Vietnam in Berlin Lichtenberg
Im tiefen Osten Berlins beginnt Asien, hier schlägt das Herz der vietnamesischen Parallelgesellschaft. Das HAU-Theater organisiert für seine Gäste nun Gruppentouren in diese fremde Welt: In Läden und Restaurants erwarten die Teilnehmer reale Geschichten, authentisch erzählt oder mininal inszeniert.
Die Anweisungen auf dem Programmzettel von "Dong Xuan oder Frühling in Lichtenberg" lesen sich wie die fürsorglichen Hinweise aus einem Reiseführer.
"In den Hallen gilt: Bleiben sie bitte nicht unnötig stehen, damit sie den Verkehr in den Hallen nicht verstopfen, machen sie keinen Fotos von den Läden und ihren Besitzern, ohne vorher zu fragen."
Im Zehnminuten-Takt brechen die Fünfergruppen zur Expedition in fremde Waren- und Menschenwelten auf, denn hier an seinen Rändern zeigt sich Berlin als die Weltstadt, die die schicken Touristengegenden nur simulieren: Wer hier lebt und arbeitet, ist hier gestrandet, als Boat-People, als Vertragsarbeiter am Ende endlosen Wartens auf Asylanträge, Duldungsbescheide zwischen Legalität und Schattenwirtschaft, immer auf der Suche nach einem Stück Heimat. So wie Antony Chu:
"Herzlich willkommen, ich heiße Antony Chu. Ich bin 1978 nach Deutschland gekommen, als Boat people."
Chus Wohnwagen auf dem Parkplatz vor den Markthallen ist die erste Station auf der Tour.
"Ich betreibe dieses Gelände, Import-Export, Internet-Dienstleistung, in den nächsten Minuten möchte ich Ihnen gern mein zukünftiges Projekt vorstellen."
Es gibt Tee, Glückskekse und Neubaupläne: Auf dem Parkplatz möchte Chu gerne einen Handwerksmarkt nachbauen, als Disney-Version des alten Hanois.
Draußen wartet die triste Realität. In Halle zwei zwischen Stoffballen und Krimskrams dürfen die Teilnehmer nach Hause telefonieren. Nach Hause, das heißt natürlich Hanoi oder Saigon. Dort geht gerade ein Platzregen nieder, erzählt Frau Hang Thanh Phung am anderen Ende der Leitung im makellosen Deutsch. Eigentlich soll sie Gedichte rezitieren, aber wir kommen ins Plaudern über das Wetter und Heimatgefühle, bis die Reiseleitung hektisch zum Aufbruch drängt. Es bleibt der intimste Moment auf dieser Tour.
"Kommt hier in meine Richtung! Was hast Du denn? Gott, wie peinlich, ich erzähl Dir auch ein kleines Märchen."
Im Asia-Supermarkt ein Dutzend Läden weiter winkt eine junge Frau mit einem Bündel im Arm die Gruppe durch die Regale. Eine junge Mutter auf der Flucht? Nein, eine junge Deutsch-Vietnamesin, die ihr Identitätsproblem als trauriges Märchen erzählt: Ein kleiner Pandabär wandert durch die Welt auf der Suche nach Seinesgleichen: Die Kuhherde, zu der er so gern gehören will, jagt ihn davon. Im Pandabär-Dorf ist er auch nicht willkommen. Als die Erzählerin ihr Pandabär-Kissen in Stücke reißt, schauen eine vietnamesische Familie und ein Sikh amüsiert Darstellerin und Reisegruppe zu.
Wer ist Publikum? Wer spielt, wer gehört hier dazu? Und wer sind die Exoten? Es sind natürlich genau diese zufälligen Momente von Verunsicherung, auf die die Kuratoren Gesine Danckwart und Matthias Lilienthal mit ihrer Theater-Expedition setzen.
Vieles bleibt offen: Gerne hätte man mehr über die Götteraltäre in den Läden gehört, oder zum Konkurrenzkampf auf dem Markt zwischen alteingesessenen Vietnamesen und den nachrückenden Pakistani, oder zu den ungeklärten Großbränden vor ein paar Jahren.
"Frühling in Lichtenberg" setzt stattdessen auf bekanntes: Die Nachrichtenbilder von überfüllten Flüchtlingsbooten, die Erfolgsgeschichten vietnamesischer Musterschüler an deutschen Gymnasien kennen alle. Jetzt erfahren wir die Geschichten dahinter. Dass deren individuelle Deutung ganz eigene Blüten treiben kann, erfährt die Reisegruppe in einem Tattooladen. Hier hat Nguyen Tan Hong sein persönliches Flüchtlingsdrama als schwül-kitschige Foto-Session nachgestellt:
Im nachtblauen Tatoo-Studio liegen bedruckte Papierbötchen, die nüchtern von der Flucht erzählen: Schiffe in Seenot, Piratenüberfälle, Selbstmord, Flüchtlingscamps. Zwei Models im Slip – Piratenaugenklappe der eine, Matrosenkäppi der andere - posieren vor der Kamera des Künstlers und erzählen eine ganz andere Geschichte: "Unser Schiff wurde von thailändischen Piraten ausgeraubt, dann haben uns deutsche Seeleute gerettet", raunt der Künstler verschwörerisch und zeigt auf seine Modells: "Jetzt sind die beiden Lover.".Dann schießt er für alle noch ein paar Erinnerungspolaroids mit dem sexy Piraten-Matrosen-Paar in der Mitte.
Vom Objekt zum handelnden Subjekt - vielleicht ist das der geheime rote Faden der Expeditionstouren durch Klein-Hanoi in Berlin Lichtenberg. Am Ende holt die Geschichte die Gegenwart ein: Im ehemaligen DDR-Kulturpalast Lichtenberg vor den Markthallen nimmt die Reisegruppe an Schreibpulten Platz. Und eine ehemalige Lehrerin für Marxismus-Leninismus liefert per Videobotschaft den Überbau zum Performance-Nachmittag.
"Das heißt Marx ging es darum zu gucken, was ist der rote Faden in der ökonomischen Menschheitsgeschichte. Dann kann ich's nämlich gestalten, dann bin ich nicht nur Opfer der Geschichte, kann ich's bewusst gestalten."
Ob es zu Marx' Zeiten schon Glückskekse gab? Im "Fortune Cookie", den mir Herr Chu an der ersten Station in die Hand drückte, finde ich den Spruch: "Wer eine Reise macht, kehrt als ein Anderer zurück und begegnet sich selbst". Schöner kann man es nicht sagen.
Dong Xuan Festival
"In den Hallen gilt: Bleiben sie bitte nicht unnötig stehen, damit sie den Verkehr in den Hallen nicht verstopfen, machen sie keinen Fotos von den Läden und ihren Besitzern, ohne vorher zu fragen."
Im Zehnminuten-Takt brechen die Fünfergruppen zur Expedition in fremde Waren- und Menschenwelten auf, denn hier an seinen Rändern zeigt sich Berlin als die Weltstadt, die die schicken Touristengegenden nur simulieren: Wer hier lebt und arbeitet, ist hier gestrandet, als Boat-People, als Vertragsarbeiter am Ende endlosen Wartens auf Asylanträge, Duldungsbescheide zwischen Legalität und Schattenwirtschaft, immer auf der Suche nach einem Stück Heimat. So wie Antony Chu:
"Herzlich willkommen, ich heiße Antony Chu. Ich bin 1978 nach Deutschland gekommen, als Boat people."
Chus Wohnwagen auf dem Parkplatz vor den Markthallen ist die erste Station auf der Tour.
"Ich betreibe dieses Gelände, Import-Export, Internet-Dienstleistung, in den nächsten Minuten möchte ich Ihnen gern mein zukünftiges Projekt vorstellen."
Es gibt Tee, Glückskekse und Neubaupläne: Auf dem Parkplatz möchte Chu gerne einen Handwerksmarkt nachbauen, als Disney-Version des alten Hanois.
Draußen wartet die triste Realität. In Halle zwei zwischen Stoffballen und Krimskrams dürfen die Teilnehmer nach Hause telefonieren. Nach Hause, das heißt natürlich Hanoi oder Saigon. Dort geht gerade ein Platzregen nieder, erzählt Frau Hang Thanh Phung am anderen Ende der Leitung im makellosen Deutsch. Eigentlich soll sie Gedichte rezitieren, aber wir kommen ins Plaudern über das Wetter und Heimatgefühle, bis die Reiseleitung hektisch zum Aufbruch drängt. Es bleibt der intimste Moment auf dieser Tour.
