Die Ausstellung "Brainwashed - Sammlung Goetz im Haus der Kunst" ist noch bis zum 28.6.2020 in München zu sehen.
Gehirnwäsche in den Nullerjahren
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Eine Ausstellung im Münchner "Haus der Kunst" führt zurück in die Zeit der Klapp-Handys und Nachmittags-Talkshows. "Brainwashed" zeigt Videokunst, die die Rolle der Massenmedien aufzeigt und sie zugleich hinterfragt.
Die Kuratorin Jana Baumann vom Haus der Kunst München hat sich durch die assoziierte Videokunst-Sammlung von Ingvild Goetz durchgeschaut – und hat zahlreiche Kunstfilme aus dieser Zeit zusammengetragen, die sich kritisch auf ihre mediale Umwelt beziehen. Die Schau, die daraus entstanden ist, heißt "Brainwashed".
"Is that true?" - "I don’t know". Die Talkshow als moralische Anstalt. "Is that true?" - "Yes". Raunen im Publikum. Der Talkmaster als Priester. So inszenierte sich der Videokünstler Bjørn Melhus 2001 in seiner Arbeit "The Oral Thing". Und reagierte auf ein grassierendes Phänomen in den Neunzigern, die Daytime-Talkshow am Nachmittag.
"Das Format der Daytime-Talkshow war eben, dass man da so Kandidaten eingeladen hat, die dann auf einer Bühne aufeinander losgelassen werden, die sich Geständnisse machen. Es hat dann auch ein bisschen etwas Pseudoreligiöses, vor einem großen Massenpublikum etwas zu gestehen. Also Sexualpraktiken oder dass man jemanden liebt oder eine Affäre hatte. Dann gab es ja später auch die Vaterschaftstests und sowas", sagt Bjørn Melhus.
In einem Fernsehstudio mit spaciger Einrichtung stellt er in den verschiedensten Rollen eine solche Talkshow nach. Als eine Art Playback-Talkshow. Denn die Töne stammen aus echten amerikanischen Fernsehmitschnitten. Im Video stellt Melhus die Szenen nach – und entstellt die Töne mit diesem neuen satirischen Setting. Es geht um Anklage und Vergebung, es geht um Phrasen, mit denen der Moderator Spannung beim Publikum erzeugt.
Zwischen Fernsehen und Digitalisierung
Und das alles für den reinen Zweck der Unterhaltung. Mantrahaft unterbrochen von Werbepausen. Eine Medienanalyse einer jüngeren, aber inzwischen vergangenen Ära. "Brainwashed" so lautet die neue Video-Schau in den Zellen des Luftschutzbunkers unter dem Haus der Kunst.
Die Kuratorin versammelt Videokunst aus der Zeit, als man sich die neuesten Pophits noch im Fernsehprogramm von MTV oder VIVA er-zappen musste, als die Jugend sich noch von Bravo und nicht vom Sex-Podcast aufklären ließ.
"Das ist glaube ich ein sehr interessanter Moment der Ausstellung, dass man sich an der Schnittstelle noch zwischen dem Fernsehzeitalter und der Digitalisierung bewegt. Und damit hat sich alles verändert. Auch das ist ja das Spannende der Kunst, dass in ihr etwas eingeschrieben ist, das wir vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren immer wieder auf eine andere Art und Weise lesen können. Und mir wird jetzt sehr stark deutlich, inwiefern damals eine Deutungshoheit bei den Massenmedien lag", so Baumann.
Die Massenmedien und ihre Ideale von der prickelnden Romantik: Mit einem tollen Mann wie dem Sänger Chris Isaak halbnackt am Strand rummachen – und dabei gut aussehen, wie das Modell Helena Kristensen. Dieses Szenario im Musikvideo "Wicked Games" nahm die Schweizer Videokunst-Pionierin Pipilotti Rist zum Anlass, den erotiktriefenden Clip mit Szenen aus ihrem etwas öden Künstlerinnenalltag zu konterkarieren. Zu "Wicked Games" unterhalten sich hier Omis im Café.
Früher Schock, heute Werbung
Geschlechterstereotypen sind stark im Fokus. Das Kunstkollektiv assume vivid astro focus würfelt sie heftig durcheinander – in einem bunten, wilden Musikvideo – in dem eine transsexuelle Person die Hauptrolle spielt, "die sich in dem Konzept der Hyperfeminität bewegt. Also ihre weiblichen Akzente hervorhebt und ihre angeborene Maskulinität zu verdecken, rekurriert damit auch so ein bisschen auf in den Medien propagierte Geschlechtsbilder und Darstellungen von Frauen, von nackten Frauen. Also sie schminkt sich hier, tanzt, hat Augenkontakt mit der Kamera, mit dem Betrachter", erläutert Kuratorin Baumann.
Was vor knapp 20 Jahren wohl noch stark schockierte, wirkt heute fast wie die Diversity-Werbung eines großen Mainstream-Konzerns. An queere Bilder haben sich viele inzwischen gewöhnt. Damals hatte sich die queere Künstler*innengruppe noch an anderem abzuarbeiten.
"Na, ich glaube, das Besondere ist, dass man damals dachte, man sei unheimlich aufgeklärt, das ist eine neue Form von Emanzipation – mit den ganzen Girl Groups. Ich denke zum Beispiel an die Spice Girls. Letztlich war es aber ein ganz schön klischeebehaftetes Rollenbild, das vorgelebt worden ist – auch der jüngeren Generation, eigentlich sehr beängstigend", meint Jana Baumann.
Bereit für Retro-Partys
In der Clubmusik wurde es in jenen Jahren härter. Der prosecco-perlende French-House wich düsteren Synthie-Klängen, inspiriert von den Achtzigern. Der Fotokünstler Wolfgang Tilmans scheint dieses Ende der Disko-Unschuld gespürt zu haben: In seiner Arbeit "Lights (Body)" filmt er in kühler Dokumentarfilmoptik die Clublichter, flimmernde Discokugeln und zappelnde Stroboskop-Strahler – ohne dabei einen einzigen tanzenden Menschen zu streifen.
Die Rückschau auf die Jahrtausendwende durch die Augen der Kunst - sie wirft deutliche, virulente Schlaglichter auf eine popkulturelle Ära, die sicherlich bald ebenso in Retro-Partys verklärt wird wie zuletzt die Neunziger – sie gibt Gelegenheit zu einer ersten kritischen Rückbesinnung.