Viele Gesichter

Von Leonie March |
Afrika und Europa, Schwarze und Weiße, Männer und Frauen - diese Gegensätze sind es, die die Multimedia-Künstlerin Ingrid Mwangi interessieren. Diese Unterschiede zu überwinden, eine Identität jenseits der gesellschaftlichen und kulturellen Vorgaben zu finden - das ist das Ziel ihrer künstlerischen Arbeit. Und wie die aussieht, davon kann man sich zurzeit in den Brüsseler "Ateliers des Tanneurs" ein Bild machen.
Ausschnitte aus verschiedenen Performances

Sie irrt mit verbundenen Augen über die Bühne. Sie singt und schaut dem Publikum dabei direkt in die Augen. Sie bewegt sich wie in ritueller Trance. Sie wirft sich auf den Boden, windet sich, wie bei einer Geisteraustreibung. In ihren Performances zeigt Ingrid Mwangi viele Gesichter. Als Afrikanerin und Europäerin, als Multimedia-Künstlerin und Mutter passt die 31-Jährige in keine der gängigen Kategorien.

"Von selber wäre ich nicht darauf gekommen, mich afrikanische Künstlerin zu nennen. Genauso könnte meine Arbeit z. B. gut untergeordnet werden in Body Art, oder performistische Kunst, oder Kunst die Frauen machen."

Die Tochter eines Kenianers und einer Deutschen verbrachte ihre Kindheit in Nairobi. 1990, sie war damals 15, zog die Mutter mit ihr und ihren drei Geschwistern nach Ludwigshafen. Einfach war das nicht, sagt Ingrid Mwangi, das Leben in einer vollkommen anderen Kultur, die erste Begegnung mit fremdenfeindlichen Vorurteilen. Doch die selbstbewusste junge Frau findet ihren Weg: macht Abitur, studiert an der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken neue künstlerische Medien.

"Meine anfänglichen Arbeiten handelten sehr stark um Identität und zwar schwarze Identität in der weißen Gesellschaft. Es hat mich sehr getroffen, dass ich diese Andersartigkeit erlebt habe, auch teilweise schmerzhaft erlebt habe. Das wurde künstlerisches Material, wo ich versucht habe Bilder dazu zu finden, für diesen Entfremdungsprozess und gemerkt habe, dass es nicht nur mir so ging, sondern dass es ein gesellschaftliches Problem ist: Das Fremde und wie man Fremde behandelt."

Rassismus, Gewalt, Krieg, die Folgen der Kolonialisierung Afrikas, die Sicht des Westens auf den Kontinent im Gegensatz zur afrikanischen Realität - das sind die Themen, die Ingrid Mwangi beschäftigen. In Sound- und Videoinstallationen, Performances und Fotos. Eine dunkelhäutige Hand ritzt eine Strichliste in weiße Haut. Afrikaner blinzeln in die Kamera, geblendet vom Gegenlicht.
Der Bauch der Künstlerin auf zwei Fotos: auf dem ersten der Umriss Deutschlands in dunkler Farbe: Burn Out Country steht darauf - ausgebranntes Land. Auf dem zweiten: der helle Umriss des afrikanischen Kontinents mit der Aufschrift: Bright Dark Continent - heller schwarzer Kontinent.

Schon im Studium hat Ingrid Mwangi die erste Einzelausstellung, wird unter anderem mit dem Marler Video-Kunst-Preis ausgezeichnet. 2003 gelingt ihr der Sprung auf die internationale Kunst-Bühne. New York, Tokio, Paris, Dakar, Nairobi - das sind nur einige der Stationen. Seit dem Studium an ihrer Seite: der Multi-Media-Künstler Robert Hutter. Seit mehr als zehn Jahren sind die beiden ein Paar. Auf den ersten Blick ein ungleiches: sie einen Kopf größer als er, elf Jahre jünger, strahlend neben dem eher introvertierten Pfälzer. Mit zwei gemeinsamen Kindern leben und arbeiten sie in Ludwigshafen. Das Atelier im Erdgeschoss ihres Hauses, Wohn- und Schlafräume im ersten Stock.

"Aber es gibt keine Grenzen zwischen Arbeit und Leben, Ideen für sein Leben und Ideen für die Arbeit. Das eine informiert das andere und umgekehrt. Natürlich muss man das immer alles strukturieren. Man muss sich organisieren, man muss Arbeitsteilung machen. Also wer kümmert sich um was. Aber wir haben das Glück, dass wir sehr kompatibel sind."

Beide haben neue künstlerische Medien in Saarbrücken studiert. Interessieren sich für die selben Themen. Die Zusammenarbeit wird mit den Jahren immer enger. Inzwischen bezeichnet sich das Künstlerpaar als Kollektiv.
"Kollektiv und nicht Duo, weil wir andeuten möchten, dass es noch mehr Leute gibt, die wichtig sind, damit das Werk entstehen kann."

Der Name des Kollektivs, der neuen gemeinsamen künstlerischen Identität: IngridMwangiRobertHutter.

In der Video-Installation "Head Skin" sieht man ihre beiden Köpfe von hinten, die Haare werden nach dem selben Muster abrasiert. Die kulturellen und individuellen Unterschiede auf's Minimum reduziert.

"Unser Werk ergibt sich aus unseren beiden Persönlichkeiten. Dazu kommt eine öffentlichere Ebene, dass man Stellung dazu nimmt, dass hier so ein Gleichberechtigungsprozess stattfindet: als Mann und Frau und als zwei Leute, die von woher auch immer kommen und sich zusammen tun zu einer Zusammenarbeit, ein Team bilden und das eine bewusste Entscheidung ist."

Das Thema Identität ist geblieben - das künstlerische Konzept allerdings erweitert: von der eigenen Persönlichkeit zu einem Kollektiv. Von persönlichen Erfahrungen und Verletzungen zur gesellschaftlichen und kulturellen Geschichte und ihren Traumata.

"Also sich anzunähern an dieses Gefühl, dass Menschen absolut gleich sind. Und zwar so ähnlich sind, dass dieser Gedanke einen eigentlich erschüttern würde, wenn es einem so bewusst wäre, wie es wahrscheinlich ist. Das bestimmt unser Leben: Die anderen und wir. Das beschäftigt uns so sehr. Das sich einfach ab und zu vor Augen zu halten, dass wir eben die gleiche physische Struktur haben, die gleiche Sehnsucht nach Glück, die gleiche Emotion."