Vielseitige Rockikone

Von Stefan Keim |
Kürzlich verfasste die New Yorkerin für die "Zeit" ein Tagebuch über die Bayreuther Festspiele. Mancher hielt das für einen Publicitygag, aber es wurde ein spannender Text. Die 58-Jährige, Rockikone der Siebziger, dichtet, malt und fotografiert. Die verschiedenen Seiten der Patti Smith waren auch zum Auftakt der RuhrTriennale in Bochum zu erleben. Sie ist gerade auf Europatournee. Deutschlandradio Kultur traf sie zum Interview.
Patti Smith widmet ihr Gloria dem neuen Papst. Dabei sind die ersten und letzten Worte dieses Songs nicht gerade mit den Lehren der Kirche vereinbar. "Jesus starb für jemandes Sünden, aber nicht für meine." Trotzig reklamiert Patti Smith ihre Sünden für sich, denn sie gehören zu ihrer Persönlichkeit. "Gloria" ist ein Song der jungen Patti Smith, von ihrem legendären Album "Horses". Sie spielt ihn immer noch.


Dass in diesem Text Glauben steckt, wenn auch ein ganz eigener, kriegt man erst beim zweiten Hören mit. Die Rocklady verlangt Konzentration von ihren Zuhörern. Natürlich gibt sie auch pure Energienummern wie ihre berühmte Forderung, die Nacht möge den Liebenden gehören. "Because the night belongs to lovers". Aber die meisten ihrer Texte sind mehrdeutig, assoziationsreich, poetisch. Und manche sogar religiös.

Patti Smith: " Wenn wir unsere Werke schaffen, beleben wir den Geist Gottes. Es ist unsere Pflicht, diese Arbeit zu tun. Und uns um uns selbst zu kümmern. Viele Dichter, Künstler, Rocksänger verherrlichen die Selbstzerstörung. Sie finden es romantisch, Drogen zu nehmen, ihre Leben zu zerstören, jung zu sterben. Für mich bedeutet Romantik, die Verbindung zu Gott zu erhalten und zu respektieren, was er einem gegeben hat, den Körper und den Geist zu erhalten, um das zu verwirklichen, womit er einen gesegnet hat. "

Manche reagierten verwundert, als Patti Smith am Wochenende in Bochum begeistert auf die Fernsehbilder vom Weltjugendtag in Köln reagierte. Und sie fragten, ob es denn richtig sei, einen Glaubensevent zu feiern und zu ignorieren, dass Benedikt XVI. sehr konservative Einstellungen hat. Patti Smith gab sich ganz amerikanisch-pragmatisch. Es gehe gerade mal nicht um Sex und verbotene Verhütung, sondern um Spiritualität. Der Weltjugendtag zeige, dass ein friedliches Zusammenkommen vieler Menschen in einem Geist möglich sei. Und sie – Patti Smith – glaube immer noch, dass es möglich sei, Dinge zu ändern, wenn die Leute gemeinsam handeln.

Patti Smith ist ein Kind der siebziger Jahre. Sie steht für den ursprünglichen Rock ´ n ´ Roll, ohne Glamour und Geschäftssinn, sondern direkt, kompromisslos, politisch. In ihren Konzerten gibt es viel Freiraum für Spontaneität. Die Songs werden jeden Abend neu zusammengestellt, wann jemand ein Solo spielt, ist nicht festgelegt. Einmal springt Patti Smith im Konzert von der Bühne und geht durch die Stuhlreihen. Sie heizt die Zuschauer nicht an, ihre Präsenz und ihre Blicke reichen, um alle aufstehen zu lassen. Das ist Charisma. Mit traumwandlerischer Sicherheit ist sie wieder am Mikrofon, als die nächste Strophe beginnt. "Das war Glück", meint Patti Smith einen Tag später und grinst. Es hätte auch schief gehen können. Aber das wäre nicht schlimm gewesen. Fehler sind menschlich. Und weil Patti Smith sich traut, spontan zu sein und Fehler zu machen, erhöht das ihre Glaubwürdigkeit. Ein Patzer, ein Lächeln, ein Sorry, weiter geht´s.

Wenn Patti Smith Songs schreibt, denkt sie an die Zuhörer, will kommunizieren. Ihre Gedichte entstehen im Gespräch mit sich selbst. In der ersten Unterrichtsstunde der "Schule der Romantik", der Literaturreihe der Ruhrtriennale, erzählte Patti Smith von ihrer Sehnsucht, im 19. Jahrhundert zu leben. Sie war eine gute Freundin von Allen Ginsberg und William S. Burroughs, den Poeten der beat generation. Aber ihr Herz hängt vor allem an William Blake und Arthur Rimbaud, den sie seit ihrer einsamen Teenagerzeit verehrt.

" Er war einfach schön, ich bildete mir ein, er sei mein Gefährte. Aber wichtiger als sein herrliches Gesicht wurden mir seine Worte, die Sprache, seine Erfahrungen. Ich habe nicht alles verstanden, aber ich fühlte, ich war nicht allein. "

Die Gedichte von Patti Smith sind rätselhafter und intimer als ihre Songtexte. Eins schrieb sie für den Papst Johannes Paul I., der wenige Wochen nach seiner Wahl starb.

Eine weitgehend unbekannte Seite von Patti Smith sind ihre Fotos. Zwischen ihren Auftritten in der Bochumer Jahrhunderthalle wanderte sie herum, bewunderte die Architektur, suchte Details in einem speziellen Licht. Besondere Gebäude und Bäume sind ihre Leidenschaft.

" Das Fotografieren ist eine Übung, um die Aufmerksamkeit für meine Umgebung wach zu halten. Für das Licht, Bildzusammenstellungen. Ich fotografiere für mich selbst. Wenn ich mal glaube, genug schöne Bilder beisammen zu haben, zeige ich sie vielleicht und Leute können sie kaufen. Aber im Grunde mache ich sie für mich selbst. Sie geben mir Augenblicke der Kontemplation, jenseits der Konzerte oder meiner anderen Verantwortlichkeiten. "

Kontemplation, Glaube, brotherhood, die Brüderlichkeit – das sind Worte, die Patti Smith häufig benutzt, die ihr Denken prägen, obwohl sie keiner bestimmten Religion angehört. Sie glaubt an Geister, begrüßt die Videoleinwand, damit die sich nicht allein fühlt, glaubt in der Jahrhunderthalle die Traurigkeit des Gebäudes zu spüren. Weil während des Zweiten Weltkrieges die der Halle zugedachten Bomben auf die Wohnhäuser nebenan gefallen sind. Patti Smith singt ein Lied für die Toten, und keine Note wirkt kitschig. Den neuen Papst mag sie auch deswegen, sagt sie später, weil die Welt mehr geistige Autoritäten braucht. Das sei auch die Aufgabe von Künstlern, aber die wenigsten würden sie erfüllen. Weil sie den Blick für das Einfache verloren haben, für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Auf die Frage, ob es ein perfektes Lied gibt, denkt Patti Smith lange nach. Ihre Lieblingssongs stammen von Verdi und Mozart, sie hört Opern und Jazz, keinen Pop. Aber ein perfektes Lied? Dann fällt ihr eins ein, ein Kinderlied nach Motiven von Hans Christian Andersen.

Service:

Die Tourdaten von Patti Smith: 24. August Wien, 26. August Prag, 28. August Aarhus, 29. August Kopenhagen, 31. August Helsinki, 2. September St. Petersburg, 3. September Moskau, 6. September Reykjavik.