Viele Bücher für ein Hallelujah
Bücher über Musikgeschichte scheint der Markt nur noch zuzulassen, wenn ein großer Mann ein großes Jubiläum hat. Und weil bei Georg Friedrich Händel beides passt, regnet es zum Händel-Todestag, der sich in diesem Monat zum 250. Mal jährt, Neuerscheinungen über den Mann aus Halle. Gern werden darin die altbekannten Anekdoten noch einmal neu erzählt. Aber auch für jüngere Thesen ist Platz. Zum Beispiel: War Händel schwul?
Händels Musik macht trauriger, sie macht aber auch fröhlicher als die des Jahrgangsgenossen Bach, nicht selten macht sie euphorisch, bisweilen süchtig. Und stellenweise, eher selten, ist sie auch langweilig. Weil sie aber, anders als die Bachs, nicht einfach selbstverständlich "da" ist, ruft sie nach Aufführung, Interpretation und Deutung. Deshalb fallen uns in diesem Händeljahr des 250. Todestags nicht ohne Grund eine Menge neuer Händel-Bücher auf den Kopf. Kein Biograf, der darin nicht auf einen seltsamen Widerspruch aufmerksam macht:
"Er ist einer der ersten öffentlichen Stars, die bis heute im kollektiven Bewusstsein der Menschen ihren Platz haben. Doch die Berichte über sein Leben wurden häufig zu Anekdoten […]. Er existiert in unseren Köpfen nur als Künstler. Doch als leibhaftige Persönlichkeit entzieht er sich uns."
Schreibt etwa Franzpeter Messmer. Weil die Quellenlage, nicht was die öffentliche Figur angeht, wohl aber das Persönliche, womöglich Intime, so überraschend dünn ist, fühlten sich Händelbiografen immer schon zum freimütigen Auspinseln jener Leerstellen eingeladen, an denen man dann den wahren, den eigentlichen Mann Händel zu erkennen meint.
"Dass Händels Privatleben geheimnisvoll, hinter einer Mauer des Schweigens versteckt ist, zeigt, wie schwierig, bedroht, einsam und leidvoll er es empfand","
so wieder Messmer, der auch weiß, warum das so war: Der Meister war schwul. Damit folgt er einer akribischen Beweisführung, die vor ein paar Jahren die amerikanische Händelforscherin Ellen T. Harris unternommen hat. Als komponierender und konzertierender Jungstar auf Italienfahrt war er demnach selbst Objekt der Begierde der römischen Kardinäle und adeliger Gönner gewesen; als etablierter, reicher und schwer korpulenter Musikmagnat in London aber hatte er sein Intimleben vor einer Öffentlichkeit zu verbergen, der die Liebe unter Männern als Sodomie galt. Und dass er so dick wurde, dass er sich am Ende böse Karikaturen gefallen lassen musste, die ihn als Schweinemonster an der Orgel zeigen, kam so, weil er ersatzhalber sich dem guten Essen und Trinken ergab. So fügt sich eins ins andere, im Ganzen durchaus plausibel, stellenweise aber auch allzu gut, und irgendwann nervt Messmers Fixierung auf das Thema denn doch. Dass Händel seinem Männerfreund Mattheson einen Streit, bei dem er um ein Haar zu Tode gekommen sein soll, nie verzeihen konnte, ist anzunehmen, dass seine legendären Wutausbrüche und späte Wohltätigkeit Hinweise auf sein Seelenleben geben, wollen wir gern glauben. Doch dass es ihn in die größte Stadt Europas vor allem deshalb zog, weil die urbane Anonymität das Ausleben seiner Sexualität begünstigte, da fangen die Spekulationen an. Vom süßen Gift der Psychologisierung verabreicht Messmer erhebliche Dosen. Das macht sein Buch gut lesbar und durchgehend "spannend", man sollte es genießen, aber mit Vorsicht.-
"Tumult und Grazie" hat Karlheinz Ott einen etwas mäandernden Essay über Händel genannt: Es hat auch was von Kraut und Rüben. Keine Biografie, sondern ein Fan-Buch, das sich frei assoziierend über den Planeten Händel bewegt und seine Schubkraft vor allem aus der fast schon obsessiven Pflege von Feindschaften zieht: So kriegt der Händel-Nichtversteher Adorno immer neu eins auf den Hut:
""Für jemanden wie Adorno beginnt die neuzeitliche Musikgeschichte im Grunde eh erst mit Beethoven […]"
Ott geißelt die Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts und den "Humbug" zugefügter Artikulationsanweisungen, Karajans Klangbrei-Ästhetik und so fort, und schreibt sich dabei, tote Hunde prügelnd, reichlich in Rage. In der Ausbreitung von Lesefrüchten fällt er gelegentlich ins Besserwisserische, was umso weniger einleuchtet, als ihm in der Sache kaum zu widersprechen ist. So doll steil sind Otts Thesen auch nicht, dass sie einen nervig manieristischen Stil rechtfertigen würden, endlose Satzgirlanden und die strapazierte Bekräftigungsformel, etwas sei "schon zweimal nicht" so oder so.
