"Viele vermenschlichte Tiere, die ihr Unwesen treiben"
Nicht nur in Japan, auch in China boomt der Markt der Animationsfilme. Rolf Giesen von der Deutschen Kinemathek, derzeit Gastprofessor in Peking, hat sie sich angesehen. Sie hätten eine andere Erzählkultur und eine andere Art von Humor. Höhere inhaltliche Qualität ließe sich laut Giesen in einer kulturellen Schnittmenge von Europa und China erzielen.
Liane von Billerbeck: Chinas Öffnung beschert der Wirtschaft horrende Wachstumsraten. Ist diese Öffnung auch für den Cineasten ein Glücksfall? Darüber wollen wir jetzt mit Rolf Giesen sprechen. Er ist Filmhistoriker an der Deutschen Kinemathek und hat u.a. eine Gastprofessur an der Communication University of China. Und er ist gerade von dort zurückgekommen und nun hier bei uns im Studio zu Gast. Guten Tag, Herr Giesen!
Rolf Giesen: Schönen guten Tag!
Billerbeck: Sie sind ja Kenner dessen, was früher so schön Trickfilm, jetzt also Animationsfilm hieß. So von japanischen Animationsfilmern kennen wir ja einige, die sind auch berühmt geworden – ich erinnere an den berühmten wunderbaren Film "Chihiros Reise ins Zauberland" – chinesische kenne ich gar nicht. Liegt das an mir oder woran liegt das?
Giesen: Es liegt sicher an den Inhalten. Es geht immer um die Inhalte. In diesem Jahr werden wahrscheinlich bis zu 100.000 Minuten Animation in China produziert, Hunderttausende von Animatoren werden ausgebildet. Es ist eine Frage der Quantität, aber man möchte zu einer Qualität gelangen. Man weiß, dass Animation weltweit populär ist. Animation ist vielleicht ja die erfolgreichste Art der visuellen Kommunikation, auch Bilder zu erzeugen, aber man weiß nicht, wie man Inhalte aus diesem Kulturkreis übersetzt, um sie global akzeptabel zu machen.
Billerbeck: Was sind denn die Inhalte dieser Animationen, die diese Hunderttausenden Animatoren, die da gerade ausgebildet werden, dann fabrizieren?
Giesen: Es sind meistens Kinderserien, die laufen in der Frühe, es sind Familienserien, es sind Abenteuerfilme, es sind natürlich irrsinnig viele vermenschlichte Tiere, die da ihr Unwesen treiben. Es ist teilweise, und ich war in meinen Äußerungen nicht beschränkt, ich war also froh, ich durfte sagen, was ich wollte, es zog einem die Socken aus. Ich sagte, so geht es nicht weiter, man muss einiges dafür tun, um, für 400 Millionen Kinder alleine in China etwas Sinnvolles, etwas Spannendes, etwas Poetisches zu produzieren. Und wir merkten dann, als wir einige Filme aus Europa zeigten, Filme wie "Lauras Stern" und Ähnliches, dass da …
Billerbeck: An dem Sie ja mitgewirkt haben.
Giesen: Das ist richtig. Wir produzieren auch gerade eine Fortsetzung zu diesem Film. Und da habe ich gesehen, da wurde etwas verstanden. Also wir haben wohl etwas in Europa, eine Art der Erzähltechnik, die dort akzeptiert wird. Und dann kam ich auf die Idee, es ist eine völlig andere Erzählkultur, und wir haben unsere Erzählkultur. Aber wenn man die beiden …
Billerbeck: Wie erzählen denn die Chinesen?
Giesen: Sie erzählen nicht "straightforward", sie erzählen nicht von A bis Z, sie gehen viele Umwege, und sie haben auch eine Art von Humor.
Billerbeck: Worüber lachen denn die Chinesen, bitte?
Giesen: Auf jeden Fall haben sie nicht den schwarzen Humor, den wir haben. Sie lachen leider nicht über die Simpsons und Ähnliches, da haben sie noch einigen Nachholbedarf, aber sie holen sehr schnell auf. Sie lachen sehr gerne und sie haben ein freundliches Lachen. Also sie haben kein Lachen wie etwa andere auslachen, das kennen sie nicht, sondern sie freuen sich an Dingen. Und ich habe gesehen, wenn man also die Inhalte zweier Kulturen leicht aufeinander zu bewegt, dass es Schnittmengen gibt. Dann hat man eine neue Qualität. Und was wir probieren, ist Geschichten zu entwickeln, die Schnittmengen haben, dass beide Kulturen, die europäische Kultur und die chinesische Kultur, authentisch bleiben.
