Videos selbst drehen ist zum Volkssport geworden
Von der "Bewegtbildmüllhalde" habe sich YouTube in den letzten Jahren zu einem zweiten Massenmedium mit einer redaktionellen Community im Hintergrund entwickelt, sagt Medienredakteur Philip Banse. Das seien keine Nischenprodukte mehr, sondern echtes Jugendfernsehen.
Joachim Scholl: YouTube, dieses Wort gehört längst zu unserem medialen Wortschatz – das Internetportal mit Millionen Videos, und jeder kann sich dort künstlerisch verwirklichen. Und wie originell und professionell das inzwischen passiert, kann man morgen Abend in Düsseldorf oder live auf YouTube verfolgen, wenn zum dritten Mal der Webvideopreis vergeben wird. Für uns fährt der Kollege Philip Banse hin, unser Netzspezialist, jetzt ist er aber erst mal im Studio. Guten Tag!
Philip Banse: Hallo!
Scholl: Morgen im Kapitoltheater sind 1.000 handverlesene Gäste eingeladen, Prominenz aus Kultur und Politik. Dieser Preis, Herr Banse, ist längst nicht mehr eine kleine Internetcommunity-Freak-Veranstaltung, das ist großes Kino geworden, nicht wahr?
Banse: Auf jeden Fall, von den traditionellen Massenmedien eigentlich unbeachtet weitgehend hat sich halt auf YouTube ein zweites Massenmedium etabliert. Man verbindet YouTube ja häufig so mit – wie sagt man? – Bewegtbildmüllhalde, wo alle möglichen Leute ihre Videos abwerfen mit tanzenden Katzen und surfenden Hunden, das stimmt zum Teil auch, aber es hat sich halt in den letzten Jahren auch eine wirklich redaktionelle Community gebildet, die halt speziell für YouTube Videos produzieren, mehrmals am Tag, einmal am Tag, mehrmals in der Woche, und das sind halt keine Nischenprodukte, das ist das Jugendfernsehen geworden, wo große deutsche YouTube-Stars anderthalb Millionen Abonnenten haben und ein Video reinstellen – und das hat nach einer Woche 600.000 Views, in den Dimensionen bewegt sich das.
Scholl: Kommen wir mal zu den Kandidaten für den Preis morgen. Das Spektrum ist sehr breit, in insgesamt 13 Kategorien werden Preise verliehen, was sind das für Sparten?
Banse: Das sind Sparten, die halt dieses Spektrum tatsächlich auch wiederspiegeln sollen. Da gibt es natürlich einmal so diese klassischen YouTube-Sparten wie cute, also süß, wo dann ein Hund versucht, ein Frisbee aus dem Schwimmbecken zu holen und es ganz süß ist, oder auch so was wie Action, wo dann Jugendliche sich gegenseitig filmen beim Breakdance oder beim BMX-Fahren. Aber es gibt eben durchaus auch, sagen wir mal, anspruchsvolle Produktionen, die dann in der Kategorie laufen For your Information, FYI, was man so überschreiben könnte mit interessant, wo dann beispielsweise auch das Münchner Kammerorchester zu sehen ist auf einer Reise nach Nordkorea, was also eher so ein klassischer, wirklich gut gemachter Dokumentarfilm ist, die musizieren dort zusammen mit nordkoreanischen Musikern. Und es gibt so eine andere Kategorie, das ist FAQ, also Frequently asked Questions, also Sachen, die ihr schon immer mal wissen wolltet. Da wird dann halt erklärt, wie man ein Steak grillt oder wie man ein Bewerbungsgespräch führt oder dergleichen – also aus dem Spektrum kommt das.
Scholl: Erzählen Sie uns von den Filmen, die Sie – Sie haben sich alle Nominierten angesehen, was ist Ihnen da besonders aufgefallen?
