Gestrandet auf Bali: Unfreiwilliger Urlaub auf der indonesischen Touristeninsel - Länger als ihr eigentlich lieb war, hat die Journalistin Susanne Lettenbauer erlebt, welchen Weg der riesige Inselstaat in der Pandemie genommen hat. Sie war wegen einer Recherche auf Bali und konnte statt im April erst Anfang Juni zurückfliegen. Warum es mit der Rückholaktion der Bundesregierung nicht geklappt hat und wie sie die offiziellen Coronazahlen der indonesischen Regierung einschätzt, erzählt sie im Gespräch mit der Weltzeit.Audio Player
Wettbewerbsvorteil und Emanzipation von China
23:23 Minuten
Ein erstaunlicher Erfolg: Dank entschiedener Corona-Maßnahmen und eines starken Sinns für das Gemeinwohl gab es in Vietnam nur wenige hundert Infizierte. Damit wächst das Vertrauen ausländischer Investoren - und auch die Unabhängigkeit von China.
Als Polizisten die Barrikaden mit den Schildern "Quarantäne-Zone" beiseite räumen, sind die Bewohner von Ha Loi nicht mehr zu halten. Sie schwenken ihre Landesflagge, gelber Stern auf rotem Grund, sie klatschen, schlagen Topfdeckel aufeinander, die Polizei hat Mühe, die jubelnden Menschen wieder zu beruhigen – die Freude, nach vier Wochen strenger Quarantäne wieder herauszudürfen, war zu groß.
"Ich habe meine Freunde lange nicht gesehen, ich muss sie morgen direkt fragen, ob sie mit mir Fußball spielen gehen. Mir kribbeln schon die Füße nach der langen Quarantäne!"
Der 15-jährige Tam ist aufgeregt, und diese Frau stimmt ein:
"Ich bin so froh, 28 Tage, das ist keine kurze Zeit. Und selbst wenn unsere Blumen jetzt ruiniert sind, können wir uns doch freuen, dass wir von der Bedrohung durch Covid-19 befreit sind."
Die Gemeinde Ha Loi ist berühmt für Blumenanbau, das ist der Lebensunterhalt der meisten Bewohner. Wie Nguyen sagte, sind ihre Blumen eingegangen, denn keiner der Züchter konnte die Pflanzen pflegen. Doch sie sind sich einig, dass das ein kleiner Preis dafür ist, dass alle rund 12.000 Einwohner schließlich Corona-frei erklärt wurden.
Die Regierung Vietnams war der WHO einen Schritt voraus
Die Regierung in Vietnam ist schnell und entschieden vorgegangen, als die ersten Fälle bekannt wurden, noch bevor die Weltgesundheitsorganisation vor einer Übertragung von Mensch zu Mensch warnte oder Richtlinien ausgab. