Viel Platz für Dicke
In Deutschland nimmt die Zahl übergewichtiger Menschen stetig zu. In Hannover hat sich nun die bundesweit erste Alten- und Pflegeeinrichtung darauf eingestellt. 25 schwergewichtige Menschen finden in dem Neubau ein Zuhause.
100 pflegebedürftige Menschen finden Platz in dem viergeschossigen Neubau. Mit dem Fahrstuhl geht es in die dritte Etage, "Wohnbereich Continental Platz", der allein für stark Übergewichtige reserviert ist: Bodymass-Index 30 aufwärts. Medizinischer Terminus: Adipositas.
"Guten Morgen, Frau Müller-Heim." Anja von Westerhagen, Pflegekraft der Adipositas-Station, bereitet gerade einen "Transfer" vor. "Transfer" bedeutet, raus dem Bett, rein in den Rollstuhl:
"So, Frau Müller-Heim. Bei drei! Eins, zwei, drei. Super! Sitzen Sie richtig drin? Dann mache ich das Fußteil jetzt runter. Dann geht es jetzt zum Frühstücken raus."
Heidemarie Müller-Heim ist 60 Jahre alt. 100 Kilo bringt die Wolfsburgerin derzeit auf die Waage, bei einer Größe von nur 1,67 Meter. Die Frührentnerin ist auf Anraten ihrer Krankenkasse zur Kurzzeitpflege gekommen, um sich nach einer Operation gesundheitlich zu stabilisieren, will so früh wie möglich wieder nach Hause.
Am Tisch, im Foyer der Station, warten schon drei MitbewohnerInnen. Es gibt abgezählte Brötchen, fettreduzierte Wurst, ein bisschen Marmelade. Erika Dreyer, 87 Jahre alt und 124 Kilo schwer, nimmt's gelassen. Sie will für immer im Heim bleiben:
"Das wäre doch gut, wenn ich ein bisschen abnehmen würde. Nein, also, ich bin hier gerne. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Sie sind alle sehr, sehr nett und höflich und freundlich. Was will man mehr."
Alles auf der Station ist überdimensioniert. Die Betten sind sogenannte "Schwerlastbetten" mit einer Liegebreite von 1,40 Meter ‒ ausgelegt für maximal 450 Kilo, erklärt die Geschäftsführerin Angela Linder in einem der geräumigen Einzelzimmer:
"Interessant in diesen Zimmern sind die Badezimmer. Da sind Toiletten drin, die können bis 450 Kilo belastet werden. Die Bauweise der Toiletten ist hier ganz bewusst über Eck gesetzt, damit ganz einfach Platz für das Volumen des Bewohners ist."
Zehn Uhr. Zeit für Ergotherapie und Sport. Die meisten Patienten können sich kaum bewegen. Ohne Bewegung können sie aber nicht abnehmen. Ein Teufelskreis.
Christine Eckhoff: "Hallo! So, Frau Müller-Heim. Dann machen wir heute ein bisschen Ergo. Ein bisschen Vermeidung der Kontraktoren, dass Sie beweglich bleiben."
Christine Eckhoff, die Ergotherpeutin, hat einen Handball mitgebracht, den die 60-Jährige nun im Bett liegend fängt: "Frau Müller-Heim, Sie sollen jetzt den Ball zu mir zurück spielen. Geradeaus zu mir hin …"
Christine Eckhoff: "Hier ist es natürlich auf jeden Bewohner abgestimmt. Die müssen noch mehr motiviert werden, dass man sie aus dem Zimmer kriegt. Weil manche sind auch immer noch verschottet, die wollen nicht, die wollen lieber für sich sein und nicht mitmachen. Und da muss man dann halt noch verschiedene Punkte finden, wie bekomme ich sie anderweitig raus."
Raus ‒ vor allem aus dem Bett. Das ist leichter gesagt als getan. Kurt Drewko ist wie die meisten auf der Station gleich nach dem Frühstück wieder rein in die Federn. Auf dem Fernseher am Fußende flimmert eine Dauerwerbesendung:
"Meistens liege ich im Bett und schaue Fernsehen. Pendele zwischen dem Fernsehen und meinem Handy. Also Internet oder Fernsehen hin und her. Und aus dem Bett bin ich selten."