Banse: Ich fand eine Sache besonders – also was heißt, ich fand mehrere Sachen schön. Aus dieser Reihe FYI, also interessant, fand ich zum Beispiel eine Darbietung, wo jemand mal zeigt, ein Musiklehrer zeigt, was hat eigentlich der "Skyfall", der aktuelle James-Bond-Song mit dem traditionellen James-Bond-Song aus diesen ersten Filmen zu tun, und er macht das sehr anschaulich mit zwei, drei Kameras, zeigt sozusagen die Harmonien auf dem Klavier, und man sitzt davor und bekommt sofort Lust, das nachzuspielen. Der analysiert so ein bisschen die Harmonien, wo sind Verbindungen zwischen den beiden Songs, wie haben die den alten Song aufgenommen, um den neuen draus zu machen – das fand ich sehr interessant.
Diese nordkoreanische Expedition des Kammerorchesters fand ich sehr interessant, ich fand aber auch gut zum Beispiel Le Floyd, das ist ein sehr bekannter YouTuber, der ist so 20, hat auch seine anderthalb Millionen Abonnenten, glaube ich, und der macht halt jeden Tag ein paar Minuten Video, wo er sich vor die Kamera stellt und zu seiner Community spricht. Das sind natürlich alles Jugendliche, aber er thematisiert da durchaus netzpolitische Fragen, allgemein menschliche Fragen, wie man so im privaten Zusammenleben besser klarkommen kann, und das macht er auf eine sehr gute und erfolgreiche Art, finde ich, und das waren so ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind.
Scholl: Da sind wir bei den Machern eigentlich, wer steckt denn hinter diesem Film? Sind das alles nur – ja, Sie haben vorhin schon gesagt, das sind nicht mehr nur noch Hobbyfreaks, die sich da tummeln, sondern das ist, da sind richtige Künstler am Werk?
Banse: Ja, auf jeden Fall. Es gibt da verschiedene Kategorien, das eine sind natürlich Erwachsene, die da irgendwelche professionellen Videos mittlerweile reinstellen, aber die große Masse macht eben tatsächlich Jugendliche aus, für die das Videomachen, das Medienmachen zum Teil zum Hobby geworden ist. So wie wir oder ich früher Fußball gespielt haben oder irgendwie Sport gemacht haben oder irgendwas anderes, ein Musikinstrument gelernt haben, ist halt die Videokamera, Webcam, Schneiden, Ton Machen, Comics Verwursten ist Volkssport, und das sind Jugendliche, zum Beispiel die Außenseiter, das sind so zwei Jungs, die als Aussiedler nach Deutschland gekommen sind, anfangs nur gebrochenes Deutsch gesprochen haben, und die machen halt Comics.
Finde ich nicht lustig, muss ich nicht drüber lachen, ist aber Jugendfernsehen, und die machen das sehr, sehr professionell, verdienen damit bei YouTube auch recht viel Geld, rüsten ihr Equipment auf. Und mittlerweile gibt es eben auch Produktionsfirmen wie Mediakraft, die halt gute Talente auf YouTube sichten, sie ein bisschen betreuen, das Format, am Format schleifen, und dann mit großen bekannten YouTubern zusammenbringen, um deren Reichweite zu erhöhen.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Philip Banse über den Webvideopreis, der heute Abend in Düsseldorf verliehen wird. Es haben sich ja schon richtige eigene YouTube-Genres gebildet.
Banse: Genau, ein paar davon haben wir schon angesprochen, FAQ ist sicherlich so eins, wo Sachen erklärt werden, die man immer schon mal wissen wollte, Grillen, oder ich habe neulich eine Fahrradkette repariert bei meinem Sohn, da habe ich mir auch auf YouTube angeguckt, wie funktioniert das eigentlich. Aber es gibt zum Beispiel auch dieses große Genre Let’s Play. Also Gronkh ist ein ganz populärer Vertreter, der spielt ein Videospiel, und zu sehen ist eigentlich nur der Bildschirm mit dem Videospiel, manchmal rechts klein unten eingeblendet der Spieler, und der Spieler erzählt halt aus dem Off: Jetzt gehe ich mal hierhin, habt ihr letztes Mal schon gesehen, wo ist denn hier der Schlüssel, wo ist denn der Schatz. So kann man sich Videospiele angucken, auch ein sehr erfolgreiches Genre, und Gronkh verdient damit – genau darf er es nicht sagen –, aber schon einige Zehntausend Euro im Monat.
