"Vielleicht die letzte Bastion der Literatur im Fernsehen"
Daniela Strigl, Literaturkritikerin und Jurorin bei den "Tagen der deutschsprachigen Literatur", kritisiert den Österreichischen Rundfunk. Gemessen an den Sportübertragungen sei das Geld für den Bachmann-Wettbewerb "eine lächerliche Summe".
Joachim Scholl: In gut einer Woche beginnt er wieder im österreichischen Klagenfurt, der Wettbewerb zum Ingeborg-Bachmann-Preis. Seit 1976 findet er statt, ein bedeutendes literarisches Forum, eine Startrampe für so manche große Karriere, ein Schaulaufen auch für die Verlage. Schriftsteller lesen aus ihren Manuskripten, eine Runde von Kritikern und Juroren lauscht und rezensiert live, sozusagen am offenen Herzen des Autors.
Dieses Prozedere hat auch Literaturgeschichte gemacht, es könnte allerdings in diesem Jahr das letzte Mal stattfinden. Der ORF, der Österreichische Rundfunk, will sich aus Spargründen zurückziehen. Am Telefon in Wien ist jetzt Daniela Strigl, die seit etlichen Jahren als Jurorin bei diesen Tagen von Klagenfurt dabei ist, ich grüße Sie, Frau Strigl!
Daniela Strigl: Guten Tag!
Scholl: Viele Betroffene und Protagonisten, Kritiker, Feuilletonisten, Preisträger und Juroren haben sich über das Wochenende enttäuscht, empört, traurig über ein mögliches Aus des Bachmann-Preises geäußert. Fänden Sie es auch schade, wenn es den Preis nicht mehr gäbe?
Strigl: Natürlich wäre das schade! Das ist vielleicht die letzte Bastion der Literatur im Fernsehen und jeder Fußbreit Terrain, den die Literatur im Fernsehen aufgibt, der ist weg!
Scholl: Der ORF will, muss 100 Millionen einsparen. Hier wirken dann die 350.000 Euro, die Klagenfurt kostet, relativ marginal. Ist das Sparen wirklich der Grund oder nur vorgeschoben, Frau Striegl, was meinen Sie?
Strigl: Also, der ORF hat genug Geld. Er gibt im nächsten Jahr projektierte 100 Millionen Euro für Sport aus. Und dafür kassiert er aber keine Gebühren, sondern eigentlich für den Kulturauftrag. Also, diese 350.000 Euro sind eigentlich eine lächerliche Summe für den ORF.
Scholl: Mir hat ein deutscher Literaturkritiker, auch ehemaliger Juror, am Wochenende ins Ohr geflüstert, dass der Bachmann-Preis in Österreich gar nicht so geschätzt werde, wie man öffentlich tut, weil zu wenig Österreicher gewinnen würden, weil die bundesdeutsche Literatur zu mächtig ventiliert werde, es im Grunde eine deutsche Veranstaltung sei. Was sagen Sie denn dazu als Österreicherin?
Strigl: Also, das halte ich für ein Gerücht. Ich glaube, dass man in Österreich unter Kulturleuten sehr wohl weiß, was man an diesem Preis hat. Es gab auch in den letzten Jahren immer wieder österreichische Preisträger und Preisträgerinnen, zuletzt etwa Maja Haderlap, und die Verhältnisse in der Jury bilden einigermaßen die Bevölkerungsanteile der drei deutschsprachigen Länder ab. Also, wenn man das vielleicht nicht zu schätzen weiß, dann eher in literaturfernen Kreisen Österreichs. Und da ist es vielleicht ganz gut, wenn das deutsche Feuilleton diesen Leuten klarmacht, was sie daran haben.
Scholl: Wie würden Sie denn generell dieses deutsch-österreichische Verhältnis beschreiben, wie hat es sich in Klagenfurt denn entwickelt? War das immer eine gute harmonische Geschichte? Wie haben Sie es erlebt?
Strigl: Nun, es gibt da sicher wechselnde Koalitionen und Kräfteverhältnisse. Am Anfang waren viele österreichische Juroren im Vergleich zu den deutschen. Das hat sich etwas geändert, es gab natürlich auch unterschiedliche Auffassungen bei einzelnen Preiskandidaten. Es gibt vielleicht in Österreich einen gewissen Hang zu eher literarisch, sprachlich verspielten Texten, den die deutschen Kollegen nicht immer so mitzutragen verstehen.
