Künstlerinnen gegen Gesichterkennung
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Die Überwachung im Moskauer Stadtraum wird immer dichter. Mehr als 100.000 Kameras zur Gesichtserkennung hängen dort - ein Aufregerthema, das auch von Aktionskünstlern aufgegriffen wird.
Eine in die Wand eingelassene kleine Videokamera spricht plötzlich die Besucher an, und die zucken zusammen.
"Sie hinterlassen zu viele Spuren. Jetzt beobachten wir sie."
Gesichtserkennung ist ein großes Thema in Moskau. Mit entsprechender Software zum Sammeln von Daten wurden schon weit mehr als 100.000 Kameras der Hauptstadt ausgerüstet.
Der Moskauer Bürgermeister will mit ihnen Kriminelle schnell aufspüren können. Die Kameras hängen in Bussen, auf öffentlichen Plätzen, in Hauseingängen.
Die 18-jährige Dascha regt das auf. Sie hat eine Performance gegen diese Form der Überwachung mit organisiert.
"Sie haben bestimmt die Kameras in der Metro gesehen – auf Augenhöhe an den Durchlässen. Die kommen ganz nah an unsere Gesichter ran, hängen nicht mehr nur irgendwo an der Wand. Wir wollen wissen, wo die Daten und Fotos von unserem Gesicht gespeichert werden und wer sie nutzt."
Dazu gibt es von der Stadt aber keine Informationen. Außerdem stört die Kritiker, dass mit der Gesichtserkennung auch Leute aufgespürt werden können, die sich bei Protesten kritisch gegenüber der russischen Führung zeigen.
Zeit der spektakulären Aktionen ist vorbei
Weil sich das politische Umfeld verändert habe, sei die Aktionskunst leiser geworden, sagt Katrin Nenaschewa, eine der in der Szene bekanntesten Aktionskünstlerinnen. Polizeieinsätze und Festnahmen als Teil der Kunst errege keine Aufmerksamkeit mehr.
"Weil mittlerweile ja jetzt alle verhaftet werden. Deswegen betrachten wir es als unsere Aufgabe darin, mit Leuten vor Ort zusammenzukommen, mit konkreten sozialen Problemen, auch wenn das nur die kleinen Dinge sind."
Die 26-jährige Katrin Nenaschewa engagiert sich mit ihren künstlerischen Aktionen nicht nur gegen die Gesichtserkennung, sondern vor allem gegen Folter und Gewalt. Gegen unmenschliche Bedingungen in der Psychiatrie ist sie vor dreieinhalb Jahren mit einem Krankenhausbett durch die Hauptstadt gezogen.
Die Leute ziehen sich zurück
Dabei hätten es die Künstler immer schwerer, erzählt sie. Mittlerweile könne unter dem Vorwand, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu verletzten, fast jeder festgenommen werden.
"Die Menschen sind schweigsam, aber wir wollen einen Dialog. Doch wir wollen einen Dialog", sagt die Kamera zwischendrin.
Tatsächlich finden die Menschen in dem Land, das immer wieder Repression erlebt, oft keine Worte für das, was sie beschäftigt. Sie ziehen sich in sich zurück.
"Die Arbeit mit diesen zurückgezogenen Leuten, der Versuch, ihnen ein Gesicht und eine Stimme zu verleihen, das ist die Aufgabe von uns Kunstaktivisten", sagt Nenaschewa.
Es sind vor allem junge Leute, Mitte bis Ende zwanzig, die sich die Aktion der Künstler anschauen. Und sie kommt gut an. Die 25-jährige Maria ist dankbar für die Idee:
"Menschen zuzuhören - das ist eigentlich sowas wie das Recht auf Redefreiheit. Und damit beginnt ja eigentlich Demokratie. Jede Veränderung in der Gesellschaft."