"Vielleicht kann man ja auch Tanz kuratieren?"

Von Jochen Stöckmann |
Die Aufgabe eines Kurators ist es - ja, was eigentlich? Früher galt er als "Fürsorger, Besorger, Aufseher", war aber zugleich auch der Vormund für "Wahnsinnige, Blödsinnige und Verschwender". Thomas Weski erwartet als Kurator, insbesondere der Fotografie, an der Hochschule in Leipzig erneut Neuland. Seine Offenheit dürfte einiges bewirken.
Als Kurator für Fotografie ist Thomas Weski bekannt geworden: mit "How You look at it", einem Dialog von Malerei und Fotografie im Sprengel Museum Hannover, mit William Egglestons Farbfotos im Kölner Museum Ludwig und jüngst mit einer Präsentation großformatiger Arbeiten von Andreas Gursky, die dem Münchner Haus der Kunst zu neuen Besucherrekorden verhalf. Nun wechselt der 55-Jährige aus der Praxis in die Theorie und wird Professor für "Kulturen des Kuratorischen" in Leipzig. An jener Hochschule für Grafik und Buchkunst also, deren Monokultur sprichwörtlich ist: Alle Welt redet von der "Leipziger Schule" und meint damit die Maler um Neo Rauch:

"Auch Leipzig hat ja eine lange Tradition der Fotografie und hat nach der Wende ja auch durch eine paritätische Besetzung der Professuren einen Schwerpunkt Fotografie gehabt. Dann kam die "Leipziger Schule" mit der Malerei – und jetzt dominiert sie das Geschehen. Aber ich glaube, dass sich Hochschulen von diesen Schwerpunkten trennen müssen und fächerübergreifend ausbilden sollten."

Weski ist allerdings kein Freund der "Universalisten", der Überflieger, die meinen, ohne profundes Fachwissen auszukommen. Deshalb baut der frisch berufene Professor erst einmal auf seiner Disziplin, der Fotografie, auf – schaut dabei aber wie gewohnt über den Tellerrand. So hat er als Kurator seine Netzwerke geknüpft. Und auch in Leipzig trifft Weski einen alten Bekannten:

"Das ist jetzt einfach ein Zufall, dass der momentane Rektor Joachim Brohm heißt. Das ist ein Fotograf, den ich mal vor langer Zeit ausgestellt habe, ich glaube, das ist über 20 Jahre her, im Sprengel Museum. In der Tat ist es so, dass jede Generation für sich eine Art Netzwerk schafft von Kontakten und gegenseitigen Hilfen, Empfehlungen und Ratschlägen. Und im Rahmen dieser Lehre wird ein Teil dieses Netzwerks wieder sichtbar werden: Künstler, Theoretiker, Kuratoren, Kollegen, die wir einladen werden, um Workshops zu machen oder Vorträge zu halten."

Dabei soll es weniger um prominente Namen gehen, nicht um jene "blockbuster", für die heute Kuratoren von Museen angestellt oder auch nur für einige Monate gebucht werden. Im Aufbaustudium "Kulturen des Kuratorischen" stehen dezidierte Ansätze der Kunstvermittlung im Mittelpunkt, charakteristische Handschriften, die sich nicht einfach so kopieren lassen. Harald Szeemans "documenta" etwa oder auch Kasper Königs "Westkunst"-Ausstellung 1981 in Köln:

"Wenn man geschichtlich zurückblickt, dann gibt es Leute wie Harald Szeeman oder Kasper König, der für einen bestimmten Ausstellungstypus steht, die man heute teilweise kritischer sieht: die Großausstellung. Oder wie Hans Ulrich Obrist, die aus den Kontakten heraus ihre Arbeit entwickeln. Diese Gegensätze sollen reflektiert werden, durchdacht werden. Und im Rahmen dieses Studiums – das ich als einen Luxus empfinde: zwei Jahre losgelöst von beruflichen Zwängen – dann am Ende des Studiums münden in einer Einzelausstellung, die man als Abschlussarbeit liefern muss."

