Vielschichtiger Protest gegen französische Homo-Ehe

Jürgen Ritte im Gespräch mit Katrin Heise |
Am Sonntag haben hunderttausende Menschen in Paris gegen die Homo-Ehe demonstriert. "Diesmal hat man wirklich im Hintergrund alle Netzwerke in Bewegung gesetzt", sagt Jürgen Ritte. Die Motivationen für den Protest seien sehr unterschiedlich.
Katrin Heise: Frankreich war Ende der 90er-Jahre Vorreiter in Sachen eingetragene Lebensgemeinschaften. Aber gegen die Eheschließung von Schwulen und Lesben beziehungsweise dagegen, dass sie das, was Adoptionen und künstliche Befruchtung angeht, dann gleichgestellt sind, dagegen formiert sich massiver Protest in Frankreich. Gestern waren Hunderttausende, aus dem ganzen Land angekarrt nach Paris, auf den Straßen dann dort protestierend unterwegs. Ursula Welter hat die Proteste beobachtet.

Beitrag von Ursula Welter (MP3-Audio)Beitrag

Katrin Heise: Von den Protesten in Paris berichtete Ursula Welter. Demonstrationen also für die traditionelle Familie von Vater, Mutter, Kind, gegen gesetzlich geschützte Familiengründung durch Homosexuelle. Warum, das kann uns vielleicht der in Paris lebende Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte erklären. Schönen guten Morgen, Herr Ritte!

Jürgen Ritte: Guten Morgen!

Heise: Groß und bunt war die Zahl der Protestler. Das sind nicht nur die hartgesottenen reaktionären Puritaner, die man vielleicht erst mal erwarten sollte. Das waren auch viele Familien. Hat Sie die Größe der Protestbewegung überrascht?

Ritte: Eigentlich nicht. Die Mobilisation war ja schon beim letzten Protestzug sehr groß, da war man schon über hunderttausend. Und diesmal hat man wirklich im Hintergrund alle Netzwerke in Bewegung gesetzt, die seit Jahr und Tag schon immer auf der Rechten demonstrieren. Da gab es das sehr umtriebige Netzwerk der Abtreibungsgegner beispielsweise.

Die haben die ganze Logistik, die nationale Logistik des Protestes übernommen. Fünf TGV-Züge gechartert, und ich weiß nicht, wie viele hundert Busse. Von der Logistik her sehr imposant, aber eben ein Netzwerk, das in der Lage ist, durchaus 300.000 Protestierende, 300.000 Manifestanten nach Paris zu bringen.

Heise: Dass die katholische Kirche protestiert, ist ja klar. Aber der Protest ist viel vielgestaltiger. Was haben Sie da beobachtet in den letzten Monaten? Was treibt da eigentlich wen tatsächlich um?

Ritte: Also, die Motivationen sind wirklich sehr unterschiedlich. Denn wir haben schon, und das war auch gestern wieder zu sehen, einen Teil der katholisch-integristischen Population, das ist natürlich nicht sehr viel, aber immerhin, die sind sehr sichtbar, die sind sehr agil. Wir haben Abtreibungsgegner, wir haben die konservativen Parteien.

Francois Copé als sehr umstrittener Chef der ehemaligen Regierungspartei UMP war auch mit dabei sowie einige der Bürgermeister, die auf seiner Liste stehen. Der Front National natürlich auch. Also eine große Gemengelage, die das konservative Frankreich gestern auf die Beine gestellt hat.

Heise: Schon im Herbst, Sie haben die Demonstrationen ja erwähnt, waren die Demonstrationen gegen die Homo-Ehe aber trotzdem locker und fröhlich. Das wollte man unbedingt, so locker und fröhlich daherkommen, bloß nicht spießig und reaktionär, sollte sich jeder angesprochen fühlen, und es fühlen sich ja offenbar auch viele, sehr viele angesprochen. Das heißt doch, es gibt da ein sehr konservatives Grundgefühl in Frankreich, oder?

Ritte: Ja. Und ich denke, das hat es immer gegeben. Es ist vielleicht ein Wahrnehmungsproblem, auch von deutscher Seite aus, wo wir eine Vorstellung von Frankreich haben, ein Land der lockeren Sitten und so weiter. Frankreich ist strukturell und kulturell doch ein sehr stark konservatives Land, und immer etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung wählt im Grunde genommen konservativ.

Es ist immer ein Wunder, wenn das mal nicht passiert. Das war 1981 der Fall, als man Francois Mitterand gewählt hat, damals noch dezidiert links, bei seiner zweiten Wahl 88 war er das weniger, und das war jetzt vor Kurzem der Fall, als man Francois Hollande gewählt hat. Vielleicht weniger ihn als mehr eine Wahl gegen Sarkozy, der doch viele enttäuscht hat.

Kurzum, Frankreich ist ein konservatives Land und ist auch ein Land, das im Moment doch, ganz anders als Deutschland die weltweite Krise und die Globalisierung anders erlebt, sehr ängstlich erlebt. Und ein solches Thema wie die Familie, der Schutz der Familie, das war ja das, was man sich auf die Fahnen geschrieben hatte, kann dann durchaus mobilisieren in einem etwas ängstlich gewordenen Volk.

Heise: Auf die Familie wollte ich Sie auch gerne ansprechen. Weil Frankreich ein Land mit einer vergleichsweise hohen Geburtenrate – da hat man ja das Gefühl, Familie, Berufstätigkeit, das lässt sich immer noch ganz gut verbinden, was in Deutschland ja unmöglich scheint. Trotzdem würden Sie sagen, die Ängstlichkeit der Franzosen greift jetzt auch dahin, dass also so der "Angriff", in Anführungsstrichen, auf die Familie, die ja viele da postulieren in der Homo-Ehe, kann einen solchen Reflex des "wir müssen uns hier stark gegen wehren", auslösen?