Billerbeck: Wie geht das, wenn man zwei Kulturen hat, die offenbar sehr weit voneinander entfernt sind? Sie sagten, die Chinesen verstehen zwar das, was wir erzählen, aber wir verstehen nicht, was die da machen, können damit auch nichts anfangen. Sie betreiben jetzt offenbar so was wie Entwicklungshilfe für China. Die Konsequenz wird ja irgendwann sein, dass Sie nicht bloß Animationsfilme für 400 Millionen chinesische Kinder produzieren, sondern dass wir auch in Europa dann davon zu hören kriegen. Das ist ja wieder so eine Art Entwicklungshilfe, wo wir sagen, machen wir da nicht unsere eigenen Animationsfilme kaputt?
Giesen: Genau das wurde mir hier von einigen Kollegen in Deutschland vorgehalten, und ich habe gesagt, was ihr sagt, ist nicht richtig. Wir haben ja im Grunde … Wir saßen auf den Inhalten, wir saßen Hunderte von Jahren auf den Inhalten, und dann kamen die Amerikaner und haben daran verdient. Was ist Pinocchio, was ist Bambi, was ist Schneewittchen?
Billerbeck: Deutsche Märchen.
Giesen: Ja, was ist "Shrek", "Arielle, die Meerjungfrau". Wir können hinten und vorne, es sind Geschichten aus Europa, die, na ja, etwas unkonventionell erzählt werden, die Merchandising in Milliardenhöhe haben. Es werden an diesen Produkten Multimilliarden verdient, und wir verdienen nichts. Wir gehen daran vorbei. Wir haben unsere eigene Kultur ignoriert. Und in der Zusammenarbeit, beispielsweise mit China, lernen wir, unsere eigene Kultur neu zu reflektieren, sie einzuschätzen, sie auch wirtschaftlich einzuschätzen, auf einmal zu sagen, Kultur ist doch kein Ballast. Bei uns wird immer geredet, Kultur, das kostet und das … Das ist doch Blödsinn. Wirtschaft, Kultur, die gesamte Gesellschaft, das gehört zusammen, das ist eine gesamte homogene Dynamik. Und diese Dynamik muss zusammenarbeiten. Ich kann Kultur und Wirtschaft nicht voneinander trennen. Ich habe sogar gesehen, wenn man kulturell arbeitet, hat man’s wirtschaftlich leichter. Ich habe sogar vorgeschlagen, dass jede Wirtschaftsdelegation, die aus Deutschland nach China geht, möglichst eine Art Kulturprogramm hat. Die Musik ist …
Billerbeck: Dass sie eins mitbringt oder dass sie sich dort was ansieht?
Giesen: Beides. Also der kulturelle Austausch ist sehr wichtig. Das müssen natürlich auch Wirtschaftsverbände einsehen, das muss die Politik einsehen. Dann entsteht eine neue Dynamik. Ich bin als etwas älterer Mensch nach China geflogen, und auf einmal merke ich, ich bin selber wieder dynamisch geworden, also irgendwie ist mein Denken wieder jung, ich entwickle neue Ideen, neue Ziele. Und ich hoffe, dass diese Belebung, dass die auch bei anderen beginnt. Das heißt, dass wir also nicht hingehen und sagen, wir verschenken unsere teuren Inhalte an Asien, die rauben uns aus, unser gesamtes Know-how usw., sondern dass wir etwas zurückbekommen. Wir nennen das die interkulturelle Arbeit, wir haben viel versäumt, wir können noch etwas aufholen. Die Olympiade im nächsten Jahr wird die große Zäsur sein, und wir sollten uns dessen besinnen. Wir haben in Deutschland eine wirkliche Menge anzubieten. Nicht dass ich meine, wir sollten das instrumentalisieren. Es sollte uns selbstverständlich sein, mit unserer Poesie, mit unseren guten Werten, mit unserer guten Musik, mit unseren guten auch Märchen und Kindergeschichten dort aufzutreten.
