Viel Gestank und kein Skandal
Skandal in Berlin - so hallte es dem Gastspiel von Castelluccis aktuellem Stück voraus, und der Berliner Erzbischof, Kardinal Woelki, hatte es vorab schon mal als "unanständig" bezeichnet. Michael Laages dagegen hat das Stück gesehen und konnte keinen Skandal entdecken - und auch keine Gotteslästerung.
Die Sehnsucht nach Skandal ist ja groß im Medienbetrieb, und das Theater ist ein Ort, in dem "Skandale" über die Jahrzehnte hin immer mal wieder möglich waren; von den blutigen Ritualen des österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch über die Provokationen des Choreographen Johann Kresnik bis zu Claus Peymann, der jenseits der Bühne Spenden sammelte für den Zahnersatz der Terroristin Gudrun Ensslin. Skandalträchtig zurzeit scheint jeglicher Umgang mit Religion zu sein, speziell mit den Bildern, den AbBildern, den Ikonen des Glaubens, und nicht nur unter islamischen Fundamentalisten.
Die aktuelle Performance des italienischen Bilderstürmers Romeo Castellucci etwa war in Paris höchst umstritten, beim Gastspiel in Berlin aber zeigte sich die deutsche Theater-Szene wieder mal skandalresistent.
Zuletzt entfachte ja in Hamburg das Thalia Theater mit dem "Gólgota Picnic" des notorischen Theater-Provokateurs Rodrigo Garcia aus dem erzkatholischen Spanien laue Lüftchen des Protests - ein Häuflein fundamental Gläubiger stimmte fromme Gesänge an gegen das Stück und das Hamburger Schmuddelwetter, während das Thalia Theater massiv Sicherheitskräfte einsetzte und die Pius-Brüder (ausgerechnet die Bande des Nazi-Bischofs Williamson!) eine einstweilige Verfügung erwirken wollten, da hat die Hamburger Justiz wohl herzlich gelacht.
Aber nicht mal derlei Kleinigkeiten begleiteten in Berlin Castelluccis verstörendes Theater, in dem viel echter Kot auf der Bühne herum stinkt und gegen Ende ein überdimensionales Christus-Bild erst erfolglos mit Handgranaten beworfen und dann einigermaßen eklig demontiert wird.
In Deutschland funktioniert das einfach nicht; anders als in Frankreich, wo es innerhalb der katholischen Kirche eine starke fundamentalistische Minderheit gibt – an den Bischof Lefebvre selig sei erinnert. Der Berliner Bischof gab sicher nur deshalb ein wenig Protest gegen Castellucci zu Protokoll, weil ihn die BILD-Zeitung danach fragte auf der Jagd nach Skandal; von alleine wäre er sicher nicht drauf gekommen.
Wir stehen weniger vor einem Theater- als vor einem Medienproblem - generell begeben sich die unterschiedlichsten Meinungsbildner hierzulande (und wir fassen uns dabei unbedingt auch die an die eigene Nase) viel zu eilig, unreflektiert und fahrlässig mit hinein in den Trend zur Skandalisierung, Arm in Arm und in schlechter Gesellschaft mit dem zwischen Flensburg und Freilassing zum Glück (oder meinetwegen auch: Gott sei Dank!) nicht wirklich stark entwickelten Fundamentalismus der Islamisten. Skandalismus sucht Futter, wo er zu finden sein könnte; notfalls werden vollkommen idiotische Debatten vom Zaun gebrochen über "Ekel-Theater" oder die Frage, ob sich weißhäutige Schauspieler schwarz schminken dürfen …
Theatermacher an sich haben ja wenig bis gar kein Interesse am Skandal, ihr Metier, Kern und Seele und Herz ihrer Arbeit ist die künstlerische Durchdringung eines Themas. Das mag sich in einem literarischen Text finden oder politisch auf der Straße liegen – der Skandal ist nicht nötig, um sich (als Publikum gemeinsam mit Autoren, Regie-Teams und Ensembles) in die Auseinandersetzung mit Thema und Text zu begeben. Den Skandal lässt sich das Theater aufzwingen von einer Welt, die von der langsamen, reflektierenden Erkenntnis- und Gemeinschaftsstiftung der Bühnenkünste nicht mehr sehr viel wissen will. Fernsehen und Film sorgen für die stärkeren Reize, ob blutig oder eklig oder erregend; das Internet liefert obendrein jederlei Exzess frei Haus.
