Vielfalt in Verein und Fankurve

Fußball als Vorbild für Integration?

Mesut Özil (r) vom FC Arsenal bejubelt sein Tor zum 1:0 mit Pierre-Emerick Aubameyang (l) und Sead Kolasinac (28.7.208).
Der Rücktritt Mesut Özils aus dem Nationalteam veranlasste einen Blick hinter die Marketingfassade des Fußballs. © dpa / XinHua / Then Chih Wey
Von Ronny Blaschke |
Fußballvereine werden gerne als Positivbeispiele angeführt, wenn es um Integration von Menschen mit Migrationshintergrund geht. Bloß eine Marketingfassade? Jedenfalls fehlt der Blick auf Führungspositionen, Vereinsnamen und Fantum.
Vielfalt, Respekt, Miteinander. Die Schlagworte in den Spots der Fußballverbände sind oft die gleichen. Stolz erwähnen sie, dass in den Jugendinternaten mehr als vierzig Prozent der Spieler einen Migrationshintergrund haben. Was sie nicht erwähnen: In Präsidien, Aufsichtsräten, Sportgerichten, also in Führungspositionen, sind Migranten stark unterrepräsentiert.
Auch beim Berliner Fußball-Verband. Dort haben von 50 Angestellten vier eine Einwanderbiografie. Einer von ihnen ist Karlos El-Khatib: "Einerseits brauchen wir Vorbilder, die klar gezeigt werden. Das ist nur ein Schritt von vielen. Also sich einfach nur offen zu zeigen, hilft nicht, sondern man muss Personen mit Migrationshintergrund klar ansprechen. Dass auch sie damit gemeint sind, wenn wir Stellen besetzen wollen. Es braucht wirklich ein offensives Zugehen auf die Menschen."

In den meisten Gremien fehlen Möglichkeiten der Begegnung

Karlos El-Khatib ist in Berlin aufgewachsen, sein Vater war aus Palästina geflüchtet. El-Khatib kam über ein Praktikum zum Berliner Fußball-Verband. Seine Skepsis gegenüber einer deutsch dominierten Männerbürokratie verschwand schnell. Er durfte Projekte entwickeln, erhielt eine Festanstellung, kümmert sich nun vor allem um Integrationskonzepte.
Doch in den meisten Gremien kommt es nicht zu solchen Begegnungen, sagt Tina Nobis vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, kurz: BIM. "Wenn wir heute über Migrationsgesellschaften verhandeln, verhandeln wir ja zum Beispiel auch über Uneindeutigkeiten. Und über Möglichkeiten, zu Vielen dazugehören zu können. Ich denke, dass viele Vereine eben lange Zeit darauf gesetzt haben, auf so ein klassisches altes Ehrenamt. Es gibt diesen Vorstandsvorsitzenden. Und den gibt es halt und gibt es halt und gibt es halt und gibt es halt."
Der Berliner Fußball-Verband verdeutlicht die Herausforderungen auf der Suche nach Ehrenamtlichen. Er organisiert Begegnungsfeste auf dem Tempelhofer Feld, vergibt Sozialpreise, kooperiert mit Kulturbetrieben. Doch Informationen in anderen Sprachen fehlen. In den Ausbildungen für Trainer oder Schiedsrichter spielt Integration bis heute nur eine Nebenrolle. Praktika oder Mentorenprogramme für Einwanderer wie in Großbritannien gibt es nicht.

