"Furchtlos und treu"

Warum das Motto des VfB Stuttgart irritiert

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Schriftzug "furchtlos und treu" beim VfB Stuttgart
Das heutige VfB-Motto "Furchtlos und treu" war schon Motto des Hochadels im Hause Württemberg. © picture alliance / Pressefoto Baumann / Alexander Keppler
Von Ronny Blaschke |
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Seit zehn Jahren polarisiert der VfB Stuttgart seine Anhängerschaft mit dem eigenen Klub-Motto „Furchtlos und treu“. Der Slogan ist politisch umstritten, hat eine historische Bedeutung – und rechte Fans bezeichnen sich so.
Imagekampagnen spielen in der Bundesliga eine beachtliche Rolle. Borussia Dortmund setzt auf den Slogan „Echte Liebe“. Der FC Bayern vertraut auf „Mia san mia“.

Ein Motto für selbstbewusste Spieler

Und der VfB Stuttgart? Der nutzt seit zehn Jahren das Motto „Furchtlos und treu“. Damit möchte der VfB offenbar das Selbstbewusstsein seiner Spieler zum Ausdruck bringen, und auch die Heimatverbundenheit seiner Fans.
Doch Vincenzo Paladino, aufgewachsen in Stuttgart, sieht diesen Slogan kritisch:

„Man sieht den Slogan bei der Bierwerbung, im Stadion oder beim Einkaufen. Da muss man den VfB natürlich drauf hinweisen, welche Bedeutung ,Furchtlos und treu‘ in der Zeit vom Nationalsozialismus hatte.“

Vincenzo Paladino engagiert sich in Stuttgart in der Erinnerungsarbeit. Er organisiert Mahnwachen, recherchiert in Archiven, hilft bei der Verlegung von Stolpersteinen. Und er kritisiert, wenn Parolen aus der Geschichte in den Sprachgebrauch der Gegenwart eindringen.

Wurzeln im frühen 19. Jahrhundert

„Furchtlos und treu“ hat seine Wurzeln im frühen 19. Jahrhundert, als Motto des Hochadels im Hause Württemberg. Doch in den folgenden Jahrzehnten wird der Spruch immer wieder aufgegriffen und politisch umgedeutet - zum Beispiel von der Armee im Ersten Weltkrieg und später von den Nationalsozialisten.
Vincenzo Paladino ist auf Dutzende Zeitungsartikel und Postkarten mit dem Slogan „Furchtlos und treu“ gestoßen. 

Man hat Plakate aufgehängt, hat die schwäbische Bevölkerung aufgefordert, ,furchtlos und treu‘ in den Krieg zu ziehen. Die Gürtelschnallen waren versehen mit ,Furchtlos und treu‘. Es gibt im NS-Kurier eine Titelseite ,Schwaben - furchtlos und treu‘. Das war April 1945. Kurz vor Kriegsende hat man quasi noch mal die letzten Kräfte mit diesem Slogan mobilisiert.

Vincenzo Paladino

Als der VfB Stuttgart „Furchtlos und treu“ 2014 als Motto einführt, regt sich Kritik daran. Der VfB entgegnet, dass der Fußball diesen Slogan positiv umdeuten könne.

Frühe Kooperation des VfB mit der NSDAP

Vincenzo Paladino hält das für naiv. Gerade der VfB habe wegen seiner Vergangenheit eine besondere Verantwortung.  
Bereits 1932, vor der Machtübernahme der Nazis, stellt der VfB sein Gelände für eine Veranstaltung der NSDAP zur Verfügung. 1933 treibt der VfB – früher als andere Vereine – die so genannte „Arisierung“ voran und schließt jüdische Mitglieder aus.
Der Vereinsvorsitzende, das NSDAP-Mitglied Hans Kiener, wird nach dem Krieg als „Mitläufer“ eingestuft. Noch in den 50er-Jahren erhält er eine Verdienstnadel.
Und auch in den Jahrzehnten danach gibt es selten ein kritisches Bewusstsein, sagt der Publizist Bernd Sautter, der den Fußball in Stuttgart erforscht. So kursiert der Slogan „Furchtlos und treu“ weiter unter Fans.
Bernd Sautter:
„Es gab schon seit den frühen Nullerjahren Gruppen, die sich so genannt haben. Also der VfB ist damals auf einen Claim, auf einen Spruch, eine Parole gekommen, die deutlich rechte Anklänge hat und die auch von rechten Skinheadgruppen verwendet wurde.“

