Der Nachlass der jungen Wilden
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Sie traten an, um den Journalismus umzukrempeln – doch der Hype um junge Medienangebote wie "bento" und "zett" ist vorbei, sie werden verkleinert oder eingestampft. Was bleibt von ihnen in der Branche? Und wo setzt die Jugend in Zukunft ihre Themen?
"Buzzfeed", "bento", "Vice", "zett" – noch bis vor zwei, drei Jahren waren das große Namen, auf die viele in der Medienbranche geschaut haben: Junge Medien, die angetreten sind, um den Journalismus zu verjüngen, um neue Themengebiete zu bearbeiten, um im Netz junge Menschen zu erreichen. Doch dieser Hype scheint jetzt zu verklingen.
Ein Aushängeschild war lange Zeit "bento", das junge Angebot vom "Spiegel". Doch das wurde letztes Jahr eingestellt. "Buzzfeed Deutschland" wurde von der US-Mutter an die "Ippen-Gruppe" verkauft, "zett" wurde von einer eigenständigen Seite zu einem Ressort von "Zeit Online" und bei "Vice" mussten sehr viele aus der Redaktion ihren Hut nehmen.
Neue Marken aufzubauen ist schwer
Christoph Neuberger ist Professor an der FU Berlin und forscht zu Journalismus und digitalem Medienwandel. Für ihn hängt der Abschwung der jungen Medien damit zusammen, dass sie von ihren Mutterhäusern falsch aufgestellt wurden:
"Was oft als ökonomisches Motiv dahintersteht: Die jungen Menschen ans Bezahlprodukt heranzuführen, und das ist heute weitestgehend die gedruckte Zeitung. Das geht dann nicht so leicht auf, die Überführung ins klassische Angebot, weil die Marke als solche nicht erkennbar ist. Und das scheint ein Grund für die Einstellung dieser Angebote."
Anne-Kathrin Gerstlauer war stellvertretende Chefredakteurin bei "Watson", einem weiteren jungen Online-Medium. Jetzt ist sie Beraterin und Dozentin für Onlinejournalismus und Kommunikation mit Millennials. Sie sieht das Problem im schwierigen Markt:
"Es ist generell total schwierig, momentan ein großes Onlinemedium hochzuziehen, einfach weil der Anzeigenmarkt nicht besonders stark ist. Und Facebook funktioniert auch nicht mehr so wie früher. Ich kenne auch außerhalb der jungen Onlinemedien relativ wenige, die das mit großen Ansprüchen geschafft haben."
Chancen abseits der traditionellen Wege
Das – letztlich – wirtschaftliche Scheitern dieser jungen Medienangebote ist aber nur ein Aspekt. Die spannendere Frage ist ja: Wie haben diese Angebote zu ihren Hochzeiten den Journalismus, den medialen Diskurs, geprägt? Um das herauszufinden, muss man hinschauen, wem sie eine Stimme gegeben haben – zum Beispiel Ana Grujić:
"Ich wäre ohne diese jungen Medien nicht in den Journalismus gegangen – weil sie es halt denkbar einfach gemacht haben. Und sie haben eigentlich auch alle Lügen gestraft, die heute irgendwo auf einem Podium sitzen und sagen ‚es ist so schwer eine diverse Redaktion zu machen‘, weil sie haben es günstig und schnell gemacht."
Grujić, die früher unter anderem für "Vice" und "zett" schrieb, ist heute Redakteurin beim "Standard" in Österreich. Und sie ist in den Journalismus gekommen, weil eine "Vice"-Journalistin auf Twitter ein Bild geteilt hat, auf dem stand, wie man der Redaktion eine Story pitcht, samt Mailadresse.
Durch diese Niederschwelligkeit hatten auch Autorinnen und Autoren ohne gute Kontakte und viele Praktika eine Chance, im Journalismus Fuß zu fassen. Das führte dazu, dass die Redaktionen der jungen Angebote überdurchschnittlich divers besetzt waren – kein Zufall, wie Anne-Kathrin Gerstlauer erklärt:
"Man muss da eben bewusst nach suchen. Ich habe das Gefühl, dass viele Medien ihre Stellenausschreibungen irgendwo ins Internet stellen und dann muss man die finden. Und wir haben zum Beispiel bei ‚Watson‘ gezielt rekrutiert. Wir haben Menschen angeschrieben, wir haben mit Menschen gesprochen. Eigentlich haben wir uns bei denen beworben."
Traditionshäuser übernehmen Themen und Formen
Gerstlauer sagt außerdem, dass sie Studierenden früher immer geraten habe, den jungen Angeboten Artikel zu pitchen, weil man dort auch ohne Erfahrung eine Chance bekam. In traditionellen Häusern ist dies bis heute schwierig. Mit dem Verschwinden von "Vice", "bento" und Co. sei jetzt unklar, wo Nachwuchs ohne gute Kontakte unterkommen könnte.
Neben vielfältigeren Redaktionen haben die jungen Angebote auch neue Inhalte und Erzählformen in den Journalismus gebracht: Inhalte über Beziehungen, Psyche, Sex, Rassismus und Identität sind heute in allen Medien zu finden – genau wie die einst verpönte Ich-Geschichte.
Und auch wenn viele Witze darüber gemacht haben: Auch Listicles und Quizzes haben durch die jungen Angebote ihren Platz in den Medien bekommen – und zu Unrecht einen schlechten Ruf, wie Ana Grujić meint:
"Ich fand das immer ein bisschen schade, dass das belächelt worden ist. Was man nicht gesehen hat, ist, dass diese Inhalte erfolgreich waren. Die Leute wollten ja Personality Quizzes machen, die wollten Listicles lesen."
Die wirkliche Revolution kommt gerade erst
Die jungen Medien haben also neue Formate ins Spiel gebracht. Aber der wirklich große Umbruch, in dem befinden wir uns gerade erst, meint Christoph Neuberger von der FU Berlin:
"Ich glaube, das Prinzip von Redaktion, Marke und klar abgegrenztem Angebot ist infrage gestellt. Wenn man als Erfolgskriterium die Reichweite nimmt, ist das in der Tat diese Mehrkanaligkeit. Präsent sein auf möglichst vielen sozialen Medien. Und das heißt: Große Flexibilität zeigen, wenn man merkt, die Nutzung verschiebt sich. Und zum anderen stark die Personalisierung, was bedeutet, einzelne Personen in den Mittelpunkt zu rücken."
Mehr Interaktion für ein neues Publikum
Es geht also um nichts weiter, als die Zukunft der Medien – und nicht nur der jungen. Die Bedeutung der Mehrkanaligkeit betonen alle befragten Expertinnen und Experten. Eine davon ist Anna Metzentin, die für die Tagesschau Videos auf TikTok und Instagram produziert – die aber eigentlich mehr als nur Videos sind:
"Spannend ist, wenn man sich ein gut laufendes Video anschaut, dass ein großer Teil der Information in den Kommentaren stattfindet, weil wir auf Fragen antworten, weil wir dazu auch noch mal Fakten recherchieren. Es ist ein crossmediales Projekt geworden, das Video, weil wir viele Infos zum Lesen haben, aber auf Nachfrage. Es ist sehr vielschichtig geworden."
Dadurch würden auch ganz neue Zielgruppen erreicht, so Metzentin: "Wir hatten nicht mehr nur die Studenten, Akademiker und Abiturienten, sondern die, die Ausbildungen machen, die auf eine Haupt- oder Realschule gehen. Das sind die, die der Öffentlich-Rechtliche momentan ganz wenig erreicht. Und das war für uns ein großer Aha-Moment."