Viele Einfälle und ein wenig Zauberei

Von Jörn Florian Fuchs |
An der Staatsoper Unter den Linden reichert der norwegische Regisseur Stefan Herheim seine Inszenierung von Wagners "Lohengrin" mit eigenwilligen Assoziationen an. Zum Beispiel dirigiert Richard Wagner in Gestalt einer Puppe aus den Bühnenwolken mit. Am realen Dirigentenpult steht Daniel Barenboim.
Jedes Jahr vor Ostern gönnt sich die Berliner Staatsoper Unter den Linden ein paar ganz besondere "Festtage", an denen Generalmusikdirektor Daniel Barenboim höchstpersönlich und ausgiebigst zum Taktstock greift. Das besondere Augen- und Ohrenmerk richtet sich dabei natürlich auf die Musiktheater-Premiere, bei der man in der Regel alles aufbietet, was die Sängeragenturen so hergeben. Außerdem soll auch die jeweilige Regiehandschrift eine ganz besondere sein, somit war es plausibel, den Norweger Stefan Herheim an Bord des in letzter Zeit doch sehr behäbigen Operndampfers zu holen.

Herheim inszeniert sich seit ein paar Jahren (sieht man von der nach wie vor umstrittenen Salzburger "Entführung aus dem Serail” ab) in die Herzen von Publikum wie Kritik. Mit dem "Parsifal” in Bayreuth bot er im vergangenen Sommer ein multidimensionales, tiefschichtiges und dabei höchst unterhaltsames Totaltheater, das die Bühnenmaschinerie auf dem Grünen Hügel kräftig zum Schwitzen und Ächzen brachte. Unlängst zeigte Herheim in Brüssel, wie sich bei Dvoraks "Rusalka” spielend reale Alltagswelt und das Zauberreich der Märchentöne befruchten.

Jetzt also Wagners "Lohengrin”, jene Fabel vom Schwanenritter, der als Sohn Parzivals zur Rettung der unrechtmäßig verurteilen Elsa herbeieilt. Er ehelicht das holde Weib, bedingt sich jedoch aus, von Fragen nach Herkunft und bisherigem Wohnort verschont zu bleiben. Allein: ein böses Paar intrigiert, die Frage wird gestellt und stracks reist der Ritter auf seinem Schwan davon gen Monsalvat.

Einerseits nimmt Herheim diese Handlung auf und durchaus ernst, auf der anderen Seite reichert er das Geschehen reichlich mit Assoziationen und eigenwilligen Deutungen an. Da ist der Auftritt Richard Wagners höchstpersönlich, der zu Beginn als Puppe das Lohengrin-Vorspiel aus den Bühnenwolken heraus mitdirigiert - während im Graben leider Barenboims Bläser übel patzen. Da sind die Heerscharen kleiner Wagner-Puppen, die mal mit Barett, mal mit Germanenhelm auftreten und auf die Schwierigkeiten des Gesamtkunstwerkers mit ebenjenem Stoff um Gral, Erlösung und bedingungslose Liebe verweisen - gerade beim "Lohengrin” gehen ja biedere (autoritätshörige) Bürgerlichkeit, Germanenkult und Über-Sinnlichkeit Hand in Hand.

Da ist die Spielzeuglandschaft aus mittelalterlichen Gebäuden, in denen Theater auf dem Theater gespielt wird. Und da ist eine schwebende Feder, eine Mondfinsternis sowie Ortruds Anbindung an den schwarzen Mythos, sie bezieht ihre diabolische Energie von einem (projizierten) Baum, dessen Maserung auch das Volk zum Teil mit sich herumträgt. Lohengrin erscheint als Unschuldsknabe, den eine wohl vom Gral herrührende Sonne begleitet. Zum großen, konzentrierten Kammerstück wird die Szene zwischen Elsa und Ortrud, als beide noch so etwas wie Freundinnen sind und das Orchester dazu den reinsten Richard-Strauss-Sound liefert.

Leider gerät Herheims Märchentheater jedoch immer wieder aus dem Lot, wird plötzlich platt und eindimensional. Es wird mittels Plakaten ein bisschen gegen die Berliner Opernkrise gestänkert, am Ende begräbt die herunterkommende Oberbühne alles was da noch kreucht und fleucht. Wirklich zu Ende gedacht ist das nicht und auch mit der Personenführung, vor allem beim Chor, hapert es.

Zudem dirigiert Daniel Barenboim eher unausgewogen, vieles sitzt nicht recht, auch die Chöre (Einstudierung: Eberhard Friedrich) wackeln teilweise prekär. Immerhin ist mit Klaus Florian Vogt ein wunderbar warm und klar intonierender Lohengrin zu erleben, Dorothea Röschmann zeichnet Elsa fein nuanciert, Kwangchul Youn bietet einen voluminösen Heinrich und Michaela Schuster betört mit düster glitzernden Kantilenen.