Billerbeck: Das war jetzt eine flammende Rede sozusagen für den Kulturaustausch und für das Voneinanderlernen, trotzdem noch mal zurück zu meiner Frage. Sie haben das ja auch erwähnt, ich hab’s am Anfang auch gesagt, China fällt ja derzeit hierzulande fast auf durch Billigkopien, das ist eigentlich das Ding. Und das ist ja zu befürchten, dass das in diesem Markt, in dieser Kunst auch passiert. Fürchten Sie das gar nicht?
Giesen: Doch.
Billerbeck: Also es ist ja eine Wahnsinnsmacht, die man da herausbildet.
Giesen: Auch das habe ich immer, wir haben mit diesen, vor allen Dingen Neuen Medien, wir reden ja nicht nur von Film und Fernsehen, wir reden von Computerspielen, wir reden vom Internet, Mobilephone und den Technologien, die jenseits des Computers liegen. Es sind ganz große Gefahren natürlich in den visuellen Medien, die auf uns zukommen. Gerade das ist eine Form von Umweltschutz, die wir betreiben. Wir brauchen nicht nur einen Umweltschutz der Natur gegenüber, sondern auch eine Art Umweltschutz in den Medien. Und wir haben eine hohe, hohe Verantwortung. Auch die können wir nur im interkulturellen Dialog lösen.
Billerbeck: Das heißt, dass wir uns kümmern, was da in China passiert, auch um uns selber zu schützen?
Giesen: Nicht zu schützen, sondern ich sage einfach, die Amerikaner sagen nicht Problem, sie sagen "Challenge", Herausforderung. Und die Herausforderung ist, die Neuen Medien und das, was uns an Tools zur Verfügung gestellt wird auch in der Animation, in der Computeranimation etc., das positiv zu nutzen und nicht in die Gefahr zu laufen, die negativen Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Gefahr ist groß. Und ich glaube, der Dialog würde das verhindern. Also die Verantwortung, es ist nicht nur eine Verantwortung, Geld zu machen, sondern eine Verantwortung, Müll zu beseitigen. Jeder von uns weiß, wie viel Müll in den Medien herumtransportiert wird im Computer, wir nennen das Spam. Das ist ja unglaublich, was da an Müll, an elektronischem Müll herumgejagt wird. Und wir müssen Kriterien entwickeln und den Dialog so entwickeln, um uns gegen diesen geistigen Müll zu wehren und dass dieser Müll in unseren Köpfen abgeladen wird. Das ist also eine der Verantwortungen in der gegenseitigen Beziehung.
Billerbeck: Das war Rolf Giesen von der Deutschen Kinemathek, der eine Gastprofessur in Peking hat. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch!
Rolf Giesen: Schönen guten Tag!
Billerbeck: Sie sind ja Kenner dessen, was früher so schön Trickfilm, jetzt also Animationsfilm hieß. So von japanischen Animationsfilmern kennen wir ja einige, die sind auch berühmt geworden – ich erinnere an den berühmten wunderbaren Film "Chihiros Reise ins Zauberland" – chinesische kenne ich gar nicht. Liegt das an mir oder woran liegt das?
Giesen: Es liegt sicher an den Inhalten. Es geht immer um die Inhalte. In diesem Jahr werden wahrscheinlich bis zu 100.000 Minuten Animation in China produziert, Hunderttausende von Animatoren werden ausgebildet. Es ist eine Frage der Quantität, aber man möchte zu einer Qualität gelangen. Man weiß, dass Animation weltweit populär ist. Animation ist vielleicht ja die erfolgreichste Art der visuellen Kommunikation, auch Bilder zu erzeugen, aber man weiß nicht, wie man Inhalte aus diesem Kulturkreis übersetzt, um sie global akzeptabel zu machen.
Billerbeck: Was sind denn die Inhalte dieser Animationen, die diese Hunderttausenden Animatoren, die da gerade ausgebildet werden, dann fabrizieren?
