu hierarchisieren, ist ein Wissensschatz nichts mehr wert. Genau dieser Gefahr setzen sich moderne Gesellschaften aus, in denen das Internet zur wichtigsten Quelle wird und die Informationsapokalypse droht.
Was der Zeichenexperte bereits auf literarischer Ebene durchexerziert hat, wird nun kulturgeschichtlich unterfüttert. Umberto Eco nimmt sich die Geschichte der Liste quer durch die Jahrhunderte vor und fördert überraschende Querverbindungen zu Tage. In seinem reich illustrierten Buch, das durch eine Ausstellung im Pariser Louvre flankiert wird, geht es um Verzeichnisse und Listen von Homer, der Bibel, dem Barockdichter Giambattista Marino, Ariost, Hieronymus Bosch oder Breughel bis zu Mark Twain, James Joyce, Thomas Mann, Thomas Pynchon, Marcel Duchamps, Andy Warhol, Patrick Süskind und vielen anderen.
Umberto Eco erläutert den aufzählenden Charakter von Bildern wie Carpaccios "Die zehntausend Märtyrer vom Berg Ararat" und Albrecht Dürers "Martyrium der zehntausend Christen", erklärt, was ein "Verzeichnis des Unsagbaren" ist und illustriert seine Thesen mit Zitaten aus Werken der Weltliteratur. Es gibt Listen von Dingen, von Orten, von Mirabilia, es gibt Kirchenschätze, Wunderkammern und Reliquiensammlungen.
Oft haben Listen von Heiligen, Kirchenvätern, Teufeln oder Tieren eine poetische Funktion und besitzen eine bestimmte Rhetorik. Spätestens seit Rabelais können Aufzählungen zum Exzess werden: Der Gelehrte der Pariser Sorbonne führt zum Beispiel elend lange Listen darüber auf, wie man sich den Hintern abwischen kann. Sein Schabernack ist ein Angriff auf die Ordnungsmanie seiner Kollegen. In Phasen kultureller Umbrüche wird die Liste besonders wichtig – so als wolle man sich, genau wie Ecos Romanheld, der eigenen Prägung und Herkunft vergewissern.
Man kann sich bei Umberto Eco auf die gewohnt vergnügliche Art bilden und viel hinzulernen. Bei einem derart umfangreichen Thema droht der Professor für Zeichentheorie allerdings, zum Opfer seines Prinzips zu werden: Auch sein Überblick ist kaum mehr als eine Aufzählung. Aber eine besonders schöne.
Besprochen von Maike Albath
Umberto Eco: Die unendliche Liste
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Carl Hanser Verlag, München 2009
408 Seiten, 39,90 Euro
Ecos Protagonisten fehlte das, was Erziehung und Kultur ausmacht: eine Instanz, die über den Wert und die Bedeutung von Informationen entscheidet. Ohne ein Ich, ohne die Möglichkeit, die private Enzyklopädie zu hierarchisieren, ist ein Wissensschatz nichts mehr wert. Genau dieser Gefahr setzen sich moderne Gesellschaften aus, in denen das Internet zur wichtigsten Quelle wird und die Informationsapokalypse droht.
Was der Zeichenexperte bereits auf literarischer Ebene durchexerziert hat, wird nun kulturgeschichtlich unterfüttert. Umberto Eco nimmt sich die Geschichte der Liste quer durch die Jahrhunderte vor und fördert überraschende Querverbindungen zu Tage. In seinem reich illustrierten Buch, das durch eine Ausstellung im Pariser Louvre flankiert wird, geht es um Verzeichnisse und Listen von Homer, der Bibel, dem Barockdichter Giambattista Marino, Ariost, Hieronymus Bosch oder Breughel bis zu Mark Twain, James Joyce, Thomas Mann, Thomas Pynchon, Marcel Duchamps, Andy Warhol, Patrick Süskind und vielen anderen.
Umberto Eco erläutert den aufzählenden Charakter von Bildern wie Carpaccios "Die zehntausend Märtyrer vom Berg Ararat" und Albrecht Dürers "Martyrium der zehntausend Christen", erklärt, was ein "Verzeichnis des Unsagbaren" ist und illustriert seine Thesen mit Zitaten aus Werken der Weltliteratur. Es gibt Listen von Dingen, von Orten, von Mirabilia, es gibt Kirchenschätze, Wunderkammern und Reliquiensammlungen.
Oft haben Listen von Heiligen, Kirchenvätern, Teufeln oder Tieren eine poetische Funktion und besitzen eine bestimmte Rhetorik. Spätestens seit Rabelais können Aufzählungen zum Exzess werden: Der Gelehrte der Pariser Sorbonne führt zum Beispiel elend lange Listen darüber auf, wie man sich den Hintern abwischen kann. Sein Schabernack ist ein Angriff auf die Ordnungsmanie seiner Kollegen. In Phasen kultureller Umbrüche wird die Liste besonders wichtig – so als wolle man sich, genau wie Ecos Romanheld, der eigenen Prägung und Herkunft vergewissern.
Man kann sich bei Umberto Eco auf die gewohnt vergnügliche Art bilden und viel hinzulernen. Bei einem derart umfangreichen Thema droht der Professor für Zeichentheorie allerdings, zum Opfer seines Prinzips zu werden: Auch sein Überblick ist kaum mehr als eine Aufzählung. Aber eine besonders schöne.
Besprochen von Maike Albath
Umberto Eco: Die unendliche Liste
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Carl Hanser Verlag, München 2009
408 Seiten, 39,90 Euro