Aber insgesamt würde ich sagen, es ist ein sehr gutes Verhältnis. Und die Schweizer darf man auch nicht vergessen. Die sind vielleicht etwas stiller gewesen in der letzten Zeit. Da kam aus der Schweizer Literatur vielleicht nicht so viel, aber es ist eine schöne Sache, dass hier alle drei Länder vertreten sind und Autoren aus allen drei Ländern immer wieder dran sind.
Scholl: Aber noch mal ganz genau: Also, die These von der bundesdeutschen Übermacht beim Bachmann-Wettbewerb, die weisen Sie zurück?
Strigl: Also, wir haben sieben Juroren und davon sind vier aus Deutschland, Entschuldigung, sind drei aus Deutschland. Und die anderen vier sind aus Österreich und der Schweiz. Also kann das so nicht ganz stimmen. Dass mehr Autoren aus Deutschland kommen, das liegt einfach daran, dass Deutschland um einiges größer ist.
Scholl: Und wie würden Sie das Verhältnis so von der österreichischen Öffentlichkeit und dem Bachmann-Preis beschreiben? Wie hoch angesehen ist er eigentlich da?
Strigl: Also, der Bachmann ist sehr angesehen. Er ist vor allem im Landesstudio Kärnten völlig unbestritten, dort weiß man schon, was man daran hat. Und da hat man auch in den letzten Jahren nicht Provinzfernsehen gemacht, sondern das war schon internationale Liga. Aber ich glaube, dass es vielleicht in der Politik nicht so ganz klar ist, was man daran hat. Das scheint mir eher das Problem zu sein. Also, die Zeitungen, die wissen das schon und die literarische Öffentlichkeit schätzt den Preis außerordentlich.
Scholl: Der Bachmann-Preis ist bedroht. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der österreichischen Literaturkritikerin und Jurorin beim Wettbewerb Daniela Strigl. Nun gab es in den Jahrzehnten, Frau Strigl, ja auch immer diesen kritischen Ton gegenüber dem Bachmann-Wettbewerb: Der Lesemarathon, der sei also ein merkwürdiges Purgatorium, so ein Fegefeuer, in dem der Autor gebraten wird, wenn er dann still sitzen muss und zuhören, wie ihn die Kritiker rings herum verreißen. Es gibt zahlreiche Bachmann-Preis-Hassgeschichten auch von Autoren, die sich weigern, dort aufzutreten. Wie zeitgemäß ist der Wettbewerb eigentlich noch?
Strigl: Also, er hat sich ja verändert. Früher gab es eine eher prinzipielle ideologisch-politische Kritik daran, weil das einfach für den Autor eine Zumutung darstellt, so vorgeführt zu werden. Das war der Tenor. Mittlerweile, glaube ich, haben alle Jurymitglieder doch Glacéhandschuhe an. Wesentlich ziviler geht es jetzt dort zu. Die Kritik hat es immer gegeben, es gab auch Jahrgänge, wo einhellige Begeisterung fast geherrscht hat, und dann gibt es auch so eine Art, ich möchte sagen, sauertöpfische Kritik, die eigentlich immer irgendetwas daran auszusetzen hat, und deren Anhänger jetzt aber genauso Zeter und Mordio schreien, interessanterweise.
Ich glaube, dass der Bachmann-Wettbewerb genauso zeitgemäß ist wie die Literatur überhaupt. Also, wenn man an die glaubt, dann kann man auch an Literatur im Fernsehen glauben. Das ist für mich überhaupt kein Widerspruch. Es ist vielleicht eher das Problem, dass die Fernsehgewaltigen einer gewissen Heuchelei huldigen, wo sie in Sonntagsreden eben vom öffentlich-rechtlichen Auftrag sprechen und in den internen Sitzungen nur noch von der Quote.
Scholl: Wir kommen gleich noch mal aufs Fernsehen, Frau Strigl, aber zunächst: Ist der Bachmann-Preis wirklich noch dieses wichtige Medium für die Literatur, wenn man sich so die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, also, wie sich der Betrieb auch so vervielfältigt durchs Internet und durch die E-Books und durch die vielen, vielen Kanäle, die jetzt dazukommen, ist er immer noch so ein Fokus für die Literatur, der dann auch wirklich das Publikum erreicht?
Strigl: Ja, ich glaube, der hat eigentlich früher nicht mehr erreicht, eher weniger, weil heute das Internet zu der Vervielfältigung ja beiträgt und es da heftige und intensive Forendiskussionen zu den einzelnen Lesungen gibt. Wenn ich bedenke, wie viele Einsendungen ich von den Autoren bekomme, dann muss ich doch glauben, dass das für wichtig gehalten wird. Und wenn ich vor allem sehe, was für eine Aufmerksamkeit der jeweilige Preisträger dann hervorruft, dann wird das wohl auch stimmen.