Einige Migrantenvereine legen sich deutsche Namen zu

Doch selbst wenn – eine bloße Beteiligung wäre kein Patentrezept, sagt der Sozialwissenschaftler Özgür Özvatan von der Humboldt-Universität Berlin: "Weil in einigen Fällen Personen mit Migrationshintergrund ins Schiedsgericht berufen wurden. Und die dann einen Riesendruck erhalten haben von Migrantenfußballvereinen. Dass sie in diesen Entscheidungen immer für 'ihre' Vereine, in Anführungszeichen, entscheiden sollen. Und diese Dinge sind wir wahrscheinlich gerade dabei zu verhandeln. Das heißt: wirklich Migration und Einwanderung ernst nehmen. Wie gehen wir denn nun vor, wenn ich mich mit einen Vereinsvertreter von einem türkisch geprägten Migrantenfußballverein unterhalten möchte, wenn ich ihn einbinden möchte? Und er lädt mich ein in eine Moschee – wie gehe ich damit um?"
Kinder unterschiedlicher Herkunft spielen Fußball zusammen.
Vielfalt – auf Amateurfußballplätzen, im Profifußball hingegen selten.© Imago / PuzzlePix / István Bielik
Özgür Özvatan hat selbst lange Fußball gespielt, unter anderem für Tennis Borussia Berlin, aber auch für den SV Yeşilyurt oder für Al-Dersimspor. Es sind zwei der rund 500 migrantisch geprägten Sportvereine in Deutschland. Immer wieder sind sie Ziel von Kritik: Sie würden die Abschottung festigen und seien Ausgangspunkt von Aggressionen. Özvatan hat Schmähungen erlebt. So geht es vielen Sportlern in den Berliner Migrantenfußballklubs.

Provokationen und Diskriminierungen

Die Konsequenzen: Die Vereine ziehen sich zurück ins eigene Milieu oder ändern ihren Namen. Aus Galatasaray Berlin wurde der Rixdorfer SV, aus Samsunspor der FC Kreuzberg.
Die Wissenschaftlerin Tina Nobis: "Wenn wir die einzige Linie für Gleichheit entlang des Migrationshintergrundes ziehen, dann verkennen wir, glaube ich, dass das Kategorien sind, mit denen wir auch ein Stück weit immer mehr zur Grenzziehung beitragen. Wenn Migrantensportvereine segregativ sind, dann sind aber auch Seniorensportvereine segregativ und dann sind auch Frauensportvereine segregativ. Und ich glaube, in diesen lokalen kleinen Räumen, da passiert eher Vergemeinschaftung. Und dass Identifikation vielleicht weniger ist: 'Ich fühle mich Deutsch', sondern: 'Ich fühle mich als Berliner'. Oder: 'Ich fühle mich als Spandauer oder Kreuzberger'."
Regionale Studien machen es deutlich: Spieler mit Einwandererbiografie sind einerseits überdurchschnittlich oft an Spielabbrüchen beteiligt. Andererseits werden sie aber auch häufiger provoziert und diskriminiert. Und Sportgerichte bestrafen sie mitunter härter als Spieler ohne Migrationshintergrund. So staut sich Wut an, sagt Silvester Stahl von der Fachhochschule für Sport und Management in Potsdam: "Das sind eben häufig auch Jugendliche aus den sogenannten bildungsfernen Familien, aus der Arbeiterschicht, wo eben auch ein schichttypisches Verhalten einfach vorliegt, was eben auch unabhängig von einem ethnischen Hintergrund ein anderes ist als zum Beispiel bei Gymnasiasten."