Hooligans nutzen gern den Slogan

Im Umfeld des VfB Stuttgart bezeichnen sich etliche Hooligans und rechte Fans gern als „furchtlos und treu“ - auf Stickern, in sozialen Medien, auf Tätowierungen. Junge Fans, die sich als unpolitisch verstehen, können über diesen Slogan auf rechte Gruppierungen aufmerksam werden. Und das in einer Zeit, in der die AfD mit sozialen Medien wie TikTok um Wähler und Mitglieder wirbt.
Auf Anfrage für diese Sendung schickt der VfB Stuttgart ausführliche schriftliche Antworten.

Der VfB betont Haltung der Fans

Darin heißt es unter anderem:
„Bis heute nimmt der VfB keine Anzeichen einer Anschlussfähigkeit für rechtsgerichtete Gruppierungen im Hinblick auf seine Anhängerschaft wahr, sondern sieht vielmehr, dass seitens seiner Fans hier in den letzten Jahren eine immer stärkere Positionierung gegen radikale, extremistische Haltungen und für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stattfindet.“
Der Stuttgarter Fußballexperte Bernd Sautter sieht das anderes. Er findet, dass ein großer Fußballklub in politisch aufgeladenen Zeiten auch in seinem Marketing für Offenheit, Vielfalt und Teilhabe stehen sollte:

,Furchtlos und treu‘ fordert von Mitgliedern ein bedingungsloses Folgen, Top-down der Obrigkeit. ,Furchtlos und treu‘ wurde eingeführt vor der Ausgliederungsversammlung, drei Jahre vorher. Brav haben die Mitglieder, ,furchtlos und treu‘ wie sie sind, zugestimmt, dass die VfB-AG ausgegliedert wird. ,Furchtlos und treu‘ fordert von den Mitgliedern Treue durch dick und dünn, egal was passiert und egal was von oben vorgesetzt wird.

Publizist Bernd Sautter

In Stuttgart besteht seit 2016 ein sozialpädagogisches Fanprojekt. Der VfB hat seine Rolle im Nationalsozialismus von einem unabhängigen Historiker untersuchen lassen.
2019 installiert der Klub auf seinem Gelände eine Stele für das Gedenken. Auf Anfrage verweist der VfB auch auf seine Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde. Doch ist das ausreichend für die Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, wo etliche Konzerne ihren Sitz haben?

Ohne Vereinsmuseum und NS-Dokuzentrum

Die Fußballklubs in München, Dortmund oder Frankfurt verfügen inzwischen über eigene Museen, in denen sie über ihre Vergangenheit im Nationalsozialismus informieren. Der VfB hat ein solches Museum nicht.
Bernd Sautter:
„Was völlig ärgerlich ist, ist zum Beispiel, dass beim Umbau der neuen Haupttribüne nicht an ein Museum gedacht wurde. Man hätte sich aber vielleicht auch bemühen können, in der Gegend am Cannstatter Bahnhof einen Raum zu bekommen. Da war historisch das Hotel Concordia, da wurde der VfB in der heutigen Form gegründet. Aber es passiert nichts.“

Der VfB hat noch kein Museum. Und die Stadt Stuttgart hat – anders als Berlin, München oder Köln – noch kein NS-Dokumentationszentrum.
Themen für eine historische Aufarbeitung gibt es reichlich, darunter der Slogan „Furchtlos und treu“. Und auch das Stadiongelände des VfB verdient eine Betrachtung. Während des Nationalsozialismus stand hier: die Adolf-Hitler-Kampfbahn.
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