"Kommt hier in meine Richtung! Was hast Du denn? Gott, wie peinlich, ich erzähl Dir auch ein kleines Märchen."
Im Asia-Supermarkt ein Dutzend Läden weiter winkt eine junge Frau mit einem Bündel im Arm die Gruppe durch die Regale. Eine junge Mutter auf der Flucht? Nein, eine junge Deutsch-Vietnamesin, die ihr Identitätsproblem als trauriges Märchen erzählt: Ein kleiner Pandabär wandert durch die Welt auf der Suche nach Seinesgleichen: Die Kuhherde, zu der er so gern gehören will, jagt ihn davon. Im Pandabär-Dorf ist er auch nicht willkommen. Als die Erzählerin ihr Pandabär-Kissen in Stücke reißt, schauen eine vietnamesische Familie und ein Sikh amüsiert Darstellerin und Reisegruppe zu.
Wer ist Publikum? Wer spielt, wer gehört hier dazu? Und wer sind die Exoten? Es sind natürlich genau diese zufälligen Momente von Verunsicherung, auf die die Kuratoren Gesine Danckwart und Matthias Lilienthal mit ihrer Theater-Expedition setzen.
Vieles bleibt offen: Gerne hätte man mehr über die Götteraltäre in den Läden gehört, oder zum Konkurrenzkampf auf dem Markt zwischen alteingesessenen Vietnamesen und den nachrückenden Pakistani, oder zu den ungeklärten Großbränden vor ein paar Jahren.
"Frühling in Lichtenberg" setzt stattdessen auf bekanntes: Die Nachrichtenbilder von überfüllten Flüchtlingsbooten, die Erfolgsgeschichten vietnamesischer Musterschüler an deutschen Gymnasien kennen alle. Jetzt erfahren wir die Geschichten dahinter. Dass deren individuelle Deutung ganz eigene Blüten treiben kann, erfährt die Reisegruppe in einem Tattooladen. Hier hat Nguyen Tan Hong sein persönliches Flüchtlingsdrama als schwül-kitschige Foto-Session nachgestellt:
Im nachtblauen Tatoo-Studio liegen bedruckte Papierbötchen, die nüchtern von der Flucht erzählen: Schiffe in Seenot, Piratenüberfälle, Selbstmord, Flüchtlingscamps. Zwei Models im Slip – Piratenaugenklappe der eine, Matrosenkäppi der andere - posieren vor der Kamera des Künstlers und erzählen eine ganz andere Geschichte: "Unser Schiff wurde von thailändischen Piraten ausgeraubt, dann haben uns deutsche Seeleute gerettet", raunt der Künstler verschwörerisch und zeigt auf seine Modells: "Jetzt sind die beiden Lover.".Dann schießt er für alle noch ein paar Erinnerungspolaroids mit dem sexy Piraten-Matrosen-Paar in der Mitte.
Vom Objekt zum handelnden Subjekt - vielleicht ist das der geheime rote Faden der Expeditionstouren durch Klein-Hanoi in Berlin Lichtenberg. Am Ende holt die Geschichte die Gegenwart ein: Im ehemaligen DDR-Kulturpalast Lichtenberg vor den Markthallen nimmt die Reisegruppe an Schreibpulten Platz. Und eine ehemalige Lehrerin für Marxismus-Leninismus liefert per Videobotschaft den Überbau zum Performance-Nachmittag.
"Das heißt Marx ging es darum zu gucken, was ist der rote Faden in der ökonomischen Menschheitsgeschichte. Dann kann ich's nämlich gestalten, dann bin ich nicht nur Opfer der Geschichte, kann ich's bewusst gestalten."
Ob es zu Marx' Zeiten schon Glückskekse gab? Im "Fortune Cookie", den mir Herr Chu an der ersten Station in die Hand drückte, finde ich den Spruch: "Wer eine Reise macht, kehrt als ein Anderer zurück und begegnet sich selbst". Schöner kann man es nicht sagen.
Dong Xuan Festival