Scholl: Mein Lieblingsgenre ist die Philosophie, auf die ich mal neulich zufällig gestolpert bin: Heidegger in drei Minuten, ein herrliches Video und man versteht wirklich was, ganz super. Ohne YouTube, Herr Banse, nicht dieser Preis. Der Kanal – man muss sich einfach noch mal wieder vergegenwärtigen – hat sich innerhalb weniger Jahre seit dem Gründungsjahr 2005 – ist ja noch gar nicht so lange her, trotzdem hat man das Gefühl, es gehört irgendwie schon dazu –, ist gar nicht mehr wegzudenken aus unserer medialen Welt.
Also zu einer solch gewaltigen Medien- und Kommunikationsmaschine sondergleichen entwickelt. Und da geht es, wie Sie sagen, ja schon längst nicht mehr um Musikvideos und schlichte Home-Bildchen über niedliche Katzen, da hat sich eigentlich ein richtiges kleines Parallel- … oder ein großes Paralleluniversum gebildet. Läuft es den anderen Bildmedien, also dem Kino, dem Fernsehen, nicht längst den Rang ab?
Banse: Ich glaube, da muss man unterscheiden zwischen Vertriebsweg und Inhalt. ich glaube, der Vertriebsweg, wie wir heute Fernsehen vertreiben, der wird nicht mehr lange überleben, dieses lineare Übertragen eines Programms per Satellit oder Kabel, und ich muss mich dann davor setzen, wenn mir das halt präsentiert wird. Das wird, glaube ich, zurückgehen und eine Ausnahmeerscheinung sein. Dieses YouTube-Prinzip, das wird sich etablieren, nämlich: Ich abonnier mir das, was mir gefällt, und guck mir das dann an, wann und wo ich will.
Das lässt sich natürlich auch mit traditionellen Fernsehinhalten machen. Ich habe auch mit ein paar YouTubern gesprochen: Sagt mal, wollt ihr denn eigentlich noch eure Rundfunkgebühr bezahlen, wenn ihr da bei YouTube seid? Sagen sie: Nein, das ist schon okay, was die Öffentlich-Rechtlichen produzieren, die Inhalte sind okay, die finden wir zum Teil gut, wir würden sie halt nur gerne abonnieren, ja, in unserem Kanal, und dann angucken, wann wir wollen. Und das ist, glaube ich, eher die Kluft, also nicht so sehr, was produzieren die Fernsehanstalten für Inhalte, sondern wie kommen die eigentlich zu den Leuten. Und das ist der große Umbruch, den wir bei YouTube eben sehen.
Scholl: Und den ganz Entscheidenden haben sie vorhin auch schon angesprochen, Herr Banse, das ist natürlich YouTube ja sozusagen als Kreativfaktor. Also allein die Möglichkeit, dort kostenlos Videos einzustellen und damit eventuell Millionen Menschen zu erreichen – ein Traum für jeden Künstler, der vorher eigentlich unerfüllbar gewesen ist, das ist ja ein unglaublicher Reiz.
Banse: Ja, und das, finde ich, sieht man auch ganz gut an einigen dieser nominierten Videos, ich kann das jedem nur empfehlen, Webvideopreis mal googeln und sich die Nominierten einfach mal anschauen. Ich habe da auch eine Weile davor gesessen, und meine Frau hat auch immer so rübergeschielt und wollte das am Anfang gar nicht sehen, und am Ende saß sie dann doch mit auf dem Sofa und war doch ganz fasziniert.
Weil eben zu sehen ist, diese unterschiedlichen … die unterschiedliche Bildsprache, die Kreativität, die verwursten dann Comics oder parodieren Lieder oder parodieren DSDS und nehmen sich verrückte Schnitte und integrieren Schriften und machen einfach – experimentieren, spielen –, und man spürt einfach auch, wenn das nicht alles toll ist, was man da sieht, aber man spürt: Aus diesem Sumpf YouTube wird es – und gibt es ja jetzt schon –, aber wird es noch mehr Innovationen geben. Und die entstehen da, weil da der Spielraum ist, weil da die Kosten so niedrig sind, und weil da einfach neue Leute zu diesem Bildmedium stoßen, die nichts mit traditionellem Fernsehen am Hut haben.
Scholl: Und öffentliche Sponsoren und Förderer haben den Kanal auch mittlerweile entdeckt, ne?
Banse: Na klar, das ist ein Geschäft, das vergessen oder sehen viele manchmal nicht. Es gibt in Deutschland einige – ich sage mal 30, 40, 50 – Leute, die können von ihren YouTube-Sachen extrem gut leben. Denn bei YouTube wird Werbung eingeblendet vor den Filmen und auf der Website, und davon gibt YouTube den Machern was ab. Und so Leute wie Gronkh oder Y-Titty, so eine Comedy-Truppe, die machen mehrere Tausend, manchmal sogar mehrere Zehntausend Euro im Monat Umsatz mit YouTube. Das ist nicht die Mehrheit, aber das gibt es, und dementsprechend groß ist natürlich auch das Interesse von Sponsoren.
Scholl: Zum Schluss noch: Der Preis morgen, Herr Banse – haben Sie einen Favoriten?
Banse: Na ja, gut, ich bin natürlich so ein bisschen Old School und fand dieses traditionell gemachte Video da mit den Nordkoreanern ganz hübsch, aber wie gesagt: Mein Favorit, wie gesagt, es gibt ja da mehrere Kategorien, aber ich fand diesen Klavierspieler mit seinen James-Bond-Geschichten fand ich ein tolles Beispiel, wie man recht sperrigen Inhalt eigentlich wirklich sympathisch, nett, verständlich, gut rüberbringen konnte.
Scholl: Dann viel Vergnügen bei der Veranstaltung, wir werden dann wieder von Ihren hören, Philip Banse, wenn die Auszeichnungen vergeben sind – der Webvideopreis in Düsseldorf, morgen findet die Verleihung statt, Karten dafür gab es nur auf Einladung, aber jedermann kann sich die Gala anschauen, natürlich live auf YouTube, ab 18 Uhr übrigens. Man hat die Sache klug und gnädig vorverlegt, damit man hinterher schön gemeinsam Champions League gucken kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Philip Banse: Hallo!
Scholl: Morgen im Kapitoltheater sind 1.000 handverlesene Gäste eingeladen, Prominenz aus Kultur und Politik. Dieser Preis, Herr Banse, ist längst nicht mehr eine kleine Internetcommunity-Freak-Veranstaltung, das ist großes Kino geworden, nicht wahr?
Banse: Auf jeden Fall, von den traditionellen Massenmedien eigentlich unbeachtet weitgehend hat sich halt auf YouTube ein zweites Massenmedium etabliert. Man verbindet YouTube ja häufig so mit – wie sagt man? – Bewegtbildmüllhalde, wo alle möglichen Leute ihre Videos abwerfen mit tanzenden Katzen und surfenden Hunden, das stimmt zum Teil auch, aber es hat sich halt in den letzten Jahren auch eine wirklich redaktionelle Community gebildet, die halt speziell für YouTube Videos produzieren, mehrmals am Tag, einmal am Tag, mehrmals in der Woche, und das sind halt keine Nischenprodukte, das ist das Jugendfernsehen geworden, wo große deutsche YouTube-Stars anderthalb Millionen Abonnenten haben und ein Video reinstellen – und das hat nach einer Woche 600.000 Views, in den Dimensionen bewegt sich das.
Scholl: Kommen wir mal zu den Kandidaten für den Preis morgen. Das Spektrum ist sehr breit, in insgesamt 13 Kategorien werden Preise verliehen, was sind das für Sparten?
Banse: Das sind Sparten, die halt dieses Spektrum tatsächlich auch wiederspiegeln sollen. Da gibt es natürlich einmal so diese klassischen YouTube-Sparten wie cute, also süß, wo dann ein Hund versucht, ein Frisbee aus dem Schwimmbecken zu holen und es ganz süß ist, oder auch so was wie Action, wo dann Jugendliche sich gegenseitig filmen beim Breakdance oder beim BMX-Fahren. Aber es gibt eben durchaus auch, sagen wir mal, anspruchsvolle Produktionen, die dann in der Kategorie laufen For your Information, FYI, was man so überschreiben könnte mit interessant, wo dann beispielsweise auch das Münchner Kammerorchester zu sehen ist auf einer Reise nach Nordkorea, was also eher so ein klassischer, wirklich gut gemachter Dokumentarfilm ist, die musizieren dort zusammen mit nordkoreanischen Musikern. Und es gibt so eine andere Kategorie, das ist FAQ, also Frequently asked Questions, also Sachen, die ihr schon immer mal wissen wolltet. Da wird dann halt erklärt, wie man ein Steak grillt oder wie man ein Bewerbungsgespräch führt oder dergleichen – also aus dem Spektrum kommt das.
Scholl: Erzählen Sie uns von den Filmen, die Sie – Sie haben sich alle Nominierten angesehen, was ist Ihnen da besonders aufgefallen?
Banse: Ich fand eine Sache besonders – also was heißt, ich fand mehrere Sachen schön. Aus dieser Reihe FYI, also interessant, fand ich zum Beispiel eine Darbietung, wo jemand mal zeigt, ein Musiklehrer zeigt, was hat eigentlich der "Skyfall", der aktuelle James-Bond-Song mit dem traditionellen James-Bond-Song aus diesen ersten Filmen zu tun, und er macht das sehr anschaulich mit zwei, drei Kameras, zeigt sozusagen die Harmonien auf dem Klavier, und man sitzt davor und bekommt sofort Lust, das nachzuspielen. Der analysiert so ein bisschen die Harmonien, wo sind Verbindungen zwischen den beiden Songs, wie haben die den alten Song aufgenommen, um den neuen draus zu machen – das fand ich sehr interessant.
Diese nordkoreanische Expedition des Kammerorchesters fand ich sehr interessant, ich fand aber auch gut zum Beispiel Le Floyd, das ist ein sehr bekannter YouTuber, der ist so 20, hat auch seine anderthalb Millionen Abonnenten, glaube ich, und der macht halt jeden Tag ein paar Minuten Video, wo er sich vor die Kamera stellt und zu seiner Community spricht. Das sind natürlich alles Jugendliche, aber er thematisiert da durchaus netzpolitische Fragen, allgemein menschliche Fragen, wie man so im privaten Zusammenleben besser klarkommen kann, und das macht er auf eine sehr gute und erfolgreiche Art, finde ich, und das waren so ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind.
Scholl: Da sind wir bei den Machern eigentlich, wer steckt denn hinter diesem Film? Sind das alles nur – ja, Sie haben vorhin schon gesagt, das sind nicht mehr nur noch Hobbyfreaks, die sich da tummeln, sondern das ist, da sind richtige Künstler am Werk?
Banse: Ja, auf jeden Fall. Es gibt da verschiedene Kategorien, das eine sind natürlich Erwachsene, die da irgendwelche professionellen Videos mittlerweile reinstellen, aber die große Masse macht eben tatsächlich Jugendliche aus, für die das Videomachen, das Medienmachen zum Teil zum Hobby geworden ist. So wie wir oder ich früher Fußball gespielt haben oder irgendwie Sport gemacht haben oder irgendwas anderes, ein Musikinstrument gelernt haben, ist halt die Videokamera, Webcam, Schneiden, Ton Machen, Comics Verwursten ist Volkssport, und das sind Jugendliche, zum Beispiel die Außenseiter, das sind so zwei Jungs, die als Aussiedler nach Deutschland gekommen sind, anfangs nur gebrochenes Deutsch gesprochen haben, und die machen halt Comics.
Finde ich nicht lustig, muss ich nicht drüber lachen, ist aber Jugendfernsehen, und die machen das sehr, sehr professionell, verdienen damit bei YouTube auch recht viel Geld, rüsten ihr Equipment auf. Und mittlerweile gibt es eben auch Produktionsfirmen wie Mediakraft, die halt gute Talente auf YouTube sichten, sie ein bisschen betreuen, das Format, am Format schleifen, und dann mit großen bekannten YouTubern zusammenbringen, um deren Reichweite zu erhöhen.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Philip Banse über den Webvideopreis, der heute Abend in Düsseldorf verliehen wird. Es haben sich ja schon richtige eigene YouTube-Genres gebildet.
Banse: Genau, ein paar davon haben wir schon angesprochen, FAQ ist sicherlich so eins, wo Sachen erklärt werden, die man immer schon mal wissen wollte, Grillen, oder ich habe neulich eine Fahrradkette repariert bei meinem Sohn, da habe ich mir auch auf YouTube angeguckt, wie funktioniert das eigentlich. Aber es gibt zum Beispiel auch dieses große Genre Let’s Play. Also Gronkh ist ein ganz populärer Vertreter, der spielt ein Videospiel, und zu sehen ist eigentlich nur der Bildschirm mit dem Videospiel, manchmal rechts klein unten eingeblendet der Spieler, und der Spieler erzählt halt aus dem Off: Jetzt gehe ich mal hierhin, habt ihr letztes Mal schon gesehen, wo ist denn hier der Schlüssel, wo ist denn der Schatz. So kann man sich Videospiele angucken, auch ein sehr erfolgreiches Genre, und Gronkh verdient damit – genau darf er es nicht sagen –, aber schon einige Zehntausend Euro im Monat.
Scholl: Mein Lieblingsgenre ist die Philosophie, auf die ich mal neulich zufällig gestolpert bin: Heidegger in drei Minuten, ein herrliches Video und man versteht wirklich was, ganz super. Ohne YouTube, Herr Banse, nicht dieser Preis. Der Kanal – man muss sich einfach noch mal wieder vergegenwärtigen – hat sich innerhalb weniger Jahre seit dem Gründungsjahr 2005 – ist ja noch gar nicht so lange her, trotzdem hat man das Gefühl, es gehört irgendwie schon dazu –, ist gar nicht mehr wegzudenken aus unserer medialen Welt.
Also zu einer solch gewaltigen Medien- und Kommunikationsmaschine sondergleichen entwickelt. Und da geht es, wie Sie sagen, ja schon längst nicht mehr um Musikvideos und schlichte Home-Bildchen über niedliche Katzen, da hat sich eigentlich ein richtiges kleines Parallel- … oder ein großes Paralleluniversum gebildet. Läuft es den anderen Bildmedien, also dem Kino, dem Fernsehen, nicht längst den Rang ab?
Banse: Ich glaube, da muss man unterscheiden zwischen Vertriebsweg und Inhalt. ich glaube, der Vertriebsweg, wie wir heute Fernsehen vertreiben, der wird nicht mehr lange überleben, dieses lineare Übertragen eines Programms per Satellit oder Kabel, und ich muss mich dann davor setzen, wenn mir das halt präsentiert wird. Das wird, glaube ich, zurückgehen und eine Ausnahmeerscheinung sein. Dieses YouTube-Prinzip, das wird sich etablieren, nämlich: Ich abonnier mir das, was mir gefällt, und guck mir das dann an, wann und wo ich will.
Das lässt sich natürlich auch mit traditionellen Fernsehinhalten machen. Ich habe auch mit ein paar YouTubern gesprochen: Sagt mal, wollt ihr denn eigentlich noch eure Rundfunkgebühr bezahlen, wenn ihr da bei YouTube seid? Sagen sie: Nein, das ist schon okay, was die Öffentlich-Rechtlichen produzieren, die Inhalte sind okay, die finden wir zum Teil gut, wir würden sie halt nur gerne abonnieren, ja, in unserem Kanal, und dann angucken, wann wir wollen. Und das ist, glaube ich, eher die Kluft, also nicht so sehr, was produzieren die Fernsehanstalten für Inhalte, sondern wie kommen die eigentlich zu den Leuten. Und das ist der große Umbruch, den wir bei YouTube eben sehen.
Scholl: Und den ganz Entscheidenden haben sie vorhin auch schon angesprochen, Herr Banse, das ist natürlich YouTube ja sozusagen als Kreativfaktor. Also allein die Möglichkeit, dort kostenlos Videos einzustellen und damit eventuell Millionen Menschen zu erreichen – ein Traum für jeden Künstler, der vorher eigentlich unerfüllbar gewesen ist, das ist ja ein unglaublicher Reiz.
Banse: Ja, und das, finde ich, sieht man auch ganz gut an einigen dieser nominierten Videos, ich kann das jedem nur empfehlen, Webvideopreis mal googeln und sich die Nominierten einfach mal anschauen. Ich habe da auch eine Weile davor gesessen, und meine Frau hat auch immer so rübergeschielt und wollte das am Anfang gar nicht sehen, und am Ende saß sie dann doch mit auf dem Sofa und war doch ganz fasziniert.
Weil eben zu sehen ist, diese unterschiedlichen … die unterschiedliche Bildsprache, die Kreativität, die verwursten dann Comics oder parodieren Lieder oder parodieren DSDS und nehmen sich verrückte Schnitte und integrieren Schriften und machen einfach – experimentieren, spielen –, und man spürt einfach auch, wenn das nicht alles toll ist, was man da sieht, aber man spürt: Aus diesem Sumpf YouTube wird es – und gibt es ja jetzt schon –, aber wird es noch mehr Innovationen geben. Und die entstehen da, weil da der Spielraum ist, weil da die Kosten so niedrig sind, und weil da einfach neue Leute zu diesem Bildmedium stoßen, die nichts mit traditionellem Fernsehen am Hut haben.
Scholl: Und öffentliche Sponsoren und Förderer haben den Kanal auch mittlerweile entdeckt, ne?
Banse: Na klar, das ist ein Geschäft, das vergessen oder sehen viele manchmal nicht. Es gibt in Deutschland einige – ich sage mal 30, 40, 50 – Leute, die können von ihren YouTube-Sachen extrem gut leben. Denn bei YouTube wird Werbung eingeblendet vor den Filmen und auf der Website, und davon gibt YouTube den Machern was ab. Und so Leute wie Gronkh oder Y-Titty, so eine Comedy-Truppe, die machen mehrere Tausend, manchmal sogar mehrere Zehntausend Euro im Monat Umsatz mit YouTube. Das ist nicht die Mehrheit, aber das gibt es, und dementsprechend groß ist natürlich auch das Interesse von Sponsoren.
Scholl: Zum Schluss noch: Der Preis morgen, Herr Banse – haben Sie einen Favoriten?
Banse: Na ja, gut, ich bin natürlich so ein bisschen Old School und fand dieses traditionell gemachte Video da mit den Nordkoreanern ganz hübsch, aber wie gesagt: Mein Favorit, wie gesagt, es gibt ja da mehrere Kategorien, aber ich fand diesen Klavierspieler mit seinen James-Bond-Geschichten fand ich ein tolles Beispiel, wie man recht sperrigen Inhalt eigentlich wirklich sympathisch, nett, verständlich, gut rüberbringen konnte.
Scholl: Dann viel Vergnügen bei der Veranstaltung, wir werden dann wieder von Ihren hören, Philip Banse, wenn die Auszeichnungen vergeben sind – der Webvideopreis in Düsseldorf, morgen findet die Verleihung statt, Karten dafür gab es nur auf Einladung, aber jedermann kann sich die Gala anschauen, natürlich live auf YouTube, ab 18 Uhr übrigens. Man hat die Sache klug und gnädig vorverlegt, damit man hinterher schön gemeinsam Champions League gucken kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.