Wohltuend bescheidener im Anspruch und weniger Groß-Exegeten-mäßig treten die biografischen Kurz-Dienstleister auf. Knapp und geradlinig ist Dorothea Schröders Bändchen in der Reihe Beck Wissen einen getreuen Führer; Franz Binders Biografie bei dtv belehrt ähnlich zuverlässig, ist aber süffiger geschrieben. Der Musikjournalist Peter Overbeck bringt als "Suhrkamp Basisbiografie" gut aufbereitete Erstinformation und empfiehlt sich durch knappe Werkbeschreibungen als Orientierungshilfe auf dem weitläufigen Planet Handel. Im Übrigen ist Christopher Hogwoods quellenreiche Darstellung eine nach wie vor eine erste Adresse, sich über das Wunder Händel zu informieren. Recht zu begreifen ist es ja doch nicht.
Franzpeter Messmer: Georg Friedrich Händel. Biographie
Artemis & Winkler, Düsseldorf 2008
285 Seiten, 19,90 Euro
Karl-Heinz Ott: Tumult und Grazie. Über Georg Friedrich Händel
Hoffmann und Campe. Hamburg 2008
315 Seiten, 22,00 Euro
Dorothea Schröder: Georg Friedrich Händel
C.H. Beck wissen. München 2008
128 Seiten, 7,90 Euro
Franz Binder: Georg Friedrich Händel. Sein Leben und seine Zeit
Dtv Premium. München 2009
235 Seiten, 14,90 Euro
Peter Overbeck: Georg Friedrich Händel. Leben –Werk – Wirkung
Suhrkamp Basisbiographie. Frankfurt/M. 2009
160 Seiten, 7,90 Euro
Christopher Hogwood: Handel. Revised Edition
Thames & Hudson. New York 2007
deutsch: Insel Taschenbuch. Frankfurt/M. 2000, 15,00 Euro
"Er ist einer der ersten öffentlichen Stars, die bis heute im kollektiven Bewusstsein der Menschen ihren Platz haben. Doch die Berichte über sein Leben wurden häufig zu Anekdoten […]. Er existiert in unseren Köpfen nur als Künstler. Doch als leibhaftige Persönlichkeit entzieht er sich uns."
Schreibt etwa Franzpeter Messmer. Weil die Quellenlage, nicht was die öffentliche Figur angeht, wohl aber das Persönliche, womöglich Intime, so überraschend dünn ist, fühlten sich Händelbiografen immer schon zum freimütigen Auspinseln jener Leerstellen eingeladen, an denen man dann den wahren, den eigentlichen Mann Händel zu erkennen meint.