Scholl: Was würde denn verloren gehen Ihrer Meinung nach, wenn es den Preis nicht mehr gäbe?
Strigl: Na ja, eine öffentliche Plattform, auf der diskutiert und gestritten wird über Literatur, und wo man sich eben überprüfbar literaturkritisch austauscht. Nicht im stillen Kämmerlein, sondern exponiert. Alle müssen sich ja dort exponieren. Das ergibt dann auch wieder eine gewisse Gerechtigkeit.
Scholl: Um noch mal zurückzukommen auf Ihre These vom verlogenen österreichischen Fernsehen, Frau Strigl: Es hat schon Vorschläge gegeben, die Summe von 350.000 Euro könnte doch aus Deutschland kommen! Wie finden Sie denn diesen Gedanken als Österreicherin, das wäre ja ziemlich peinlich für den ORF!
Strigl: Also, ich glaube, so weit ist es noch nicht. Da könnte man ja vielleicht doch die ein oder andere Sportübertragung infrage stellen im ORF, bevor man sich vom großen Nachbarn ein Aushängeschild des Fernsehens finanzieren lassen muss!
Scholl: Also, Sie glauben, da ist noch das letzte Wort nicht gesprochen, ja?
Strigl: Das glaube ich tatsächlich nicht. Vielleicht geht es ja auch eher darum, dass man hier den Politikern in Österreich die Rute ins Fenster stellt und eine moralische Erpressung versucht und denen sagt, wenn ihr uns nicht mehr Geld gebt, müssen wir leider das, was unser Renommee ausmacht, streichen!
Scholl: Burkhard Spinnen, der derzeitige Jurypräsident, hat hier in unserem Sender am Wochenende gesagt, der diesjährige Wettbewerb sei durch diese Androhung, der letzte zu sein, ja irgendwie verdorben. Man würde vermutlich mehr darüber reden als über die Texte der Kandidaten. Sehen Sie auch mit diesem Gefühl auf die kommende Woche?
Strigl: Es war jedenfalls vom Generaldirektor des ORF nicht gerade sehr feinfühlig, mit dieser Ankündigung so knapp vor dem Wettbewerb herauszugehen. Natürlich wird das das Interesse von der Literatur, von der Sache selbst auf diese organisatorischen und finanziellen Fragen lenken. Also, die Autoren sind eigentlich die Leidtragenden.
Scholl: Der Ingeborg-Bachmann-Preisträger in diesem Jahr, er könnte der letzte sein, wenn der ORF seine Ankündigung wahrmacht, sich aus dem Wettbewerb zurückzuziehen. Wir haben dazu die Wiener Literaturkritikerin und Jurorin Daniela Strigl gehört, besten Dank, Frau Strigl, für das Gespräch!
Strigl: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Daniela Strigl: Guten Tag!
Scholl: Viele Betroffene und Protagonisten, Kritiker, Feuilletonisten, Preisträger und Juroren haben sich über das Wochenende enttäuscht, empört, traurig über ein mögliches Aus des Bachmann-Preises geäußert. Fänden Sie es auch schade, wenn es den Preis nicht mehr gäbe?
Strigl: Natürlich wäre das schade! Das ist vielleicht die letzte Bastion der Literatur im Fernsehen und jeder Fußbreit Terrain, den die Literatur im Fernsehen aufgibt, der ist weg!
Scholl: Der ORF will, muss 100 Millionen einsparen. Hier wirken dann die 350.000 Euro, die Klagenfurt kostet, relativ marginal. Ist das Sparen wirklich der Grund oder nur vorgeschoben, Frau Striegl, was meinen Sie?
Strigl: Also, der ORF hat genug Geld. Er gibt im nächsten Jahr projektierte 100 Millionen Euro für Sport aus. Und dafür kassiert er aber keine Gebühren, sondern eigentlich für den Kulturauftrag. Also, diese 350.000 Euro sind eigentlich eine lächerliche Summe für den ORF.
Scholl: Mir hat ein deutscher Literaturkritiker, auch ehemaliger Juror, am Wochenende ins Ohr geflüstert, dass der Bachmann-Preis in Österreich gar nicht so geschätzt werde, wie man öffentlich tut, weil zu wenig Österreicher gewinnen würden, weil die bundesdeutsche Literatur zu mächtig ventiliert werde, es im Grunde eine deutsche Veranstaltung sei. Was sagen Sie denn dazu als Österreicherin?