Weskis Meisterstück war 2003 in Köln "cruel and tender", eine Ausstellungskooperation mit der Londoner Tate Modern. Zum ersten Mal überhaupt zeigten die Engländer Fotografie in diesen heiligen Hallen, der Kurator hatte Vorurteile zu überwinden, musste diplomatisch umgehen mit eingefahrenen Betrachtungs- oder Verhaltensweisen im Publikum, bei der Kunstkritik, oder auch in der Administration von Museen und Kulturbehörden:

"In England gibt es eine große sozialdokumentarische Bewegung in der Fotografie. Also, es galt: Kunst hat keinen Nutzen und diese Fotografen haben Arbeiten geliefert, die einen politischen Nutzen erfüllten. Aber es gab nicht wie in Deutschland eine breite Anerkennung des Mediums als künstlerische Ausdrucksform. In der Form war die Ausstellung etwas Besonderes, weil die Tate sich nach langem, langem Überlegen entschieden hatte."

Seine eigene Gratwanderung zwischen dem, was er einerseits "dokumentarische" und andererseits "inszenierende" Fotografie nennt, hat Weski neben seiner Museumsarbeit im Aufbau der Fotosammlung für Siemens absolviert. Dazu gehörte auch die Vergabe von Aufträgen an einzelne Fotografen. Dass dabei mehr gefordert ist als nur das Einwerben von Sponsorengeldern hat der Kurator bereits Anfang der 90er erfahren, als der Berliner Michael Schmidt eine große, politisch brisante und den normalen künstlerischen Rahmen sprengende Arbeit über die deutsche Einheit begann.

"Jeder Kontakt zu einem Künstler ist natürlich anders, es gibt keine Faustregel. Vor allem nicht, wenn die Werke noch im Entstehen sind. Und das war bei "EIN-HEIT" bei Michael Schmidt der Fall. Das war ein Projekt, das während des Entstehens schon kommentiert werden musste und ich dem Auftraggeber auch etwas suggerieren musste, und immer wieder berichten musste über den Stand. Also eine Vermittlung zwischen dem Finanzier und dem Künstler. Es gibt da ganz unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit."

Gerade die Fotografie als ein vor kurzem noch randständiges Medium spiegelt diesen Veränderungsprozess: Da erzielen immer größere Formate auf Auktionen Rekordpreise, verdrängen neben Video und Film-Installationen andere Medien aus den Sammlungen – und zugleich verabschieden sich andere Künstler schon wieder von der Museumswand, entdecken das Fotobuch oder auch die Performance im öffentlichen Raum als adäquate Ausdrucksform.

"Abgesehen von der Fotografie und den traditionellen Künsten gibt es ja auch Mischformen – vielleicht kann man ja auch Tanz kuratieren? Das sind alles Fragen, die man sich jetzt neuerdings stellt."

Und so eindeutig festgelegt war die Profession des "Kurators" ohnehin nie: Er galt als "Fürsorger, Besorger, Aufseher", war aber zugleich auch der Vormund für "Wahnsinnige, Blödsinnige und Verschwender". Der Blick ins vergilbte Lateinlexikon ruft Erinnerungen an die jüngste Gegenwart wach, man denkt an die Übertreibungen des Kunstmarktes – und an exaltierte Sammler:

"Der Sammler hat einfach den Vorteil, dass er mit seiner Sammlung alt werden kann und sie ihm gehört. Ein Museumsmann, der genauso sammelt, kann nicht so eine Form von Leidenschaft Realität werden lassen. Er kann dieselbe Leidenschaft haben, aber er wird nicht die Möglichkeit haben, sie so umzusetzen. Und dadurch wird er der Materie vielleicht auch distanzierter gegenüberstehen, weniger begeistert. Das sind aber Mutmaßungen."

Und genau diese Mutmaßungen, die unverstellte, noch nicht bis ins letzte Detail festgelegte Neugier macht den guten Kurator aus: Wie einst aus Hannover nach Köln und dann nach München geht Thomas Weski jetzt nach Leipzig. Und er wird dort einiges bewirken – gerade weil er nicht genau weiß, was ihn erwartet.