Kurt Drewko ist 41 Jahre alt und 154 Kilo schwer. Das sind zwar 30 Kilo weniger als noch vor einem halben Jahr, durch eine Wachstumsstörung an den Füßen wird er wohl nie mehr richtig laufen können. Als Jüngster auf der Station soll auch sein Aufenthalt nicht von Dauer sein, sagt Rena Schmietendorf, die Leiterin des Pflegedienstes:
"Das Hauptproblem war jetzt hier überwiegend, dass die meisten Bewohner ganz viele offene Wunden haben durch das Liegen. Durch diese lange Immobilität, die sie eben haben. Und im Großen und Ganzen ist es unser Ziel, dass sie nicht mehr an Gewicht zulegen, dass sie das Gewicht halten, und schön natürlich wäre es auch, wenn's ein paar Kilo weniger werden, um eine gewisse Lebensqualität wieder zu erlangen."
Es ist 12 Uhr. Zeit für die Hauswirtschafterin Meike Meier, das Mittagessen aus der hauseigenen Küche im Erdgeschoss mit dem Fahrstuhl nach oben in die dritte Etage zu bringen:
"Heute servieren wir herzhafte Gemüsereispfanne mit Hack als erstes Menü. Und als zweites Menü haben wir Gemüsekartoffelgratin mit Salatbeilage."
Aufgetischt werden aber nur drei Teller. Die anderen essen lieber allein im Einzelzimmer. Im Bett vor dem Fernseher. Auch das, so Angela Linder, gehört zur Adipositas. Aus Scham und Angst vor Kränkungen kapseln sich viele Übergewichtige ab, isolieren sich und essen aus lauter Frust noch mehr. Spiele und Kommunikationsangebote auf der Station sollen diesen Kreislauf durchbrechen. Nur acht der 25 Betten sind derzeit belegt. Sorgen um die Zukunft des ungewöhnlichen Pflegeheims macht sich die Leiterin deswegen aber nicht.
Angela Linder: "Die Deutschen werden immer dicker. Und da dieser Wohnbereich ja kein Wohnbereich für die Altenpflege ist, sondern für die Adipositas, nehmen wir hier ab 18 Jahre auf. Und das wird auch so unser Durchschnittsalter in Zukunft werden. Ich schätze, 25- bis 30-Jährige werden wir hier langfristig als Bewohner zu betreuen haben."
Wenn die Übergewichtigen unter sich sind, so die Erwartung, knüpfen sie eher wieder Kontakte und kommen aus sich heraus. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Genesung.
"Guten Morgen, Frau Müller-Heim." Anja von Westerhagen, Pflegekraft der Adipositas-Station, bereitet gerade einen "Transfer" vor. "Transfer" bedeutet, raus dem Bett, rein in den Rollstuhl:
"So, Frau Müller-Heim. Bei drei! Eins, zwei, drei. Super! Sitzen Sie richtig drin? Dann mache ich das Fußteil jetzt runter. Dann geht es jetzt zum Frühstücken raus."
Heidemarie Müller-Heim ist 60 Jahre alt. 100 Kilo bringt die Wolfsburgerin derzeit auf die Waage, bei einer Größe von nur 1,67 Meter. Die Frührentnerin ist auf Anraten ihrer Krankenkasse zur Kurzzeitpflege gekommen, um sich nach einer Operation gesundheitlich zu stabilisieren, will so früh wie möglich wieder nach Hause.
Am Tisch, im Foyer der Station, warten schon drei MitbewohnerInnen. Es gibt abgezählte Brötchen, fettreduzierte Wurst, ein bisschen Marmelade. Erika Dreyer, 87 Jahre alt und 124 Kilo schwer, nimmt's gelassen. Sie will für immer im Heim bleiben:
"Das wäre doch gut, wenn ich ein bisschen abnehmen würde. Nein, also, ich bin hier gerne. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Sie sind alle sehr, sehr nett und höflich und freundlich. Was will man mehr."
Alles auf der Station ist überdimensioniert. Die Betten sind sogenannte "Schwerlastbetten" mit einer Liegebreite von 1,40 Meter ‒ ausgelegt für maximal 450 Kilo, erklärt die Geschäftsführerin Angela Linder in einem der geräumigen Einzelzimmer:
"Interessant in diesen Zimmern sind die Badezimmer. Da sind Toiletten drin, die können bis 450 Kilo belastet werden. Die Bauweise der Toiletten ist hier ganz bewusst über Eck gesetzt, damit ganz einfach Platz für das Volumen des Bewohners ist."