Strigl: Also, das halte ich für ein Gerücht. Ich glaube, dass man in Österreich unter Kulturleuten sehr wohl weiß, was man an diesem Preis hat. Es gab auch in den letzten Jahren immer wieder österreichische Preisträger und Preisträgerinnen, zuletzt etwa Maja Haderlap, und die Verhältnisse in der Jury bilden einigermaßen die Bevölkerungsanteile der drei deutschsprachigen Länder ab. Also, wenn man das vielleicht nicht zu schätzen weiß, dann eher in literaturfernen Kreisen Österreichs. Und da ist es vielleicht ganz gut, wenn das deutsche Feuilleton diesen Leuten klarmacht, was sie daran haben.
Scholl: Wie würden Sie denn generell dieses deutsch-österreichische Verhältnis beschreiben, wie hat es sich in Klagenfurt denn entwickelt? War das immer eine gute harmonische Geschichte? Wie haben Sie es erlebt?
Strigl: Nun, es gibt da sicher wechselnde Koalitionen und Kräfteverhältnisse. Am Anfang waren viele österreichische Juroren im Vergleich zu den deutschen. Das hat sich etwas geändert, es gab natürlich auch unterschiedliche Auffassungen bei einzelnen Preiskandidaten. Es gibt vielleicht in Österreich einen gewissen Hang zu eher literarisch, sprachlich verspielten Texten, den die deutschen Kollegen nicht immer so mitzutragen verstehen.
Aber insgesamt würde ich sagen, es ist ein sehr gutes Verhältnis. Und die Schweizer darf man auch nicht vergessen. Die sind vielleicht etwas stiller gewesen in der letzten Zeit. Da kam aus der Schweizer Literatur vielleicht nicht so viel, aber es ist eine schöne Sache, dass hier alle drei Länder vertreten sind und Autoren aus allen drei Ländern immer wieder dran sind.
Scholl: Aber noch mal ganz genau: Also, die These von der bundesdeutschen Übermacht beim Bachmann-Wettbewerb, die weisen Sie zurück?
Strigl: Also, wir haben sieben Juroren und davon sind vier aus Deutschland, Entschuldigung, sind drei aus Deutschland. Und die anderen vier sind aus Österreich und der Schweiz. Also kann das so nicht ganz stimmen. Dass mehr Autoren aus Deutschland kommen, das liegt einfach daran, dass Deutschland um einiges größer ist.
Scholl: Und wie würden Sie das Verhältnis so von der österreichischen Öffentlichkeit und dem Bachmann-Preis beschreiben? Wie hoch angesehen ist er eigentlich da?
Strigl: Also, der Bachmann ist sehr angesehen. Er ist vor allem im Landesstudio Kärnten völlig unbestritten, dort weiß man schon, was man daran hat. Und da hat man auch in den letzten Jahren nicht Provinzfernsehen gemacht, sondern das war schon internationale Liga. Aber ich glaube, dass es vielleicht in der Politik nicht so ganz klar ist, was man daran hat. Das scheint mir eher das Problem zu sein. Also, die Zeitungen, die wissen das schon und die literarische Öffentlichkeit schätzt den Preis außerordentlich.
Scholl: Der Bachmann-Preis ist bedroht. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der österreichischen Literaturkritikerin und Jurorin beim Wettbewerb Daniela Strigl. Nun gab es in den Jahrzehnten, Frau Strigl, ja auch immer diesen kritischen Ton gegenüber dem Bachmann-Wettbewerb: Der Lesemarathon, der sei also ein merkwürdiges Purgatorium, so ein Fegefeuer, in dem der Autor gebraten wird, wenn er dann still sitzen muss und zuhören, wie ihn die Kritiker rings herum verreißen. Es gibt zahlreiche Bachmann-Preis-Hassgeschichten auch von Autoren, die sich weigern, dort aufzutreten. Wie zeitgemäß ist der Wettbewerb eigentlich noch?
Strigl: Also, er hat sich ja verändert. Früher gab es eine eher prinzipielle ideologisch-politische Kritik daran, weil das einfach für den Autor eine Zumutung darstellt, so vorgeführt zu werden. Das war der Tenor. Mittlerweile, glaube ich, haben alle Jurymitglieder doch Glacéhandschuhe an. Wesentlich ziviler geht es jetzt dort zu. Die Kritik hat es immer gegeben, es gab auch Jahrgänge, wo einhellige Begeisterung fast geherrscht hat, und dann gibt es auch so eine Art, ich möchte sagen, sauertöpfische Kritik, die eigentlich immer irgendetwas daran auszusetzen hat, und deren Anhänger jetzt aber genauso Zeter und Mordio schreien, interessanterweise.