Was allerdings auf dem elektronischen Daten-Rummelplatz kaum jemanden mehr aufregt, entwickelt gelegentlich (und zugleich praktisch nur noch) im eher intimen Rahmen einer Theatervorstellung das angemessene Erregungspotenzial. Künstlerinnen und Künstler, die sich dieser Ausweglosigkeit mehr oder minder bewusst sind (Romeo Castellucci gehört dazu), verstehen mit den physischen und psychischen Reiz- und Reaktionsmustern zu spielen; Castellucci jetzt in Berlin (und 2010 auch schon beim "Theater der Welt" im Ruhrgebiet) mit der quälenden Erregung und Belästigung des höchst sensiblen menschlichen Geruchsnervs durch das mächtig stinkende Windelnwechseln des schicken Sohns am dementen, inkontinenten Vater.
Eine gute Stunde dauert diese Quälerei – jammernd ohne Sprache, immerzu weinend Entschuldigungen hervor stammelnd, verwandelt der greise Papa das mit feinem weißen Mobiliar voll gestellte Wohnzimmer in ein stinkendes Inferno; der Sohn, fein heraus geputzt, weil er gerade etwas anderes vorhat (woran ihn das Handy ein paar Mal erinnert), putzt und wischt, feudelt und schrubbt hinter dem Alten her, windelt ihn auch zwei Mal neu – aber der Strom des Drecks will nicht versiegen. Immer verzweifelter versucht der Sohn die Haltung zu bewahren – bis er wohl selber den Vater zur Hölle wünscht und sich dem bühnenhaushohen Christusbild im Hintergrund zuwendet. Ein Kuss der Verzweiflung, der Hoffnung auf Erlösung – das ist das Bild am Ende des familiären Elends.
Dann kommen (wie gesagt) die Kinder mit den Handgranaten, und dies ist das einzige Bild, über das sich ernsthaft streiten lässt; danach folgt die Zerstörung des Christusbildes. Hinter der Bildfläche jedoch leuchtet dann immer noch ein zentraler Satz des Christentums auf: You are my Sheperd, Du bist mein Hirte; alternierend mit der Verneinung: Du bist nicht mein Hirte. Im Bild vom "guten Hirten" aber sind natürlich Vater und Sohn der Pflegeszene aufgehoben; und mit ihnen die Leiden der Menschheit.
Wenn es überhaupt einen Skandal gibt in Berlin, dann diesen: das wirkliche Leben; die Gegenwart der qualvoll-verzweifelten Hilflosigkeit gegenüber körperlichem und geistigem Verfall, hier hyperrealistisch, eklig und alltäglich abgebildet in einem Bild, das Millionen aus dem Alltag ihrer kranken, alten, hinfälligen Eltern sehr gut kennen. Wer da das Angesicht Christi sucht, und also eine Art Erlösung, der ist von "Schande" und "Gotteslästerung" weltenweit weg; wer so etwas ausmacht in Castelluccis Theater, dem ist wohl nicht wirklich zu helfen.
Die aktuelle Performance des italienischen Bilderstürmers Romeo Castellucci etwa war in Paris höchst umstritten, beim Gastspiel in Berlin aber zeigte sich die deutsche Theater-Szene wieder mal skandalresistent.
Zuletzt entfachte ja in Hamburg das Thalia Theater mit dem "Gólgota Picnic" des notorischen Theater-Provokateurs Rodrigo Garcia aus dem erzkatholischen Spanien laue Lüftchen des Protests - ein Häuflein fundamental Gläubiger stimmte fromme Gesänge an gegen das Stück und das Hamburger Schmuddelwetter, während das Thalia Theater massiv Sicherheitskräfte einsetzte und die Pius-Brüder (ausgerechnet die Bande des Nazi-Bischofs Williamson!) eine einstweilige Verfügung erwirken wollten, da hat die Hamburger Justiz wohl herzlich gelacht.
Aber nicht mal derlei Kleinigkeiten begleiteten in Berlin Castelluccis verstörendes Theater, in dem viel echter Kot auf der Bühne herum stinkt und gegen Ende ein überdimensionales Christus-Bild erst erfolglos mit Handgranaten beworfen und dann einigermaßen eklig demontiert wird.
In Deutschland funktioniert das einfach nicht; anders als in Frankreich, wo es innerhalb der katholischen Kirche eine starke fundamentalistische Minderheit gibt – an den Bischof Lefebvre selig sei erinnert. Der Berliner Bischof gab sicher nur deshalb ein wenig Protest gegen Castellucci zu Protokoll, weil ihn die BILD-Zeitung danach fragte auf der Jagd nach Skandal; von alleine wäre er sicher nicht drauf gekommen.
Wir stehen weniger vor einem Theater- als vor einem Medienproblem - generell begeben sich die unterschiedlichsten Meinungsbildner hierzulande (und wir fassen uns dabei unbedingt auch die an die eigene Nase) viel zu eilig, unreflektiert und fahrlässig mit hinein in den Trend zur Skandalisierung, Arm in Arm und in schlechter Gesellschaft mit dem zwischen Flensburg und Freilassing zum Glück (oder meinetwegen auch: Gott sei Dank!) nicht wirklich stark entwickelten Fundamentalismus der Islamisten. Skandalismus sucht Futter, wo er zu finden sein könnte; notfalls werden vollkommen idiotische Debatten vom Zaun gebrochen über "Ekel-Theater" oder die Frage, ob sich weißhäutige Schauspieler schwarz schminken dürfen …
Theatermacher an sich haben ja wenig bis gar kein Interesse am Skandal, ihr Metier, Kern und Seele und Herz ihrer Arbeit ist die künstlerische Durchdringung eines Themas. Das mag sich in einem literarischen Text finden oder politisch auf der Straße liegen – der Skandal ist nicht nötig, um sich (als Publikum gemeinsam mit Autoren, Regie-Teams und Ensembles) in die Auseinandersetzung mit Thema und Text zu begeben. Den Skandal lässt sich das Theater aufzwingen von einer Welt, die von der langsamen, reflektierenden Erkenntnis- und Gemeinschaftsstiftung der Bühnenkünste nicht mehr sehr viel wissen will. Fernsehen und Film sorgen für die stärkeren Reize, ob blutig oder eklig oder erregend; das Internet liefert obendrein jederlei Exzess frei Haus.
Was allerdings auf dem elektronischen Daten-Rummelplatz kaum jemanden mehr aufregt, entwickelt gelegentlich (und zugleich praktisch nur noch) im eher intimen Rahmen einer Theatervorstellung das angemessene Erregungspotenzial. Künstlerinnen und Künstler, die sich dieser Ausweglosigkeit mehr oder minder bewusst sind (Romeo Castellucci gehört dazu), verstehen mit den physischen und psychischen Reiz- und Reaktionsmustern zu spielen; Castellucci jetzt in Berlin (und 2010 auch schon beim "Theater der Welt" im Ruhrgebiet) mit der quälenden Erregung und Belästigung des höchst sensiblen menschlichen Geruchsnervs durch das mächtig stinkende Windelnwechseln des schicken Sohns am dementen, inkontinenten Vater.
Eine gute Stunde dauert diese Quälerei – jammernd ohne Sprache, immerzu weinend Entschuldigungen hervor stammelnd, verwandelt der greise Papa das mit feinem weißen Mobiliar voll gestellte Wohnzimmer in ein stinkendes Inferno; der Sohn, fein heraus geputzt, weil er gerade etwas anderes vorhat (woran ihn das Handy ein paar Mal erinnert), putzt und wischt, feudelt und schrubbt hinter dem Alten her, windelt ihn auch zwei Mal neu – aber der Strom des Drecks will nicht versiegen. Immer verzweifelter versucht der Sohn die Haltung zu bewahren – bis er wohl selber den Vater zur Hölle wünscht und sich dem bühnenhaushohen Christusbild im Hintergrund zuwendet. Ein Kuss der Verzweiflung, der Hoffnung auf Erlösung – das ist das Bild am Ende des familiären Elends.
Dann kommen (wie gesagt) die Kinder mit den Handgranaten, und dies ist das einzige Bild, über das sich ernsthaft streiten lässt; danach folgt die Zerstörung des Christusbildes. Hinter der Bildfläche jedoch leuchtet dann immer noch ein zentraler Satz des Christentums auf: You are my Sheperd, Du bist mein Hirte; alternierend mit der Verneinung: Du bist nicht mein Hirte. Im Bild vom "guten Hirten" aber sind natürlich Vater und Sohn der Pflegeszene aufgehoben; und mit ihnen die Leiden der Menschheit.
Wenn es überhaupt einen Skandal gibt in Berlin, dann diesen: das wirkliche Leben; die Gegenwart der qualvoll-verzweifelten Hilflosigkeit gegenüber körperlichem und geistigem Verfall, hier hyperrealistisch, eklig und alltäglich abgebildet in einem Bild, das Millionen aus dem Alltag ihrer kranken, alten, hinfälligen Eltern sehr gut kennen. Wer da das Angesicht Christi sucht, und also eine Art Erlösung, der ist von "Schande" und "Gotteslästerung" weltenweit weg; wer so etwas ausmacht in Castelluccis Theater, dem ist wohl nicht wirklich zu helfen.