Das Elend aus der Welt schaffen
Der Schriftsteller Victor Hugo war so etwas wie das soziale Gewissen Frankreichs. Er setzte sich vehement für die Beseitigung des Massenelends ein − sein Roman "Les Misérables" wurde ein Jahrhundertwerk. Vor 130 Jahren starb Victor Hugo.
"Ich gehöre nicht zu jenen, meine Herren, die glauben, das Leid aus der Welt schaffen zu können. Leiden ist Teil des göttlichen Gesetzes. Aber ich gehöre zu denen, die davon überzeugt sind und darauf bestehen, dass man das Elend ausmerzen kann."
Victor Hugo am 9. Juli 1849 vor der Nationalversammlung der Zweiten Republik.
Er sprach als Abgeordneter der monarchistischen Fraktion. Empörte Zwischenrufe auf der rechten und begeisterter Applaus auf der linken Seite unterbrachen die Rede des wortgewaltigen Dichters, der da in scharfen Worten die soziale Lage anprangerte und die herrschende Politik verantwortlich machte. Der einstige Royalist Hugo hatte sich verändert: Er war zum radikalen Republikaner und Fürsprecher der verelendeten Massen geworden:
"Détruire la misère!"
Das Elend aus der Welt schaffen. Für den am 26. Februar 1802 in Besançon geborenen Sohn eines Offiziers war dies die zentrale Aufgabe der Gesellschaft.
Hochbegabt und zielstrebig
In die Wiege gelegt war ihm diese Erkenntnis freilich nicht. In gutsituierten bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, veröffentlichte der hochbegabte Junge schon mit 15 Jahren erste Gedichte und verfolgte zielstrebig seine vielversprechende literarische Karriere. Das Herz des jungen Dichters schlug für das alte Königtum. Nach dem Sturz Napoléons besang Hugo in "Odes et Poésies diverses" Karl X. als Garanten einer vorrevolutionären Ordnung. Erst 27 Jahre alt, erhielt er eine königliche Pension und wurde 1825 in die Ehrenlegion des Königs aufgenommen.
Seine Stoffe fand der als Wortführer der Romantischen Schule gefeierte Dichter in der Geschichte des Spätmittelalters: Gedichte, Dramen sowie 1831 der Erfolgsroman "Notre-Dame de Paris" entstehen. Immer öfter aber gerät er in Konflikte mit der Zensur, seine Stücke werden verboten. Als der Bürgerkönig Louis-Philippe im Juli 1830 den Thron besteigt, vertraut er dessen Proklamation:
"Die Verfassung ist nunmehr Wirklichkeit (...) die Zensur kann niemals wieder eingerichtet werden."
Ein leeres Versprechen: 1832 wird Hugos Theaterstück "Le Roi s'amuse" verboten.
Im Februar 1848 fegt die Revolution Louis-Philippe vom Thron: Frankreich wird Republik. Doch es ist keine soziale Republik: Der Aufstand der verelendeten Pariser Arbeiter im Juni 1848 wird im Blut erstickt. Diese Reaktion markiert für Hugo die Wende:
"Es gibt in Paris, in diesen Vorstädten, die der Wind der Revolte einst zum Aufstand getrieben hat, Straßen, Häuser, Kloaken, wo ganze Familien (...) mit einem in der Gosse gefundenen, schmutzigen Stück Stoff auskommen müssen; wo menschliche Kreaturen sich lebendig eingraben, um der winterlichen Kälte zu entfliehen (...)
Sie, meine Herren, haben gar nichts getan, solange das Volk so leidet."
Das Los der Ausgebeuteten
Seit langem arbeitete Hugo an einem Roman über das Los der Ausgebeuteten. Unterbrochen wurde die Arbeit durch die Februar-Revolution und den Staatsstreich von Napoléon III. im Dezember 1851. Victor Hugo war ein erbitterter Gegner der cäsaristischen Diktatur, er musste Frankreich verlassen. Im Exil auf Guernsey schließlich vollendete er jenen Roman, der zum Jahrhundertbuch werden sollte: "Les Misérables", Die Elenden, 1862 in Brüssel erschienen.
Arbeiter der Fabriken und Ateliers legten zusammen, um das Buch kaufen zu können, sie organisierten Lesungen, diskutierten. Über seinen grandiosen Erfolg vergaß Hugo doch nie das "Verbrechen" des Staatsstreichs: Ein Amnestieangebot lehnte er ab.
Erst nach dem Sturz des Kaisers in Folge des Deutsch-französischen Krieges kehrte der Dichter 1871 im Triumphzug zurück. In vielen Reden und Artikeln hatte er sich stets für Verständigung und Frieden eingesetzt und früh die Idee der Vereinigten Staaten von Europa propagiert. Am 22. Mai 1885 starb der als Volksheld verehrte Dichter. Beigesetzt wurde er im Panthéon.