Giesen: Es sind meistens Kinderserien, die laufen in der Frühe, es sind Familienserien, es sind Abenteuerfilme, es sind natürlich irrsinnig viele vermenschlichte Tiere, die da ihr Unwesen treiben. Es ist teilweise, und ich war in meinen Äußerungen nicht beschränkt, ich war also froh, ich durfte sagen, was ich wollte, es zog einem die Socken aus. Ich sagte, so geht es nicht weiter, man muss einiges dafür tun, um, für 400 Millionen Kinder alleine in China etwas Sinnvolles, etwas Spannendes, etwas Poetisches zu produzieren. Und wir merkten dann, als wir einige Filme aus Europa zeigten, Filme wie "Lauras Stern" und Ähnliches, dass da …
Billerbeck: An dem Sie ja mitgewirkt haben.
Giesen: Das ist richtig. Wir produzieren auch gerade eine Fortsetzung zu diesem Film. Und da habe ich gesehen, da wurde etwas verstanden. Also wir haben wohl etwas in Europa, eine Art der Erzähltechnik, die dort akzeptiert wird. Und dann kam ich auf die Idee, es ist eine völlig andere Erzählkultur, und wir haben unsere Erzählkultur. Aber wenn man die beiden …
Billerbeck: Wie erzählen denn die Chinesen?
Giesen: Sie erzählen nicht "straightforward", sie erzählen nicht von A bis Z, sie gehen viele Umwege, und sie haben auch eine Art von Humor.
Billerbeck: Worüber lachen denn die Chinesen, bitte?
Giesen: Auf jeden Fall haben sie nicht den schwarzen Humor, den wir haben. Sie lachen leider nicht über die Simpsons und Ähnliches, da haben sie noch einigen Nachholbedarf, aber sie holen sehr schnell auf. Sie lachen sehr gerne und sie haben ein freundliches Lachen. Also sie haben kein Lachen wie etwa andere auslachen, das kennen sie nicht, sondern sie freuen sich an Dingen. Und ich habe gesehen, wenn man also die Inhalte zweier Kulturen leicht aufeinander zu bewegt, dass es Schnittmengen gibt. Dann hat man eine neue Qualität. Und was wir probieren, ist Geschichten zu entwickeln, die Schnittmengen haben, dass beide Kulturen, die europäische Kultur und die chinesische Kultur, authentisch bleiben.
Billerbeck: Wie geht das, wenn man zwei Kulturen hat, die offenbar sehr weit voneinander entfernt sind? Sie sagten, die Chinesen verstehen zwar das, was wir erzählen, aber wir verstehen nicht, was die da machen, können damit auch nichts anfangen. Sie betreiben jetzt offenbar so was wie Entwicklungshilfe für China. Die Konsequenz wird ja irgendwann sein, dass Sie nicht bloß Animationsfilme für 400 Millionen chinesische Kinder produzieren, sondern dass wir auch in Europa dann davon zu hören kriegen. Das ist ja wieder so eine Art Entwicklungshilfe, wo wir sagen, machen wir da nicht unsere eigenen Animationsfilme kaputt?
Giesen: Genau das wurde mir hier von einigen Kollegen in Deutschland vorgehalten, und ich habe gesagt, was ihr sagt, ist nicht richtig. Wir haben ja im Grunde … Wir saßen auf den Inhalten, wir saßen Hunderte von Jahren auf den Inhalten, und dann kamen die Amerikaner und haben daran verdient. Was ist Pinocchio, was ist Bambi, was ist Schneewittchen?
Billerbeck: Deutsche Märchen.
Giesen: Ja, was ist "Shrek", "Arielle, die Meerjungfrau". Wir können hinten und vorne, es sind Geschichten aus Europa, die, na ja, etwas unkonventionell erzählt werden, die Merchandising in Milliardenhöhe haben. Es werden an diesen Produkten Multimilliarden verdient, und wir verdienen nichts. Wir gehen daran vorbei. Wir haben unsere eigene Kultur ignoriert. Und in der Zusammenarbeit, beispielsweise mit China, lernen wir, unsere eigene Kultur neu zu reflektieren, sie einzuschätzen, sie auch wirtschaftlich einzuschätzen, auf einmal zu sagen, Kultur ist doch kein Ballast. Bei uns wird immer geredet, Kultur, das kostet und das … Das ist doch Blödsinn. Wirtschaft, Kultur, die gesamte Gesellschaft, das gehört zusammen, das ist eine gesamte homogene Dynamik. Und diese Dynamik muss zusammenarbeiten. Ich kann Kultur und Wirtschaft nicht voneinander trennen. Ich habe sogar gesehen, wenn man kulturell arbeitet, hat man’s wirtschaftlich leichter. Ich habe sogar vorgeschlagen, dass jede Wirtschaftsdelegation, die aus Deutschland nach China geht, möglichst eine Art Kulturprogramm hat. Die Musik ist …
Billerbeck: Dass sie eins mitbringt oder dass sie sich dort was ansieht?