Ich glaube, dass der Bachmann-Wettbewerb genauso zeitgemäß ist wie die Literatur überhaupt. Also, wenn man an die glaubt, dann kann man auch an Literatur im Fernsehen glauben. Das ist für mich überhaupt kein Widerspruch. Es ist vielleicht eher das Problem, dass die Fernsehgewaltigen einer gewissen Heuchelei huldigen, wo sie in Sonntagsreden eben vom öffentlich-rechtlichen Auftrag sprechen und in den internen Sitzungen nur noch von der Quote.
Scholl: Wir kommen gleich noch mal aufs Fernsehen, Frau Strigl, aber zunächst: Ist der Bachmann-Preis wirklich noch dieses wichtige Medium für die Literatur, wenn man sich so die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, also, wie sich der Betrieb auch so vervielfältigt durchs Internet und durch die E-Books und durch die vielen, vielen Kanäle, die jetzt dazukommen, ist er immer noch so ein Fokus für die Literatur, der dann auch wirklich das Publikum erreicht?
Strigl: Ja, ich glaube, der hat eigentlich früher nicht mehr erreicht, eher weniger, weil heute das Internet zu der Vervielfältigung ja beiträgt und es da heftige und intensive Forendiskussionen zu den einzelnen Lesungen gibt. Wenn ich bedenke, wie viele Einsendungen ich von den Autoren bekomme, dann muss ich doch glauben, dass das für wichtig gehalten wird. Und wenn ich vor allem sehe, was für eine Aufmerksamkeit der jeweilige Preisträger dann hervorruft, dann wird das wohl auch stimmen.
Scholl: Was würde denn verloren gehen Ihrer Meinung nach, wenn es den Preis nicht mehr gäbe?
Strigl: Na ja, eine öffentliche Plattform, auf der diskutiert und gestritten wird über Literatur, und wo man sich eben überprüfbar literaturkritisch austauscht. Nicht im stillen Kämmerlein, sondern exponiert. Alle müssen sich ja dort exponieren. Das ergibt dann auch wieder eine gewisse Gerechtigkeit.
Scholl: Um noch mal zurückzukommen auf Ihre These vom verlogenen österreichischen Fernsehen, Frau Strigl: Es hat schon Vorschläge gegeben, die Summe von 350.000 Euro könnte doch aus Deutschland kommen! Wie finden Sie denn diesen Gedanken als Österreicherin, das wäre ja ziemlich peinlich für den ORF!
Strigl: Also, ich glaube, so weit ist es noch nicht. Da könnte man ja vielleicht doch die ein oder andere Sportübertragung infrage stellen im ORF, bevor man sich vom großen Nachbarn ein Aushängeschild des Fernsehens finanzieren lassen muss!
Scholl: Also, Sie glauben, da ist noch das letzte Wort nicht gesprochen, ja?
Strigl: Das glaube ich tatsächlich nicht. Vielleicht geht es ja auch eher darum, dass man hier den Politikern in Österreich die Rute ins Fenster stellt und eine moralische Erpressung versucht und denen sagt, wenn ihr uns nicht mehr Geld gebt, müssen wir leider das, was unser Renommee ausmacht, streichen!
Scholl: Burkhard Spinnen, der derzeitige Jurypräsident, hat hier in unserem Sender am Wochenende gesagt, der diesjährige Wettbewerb sei durch diese Androhung, der letzte zu sein, ja irgendwie verdorben. Man würde vermutlich mehr darüber reden als über die Texte der Kandidaten. Sehen Sie auch mit diesem Gefühl auf die kommende Woche?
Strigl: Es war jedenfalls vom Generaldirektor des ORF nicht gerade sehr feinfühlig, mit dieser Ankündigung so knapp vor dem Wettbewerb herauszugehen. Natürlich wird das das Interesse von der Literatur, von der Sache selbst auf diese organisatorischen und finanziellen Fragen lenken. Also, die Autoren sind eigentlich die Leidtragenden.
Scholl: Der Ingeborg-Bachmann-Preisträger in diesem Jahr, er könnte der letzte sein, wenn der ORF seine Ankündigung wahrmacht, sich aus dem Wettbewerb zurückzuziehen. Wir haben dazu die Wiener Literaturkritikerin und Jurorin Daniela Strigl gehört, besten Dank, Frau Strigl, für das Gespräch!
Strigl: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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