Zehn Uhr. Zeit für Ergotherapie und Sport. Die meisten Patienten können sich kaum bewegen. Ohne Bewegung können sie aber nicht abnehmen. Ein Teufelskreis.
Christine Eckhoff: "Hallo! So, Frau Müller-Heim. Dann machen wir heute ein bisschen Ergo. Ein bisschen Vermeidung der Kontraktoren, dass Sie beweglich bleiben."
Christine Eckhoff, die Ergotherpeutin, hat einen Handball mitgebracht, den die 60-Jährige nun im Bett liegend fängt: "Frau Müller-Heim, Sie sollen jetzt den Ball zu mir zurück spielen. Geradeaus zu mir hin …"
Christine Eckhoff: "Hier ist es natürlich auf jeden Bewohner abgestimmt. Die müssen noch mehr motiviert werden, dass man sie aus dem Zimmer kriegt. Weil manche sind auch immer noch verschottet, die wollen nicht, die wollen lieber für sich sein und nicht mitmachen. Und da muss man dann halt noch verschiedene Punkte finden, wie bekomme ich sie anderweitig raus."
Raus ‒ vor allem aus dem Bett. Das ist leichter gesagt als getan. Kurt Drewko ist wie die meisten auf der Station gleich nach dem Frühstück wieder rein in die Federn. Auf dem Fernseher am Fußende flimmert eine Dauerwerbesendung:
"Meistens liege ich im Bett und schaue Fernsehen. Pendele zwischen dem Fernsehen und meinem Handy. Also Internet oder Fernsehen hin und her. Und aus dem Bett bin ich selten."
Kurt Drewko ist 41 Jahre alt und 154 Kilo schwer. Das sind zwar 30 Kilo weniger als noch vor einem halben Jahr, durch eine Wachstumsstörung an den Füßen wird er wohl nie mehr richtig laufen können. Als Jüngster auf der Station soll auch sein Aufenthalt nicht von Dauer sein, sagt Rena Schmietendorf, die Leiterin des Pflegedienstes:
"Das Hauptproblem war jetzt hier überwiegend, dass die meisten Bewohner ganz viele offene Wunden haben durch das Liegen. Durch diese lange Immobilität, die sie eben haben. Und im Großen und Ganzen ist es unser Ziel, dass sie nicht mehr an Gewicht zulegen, dass sie das Gewicht halten, und schön natürlich wäre es auch, wenn's ein paar Kilo weniger werden, um eine gewisse Lebensqualität wieder zu erlangen."
Es ist 12 Uhr. Zeit für die Hauswirtschafterin Meike Meier, das Mittagessen aus der hauseigenen Küche im Erdgeschoss mit dem Fahrstuhl nach oben in die dritte Etage zu bringen:
"Heute servieren wir herzhafte Gemüsereispfanne mit Hack als erstes Menü. Und als zweites Menü haben wir Gemüsekartoffelgratin mit Salatbeilage."
Aufgetischt werden aber nur drei Teller. Die anderen essen lieber allein im Einzelzimmer. Im Bett vor dem Fernseher. Auch das, so Angela Linder, gehört zur Adipositas. Aus Scham und Angst vor Kränkungen kapseln sich viele Übergewichtige ab, isolieren sich und essen aus lauter Frust noch mehr. Spiele und Kommunikationsangebote auf der Station sollen diesen Kreislauf durchbrechen. Nur acht der 25 Betten sind derzeit belegt. Sorgen um die Zukunft des ungewöhnlichen Pflegeheims macht sich die Leiterin deswegen aber nicht.
Angela Linder: "Die Deutschen werden immer dicker. Und da dieser Wohnbereich ja kein Wohnbereich für die Altenpflege ist, sondern für die Adipositas, nehmen wir hier ab 18 Jahre auf. Und das wird auch so unser Durchschnittsalter in Zukunft werden. Ich schätze, 25- bis 30-Jährige werden wir hier langfristig als Bewohner zu betreuen haben."
Wenn die Übergewichtigen unter sich sind, so die Erwartung, knüpfen sie eher wieder Kontakte und kommen aus sich heraus. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Genesung.