Ritte: Ich denke schon. Also vor allen Dingen in den mobilisierbaren konservativen Bevölkerungsteilen. Und diese Leute können in der Tat auf die Straße gehen. Was den Beobachter absolut wundern muss, ist, dass wir auf der anderen Seite in Frankreich ja den sogenannten Pacs haben, das ist ...

Heise: Das sind eingetragene Lebensgemeinschaften?

Ritte: Ja, das sind die eingetragenen Lebensgemeinschaften. Gegen den Pax sind damals die Konservativen auch massenhaft auf die Straßen gegangen. Und zum Pax haben wir ja ganz konkrete Zahlen vorliegen. Es sind seit dem Jahr 2000 63.000 solcher eingetragener Lebensgemeinschaften vollzogen worden, also juristisch niedergelegt worden. Und es sind die wenigsten darunter homosexuelle Paare. Damals hat man das schon als verkappte Homo-Ehe angegriffen.

Es sind vor allen Dingen heterosexuelle Paare, die das tun. Und es gibt natürlich auch sehr schwierig zu ermittelnde Zahlen über das Verhalten von Homosexuellen in Frankreich. Man kann natürlich nicht nach sexuellen Präferenzen Bevölkerungserhebungen und so weiter machen, aber die Schätzungen vom Nationalen Statistischen Institut gehen darauf, dass auch nur ganz wenige Homosexuelle, ob Frauen oder Männer, überhaupt in Paarbeziehungen leben. Also kurzum, man kämpft da gegen einen Popanz.

Homosexualität ist längst in der französischen Gesellschaft angekommen. Wir haben in Paris wie in Berlin einen bekennenden homosexuellen Bürgermeister. Es gibt in Paris Viertel, die auch sehr stark von homosexuellen Yuppies bewohnt sind und so weiter. Alles das gibt es. Und es gibt auch schon homosexuelle Paare, die aus früheren Verbindungen ein Kind gemeinsam aufziehen. Also alles das gibt es schon, darüber hat sich nie jemand ereifert. Aber jetzt, wo das Ganze gesetzlich werden soll, wo es eine Gleichstellung geben soll, da mobilisiert das eine konservative Sensibilität. Eine konservativ verängstigte Sensibilität.

Heise: Wir blicken mit dem Literaturwissenschaftler auf das gegen die Schwulenehe protestierende Frankreich. Herr Ritte, Sie haben vorher auch etwas anderes angesprochen, nämlich unsere Sicht, vielleicht von Deutschland aus auf Frankreich. Frankreich, eigentlich steht es ja für was anderes, für linken Protest, für libertäres, freiheitliches Lebensgefühl, für Widerstand. Ist das ein Irrtum letztendlich? Ist Frankreich eigentlich im Grunde sehr konservativ?

Ritte: Frankreich ist strukturell, kulturell konservativ. Der linke Protest, den wir kennen und den wir vielleicht an Frankreich schätzen, wenn wir an Figuren wie Sartre und so weiter denken. Aber alles das ist eine Zeit lang her. Der hat sich ja eben formiert vor allen Dingen in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren, als Frankreich auch immer nur konservative Regierungen hatte. Da hat sich so eine linke Protestkultur herausgebildet, an die wir heute oft noch zurückdenken.

Dass auch die Konservativen auf die Straße gehen können und mobilisieren können, haben sie sehr früh bewiesen. Das große Gespenst, das in diesen Tagen durch die Amtsstuben der jetzigen Regierung geisterte, war die Demonstration aus dem Jahre 1984, damals allerdings noch von der Kirche selber angeführt, gegen ein Gesetz, dass das private Schulwesen in Frankreich von den staatlichen Finanzierungstöpfen abschneiden sollte.

Und das war eine so massive Bewegung, dass damals in seiner Glanzzeit Francois Mitterand mit seiner linken Regierung zurückrudern musste und man am privaten Schulwesen, das vor allen Dingen eben ein kirchlich finanziertes ist, nicht mehr gewagt hat zu rühren. Also auch die können das, das ist jetzt nicht so überraschend, dass man sie auf der Straße gesehen hat.

Heise: Warum hält sich denn eigentlich dann weltweit der Mythos vom links schlagenden französischen Herzen?

Ritte: Na, ich denke eben, es sind die Nachkriegsjahre, die Nachkriegsjahrzehnte haben auch einige prominente Figuren hervorgebracht, an die wir immer denken, wenn wir an das protestierende Frankreich denken. Der Mai 68 ist kurioserweise zu einer französischen Ikone geworden, obwohl er in Deutschland ja viel früher angefangen hatte damals.

Aber der Protest in Deutschland war ja vielleicht ein wenig freudloser, etwas weniger witzig inszeniert, als das hier in Frankreich war mit Daniel Cohn-Bendit und einigen seiner Mitstreiter. Also ich denke, das sind alte Mythen, alte Bilder, an denen man sich im Ausland noch oft orientiert, wenn man an Frankreich denkt. Und, wie gesagt, bestimmte Wunschprojektionen, was die Sitten der Franzosen angeht.

Heise: Die Homo-Ehe bringt das konservative Frankreich mächtig in Wallung. Jürgen Ritte, Literaturwissenschaftler. Vielen Dank für dieses Gespräch! Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch, Herr Ritte.

Ritte: Den wünsche ich Ihnen auch.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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