Fankurven spiegeln Vielfalt ihrer Städte nicht wider

Die ersten Migrantenvereine haben schon den Gastarbeitern in den 1960er Jahren ein Stück Heimat vermittelt. Viele haben sich geöffnet, pflegen religiöse Feiertage und traditionelles Essen. Andere wurden aufgelöst oder schotteten sich ab. In seltenen Fällen waren die Vereine aber auch Treffpunkte der "Grauen Wölfe", einer rechtsextremen türkischen Bewegung: "Man muss sie auch vergleichen mit anderen ethnischen Organisationen. Zum Beispiel mit Kulturvereinen, mit politischen Organisationen, mit Elternvereinen oder religiösen Gruppen wie den Moscheevereinen. Und in diesem Vergleich schneiden sie außerordentlich gut ab. Weil sie eben in aller Regel auf die Strukturen der Aufnahmegesellschaft, nämlich die Landesfußballverbände, bezogen sind. Weil sie so was wie eine Brückenfunktion ausüben. Weil sie am allgemeinen Spielbetrieb teilnehmen."
Fußballfans in der Fankurve werfen die Hände in die Luft.
Die Fankurven der Profivereine sind häufig wenig integrativ.© Imago / Photocase
Berlin oder Frankfurt, Stuttgart oder Köln. Städte, in denen mehr als ein Drittel der Einwohner einen Migrationshintergrund haben. Diese Vielfalt zeigt sich zwar auf den Amateurfußballplätzen. Nicht aber in den Fankurven der Profivereine. Bei den Ultras, den leidenschaftlichen Anhängern, haben maximal zwei Prozent eine Einwanderbiografie. Jugendliche, deren Eltern oder Großeltern aus der Türkei stammen, fiebern oft mit Beşiktaş oder Galatasaray in Istanbul. Sie fühlen sich mit zwei Ländern verbunden, doch das ist im Fußball kaum möglich, sagt der Berliner Fanforscher Robert Claus. Denn dort herrsche Bekenntniszwang. "Es gibt keinen Ultra, der Ultra von zwei Vereinen ist. Kann es gar nicht geben per Definition, weil man ja bis in den Tod laut Eigenverständnis mit einem Verein geht. Eine ähnliche Logik liegt eigentlich hinter Nationalismus. Das heißt, die Idee, dass ich entweder Deutscher oder Türke bin, und eigentlich irgendwas dazwischen laut nationalistischer Logik kaum sein kann, weist eine starke strukturelle Parallele zu Fan-Denken auf."

Rechte Hooligans betreiben "Ausländer-Klatschen"

Die ersten beiden deutschen Ligen vermelden regelmäßig Zuschauerrekorde, also glauben sie, nicht auf neue Kunden angewiesen zu sein. Kaum jemand hinterfragt Fußballrituale mit Bier, Bratwurst und Schunkelhymnen, die Migranten eventuell abschrecken könnten.
Zudem haben Provokationen und Diskriminierung ihre Spuren hinterlassen, sagt Robert Claus: 1997 zum Beispiel hielten Fans des FC Bayern bei ihrem Heimspiel gegen Beşiktaş Istanbul dutzende Aldi-Tüten in die Höhe. Sie wollten türkische Anhänger pauschal herabwürdigen, vor kurzem entschuldigten sie sich dafür.
Nur ein Beispiel von vielen, sagt Claus: "Es gibt eine lange Geschichte von rechten Hooligans, die nach Spielen sogenanntes 'Ausländer-Klatschen' in den Innenstädten betreiben. Von der Borussenfront in Dortmund bis zur Wannseefront in Berlin. Was in den Neunzigerjahren tatsächlich leider ganz üblich war – dass gegnerische Spieler, deren Namen über die Lautsprecher verkündet wurden, als Asylanten in Anführungsstrichen willkommen geheißen wurden – das hat leider eine lange Tradition im deutschen Fußball."
Bengalos und Pyrotechnik von vermummten Hooligans im Fanblock in der Mercedes-Benz Arena in Stuttgart
Vermummte Fußballfans zünden Bengalos.© Imago / imagebroker
In Zeiten des Rechtspopulismus könnten Bundesligaklubs auf divers geprägte Kieze zugehen, findet Claus, doch oft seien ihnen solche Projekte zu kleinteilig. Bei der Vergabe der Europameisterschaft 2024 kann es nur einen Sieger geben, Deutschland oder die Türkei. Der Ausgang dürfte auch beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdogan am Freitag in Berlin eine Rolle spielen.
Gibt es so etwas wie eine deutsch-türkische Fußballkultur? Seit dem Rücktritt Mesut Özils aus dem Nationalteam wird intensiv hinter die Marketingfassade des Fußballs geschaut. Und es scheint so, als würde diese Diskussion erst am Anfang stehen.
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