"Dass Händels Privatleben geheimnisvoll, hinter einer Mauer des Schweigens versteckt ist, zeigt, wie schwierig, bedroht, einsam und leidvoll er es empfand","
so wieder Messmer, der auch weiß, warum das so war: Der Meister war schwul. Damit folgt er einer akribischen Beweisführung, die vor ein paar Jahren die amerikanische Händelforscherin Ellen T. Harris unternommen hat. Als komponierender und konzertierender Jungstar auf Italienfahrt war er demnach selbst Objekt der Begierde der römischen Kardinäle und adeliger Gönner gewesen; als etablierter, reicher und schwer korpulenter Musikmagnat in London aber hatte er sein Intimleben vor einer Öffentlichkeit zu verbergen, der die Liebe unter Männern als Sodomie galt. Und dass er so dick wurde, dass er sich am Ende böse Karikaturen gefallen lassen musste, die ihn als Schweinemonster an der Orgel zeigen, kam so, weil er ersatzhalber sich dem guten Essen und Trinken ergab. So fügt sich eins ins andere, im Ganzen durchaus plausibel, stellenweise aber auch allzu gut, und irgendwann nervt Messmers Fixierung auf das Thema denn doch. Dass Händel seinem Männerfreund Mattheson einen Streit, bei dem er um ein Haar zu Tode gekommen sein soll, nie verzeihen konnte, ist anzunehmen, dass seine legendären Wutausbrüche und späte Wohltätigkeit Hinweise auf sein Seelenleben geben, wollen wir gern glauben. Doch dass es ihn in die größte Stadt Europas vor allem deshalb zog, weil die urbane Anonymität das Ausleben seiner Sexualität begünstigte, da fangen die Spekulationen an. Vom süßen Gift der Psychologisierung verabreicht Messmer erhebliche Dosen. Das macht sein Buch gut lesbar und durchgehend "spannend", man sollte es genießen, aber mit Vorsicht.-
"Tumult und Grazie" hat Karlheinz Ott einen etwas mäandernden Essay über Händel genannt: Es hat auch was von Kraut und Rüben. Keine Biografie, sondern ein Fan-Buch, das sich frei assoziierend über den Planeten Händel bewegt und seine Schubkraft vor allem aus der fast schon obsessiven Pflege von Feindschaften zieht: So kriegt der Händel-Nichtversteher Adorno immer neu eins auf den Hut:
""Für jemanden wie Adorno beginnt die neuzeitliche Musikgeschichte im Grunde eh erst mit Beethoven […]"
Ott geißelt die Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts und den "Humbug" zugefügter Artikulationsanweisungen, Karajans Klangbrei-Ästhetik und so fort, und schreibt sich dabei, tote Hunde prügelnd, reichlich in Rage. In der Ausbreitung von Lesefrüchten fällt er gelegentlich ins Besserwisserische, was umso weniger einleuchtet, als ihm in der Sache kaum zu widersprechen ist. So doll steil sind Otts Thesen auch nicht, dass sie einen nervig manieristischen Stil rechtfertigen würden, endlose Satzgirlanden und die strapazierte Bekräftigungsformel, etwas sei "schon zweimal nicht" so oder so.
Wohltuend bescheidener im Anspruch und weniger Groß-Exegeten-mäßig treten die biografischen Kurz-Dienstleister auf. Knapp und geradlinig ist Dorothea Schröders Bändchen in der Reihe Beck Wissen einen getreuen Führer; Franz Binders Biografie bei dtv belehrt ähnlich zuverlässig, ist aber süffiger geschrieben. Der Musikjournalist Peter Overbeck bringt als "Suhrkamp Basisbiografie" gut aufbereitete Erstinformation und empfiehlt sich durch knappe Werkbeschreibungen als Orientierungshilfe auf dem weitläufigen Planet Handel. Im Übrigen ist Christopher Hogwoods quellenreiche Darstellung eine nach wie vor eine erste Adresse, sich über das Wunder Händel zu informieren. Recht zu begreifen ist es ja doch nicht.
Franzpeter Messmer: Georg Friedrich Händel. Biographie
Artemis & Winkler, Düsseldorf 2008
285 Seiten, 19,90 Euro
Karl-Heinz Ott: Tumult und Grazie. Über Georg Friedrich Händel
Hoffmann und Campe. Hamburg 2008
315 Seiten, 22,00 Euro
Dorothea Schröder: Georg Friedrich Händel
C.H. Beck wissen. München 2008
128 Seiten, 7,90 Euro
Franz Binder: Georg Friedrich Händel. Sein Leben und seine Zeit
Dtv Premium. München 2009
235 Seiten, 14,90 Euro
Peter Overbeck: Georg Friedrich Händel. Leben –Werk – Wirkung
Suhrkamp Basisbiographie. Frankfurt/M. 2009
160 Seiten, 7,90 Euro
Christopher Hogwood: Handel. Revised Edition
Thames & Hudson. New York 2007
deutsch: Insel Taschenbuch. Frankfurt/M. 2000, 15,00 Euro