Giesen: Beides. Also der kulturelle Austausch ist sehr wichtig. Das müssen natürlich auch Wirtschaftsverbände einsehen, das muss die Politik einsehen. Dann entsteht eine neue Dynamik. Ich bin als etwas älterer Mensch nach China geflogen, und auf einmal merke ich, ich bin selber wieder dynamisch geworden, also irgendwie ist mein Denken wieder jung, ich entwickle neue Ideen, neue Ziele. Und ich hoffe, dass diese Belebung, dass die auch bei anderen beginnt. Das heißt, dass wir also nicht hingehen und sagen, wir verschenken unsere teuren Inhalte an Asien, die rauben uns aus, unser gesamtes Know-how usw., sondern dass wir etwas zurückbekommen. Wir nennen das die interkulturelle Arbeit, wir haben viel versäumt, wir können noch etwas aufholen. Die Olympiade im nächsten Jahr wird die große Zäsur sein, und wir sollten uns dessen besinnen. Wir haben in Deutschland eine wirkliche Menge anzubieten. Nicht dass ich meine, wir sollten das instrumentalisieren. Es sollte uns selbstverständlich sein, mit unserer Poesie, mit unseren guten Werten, mit unserer guten Musik, mit unseren guten auch Märchen und Kindergeschichten dort aufzutreten.
Billerbeck: Das war jetzt eine flammende Rede sozusagen für den Kulturaustausch und für das Voneinanderlernen, trotzdem noch mal zurück zu meiner Frage. Sie haben das ja auch erwähnt, ich hab’s am Anfang auch gesagt, China fällt ja derzeit hierzulande fast auf durch Billigkopien, das ist eigentlich das Ding. Und das ist ja zu befürchten, dass das in diesem Markt, in dieser Kunst auch passiert. Fürchten Sie das gar nicht?
Giesen: Doch.
Billerbeck: Also es ist ja eine Wahnsinnsmacht, die man da herausbildet.
Giesen: Auch das habe ich immer, wir haben mit diesen, vor allen Dingen Neuen Medien, wir reden ja nicht nur von Film und Fernsehen, wir reden von Computerspielen, wir reden vom Internet, Mobilephone und den Technologien, die jenseits des Computers liegen. Es sind ganz große Gefahren natürlich in den visuellen Medien, die auf uns zukommen. Gerade das ist eine Form von Umweltschutz, die wir betreiben. Wir brauchen nicht nur einen Umweltschutz der Natur gegenüber, sondern auch eine Art Umweltschutz in den Medien. Und wir haben eine hohe, hohe Verantwortung. Auch die können wir nur im interkulturellen Dialog lösen.
Billerbeck: Das heißt, dass wir uns kümmern, was da in China passiert, auch um uns selber zu schützen?
Giesen: Nicht zu schützen, sondern ich sage einfach, die Amerikaner sagen nicht Problem, sie sagen "Challenge", Herausforderung. Und die Herausforderung ist, die Neuen Medien und das, was uns an Tools zur Verfügung gestellt wird auch in der Animation, in der Computeranimation etc., das positiv zu nutzen und nicht in die Gefahr zu laufen, die negativen Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Gefahr ist groß. Und ich glaube, der Dialog würde das verhindern. Also die Verantwortung, es ist nicht nur eine Verantwortung, Geld zu machen, sondern eine Verantwortung, Müll zu beseitigen. Jeder von uns weiß, wie viel Müll in den Medien herumtransportiert wird im Computer, wir nennen das Spam. Das ist ja unglaublich, was da an Müll, an elektronischem Müll herumgejagt wird. Und wir müssen Kriterien entwickeln und den Dialog so entwickeln, um uns gegen diesen geistigen Müll zu wehren und dass dieser Müll in unseren Köpfen abgeladen wird. Das ist also eine der Verantwortungen in der gegenseitigen Beziehung.
Billerbeck: Das war Rolf Giesen von der Deutschen Kinemathek, der eine Gastprofessur in Peking hat. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch!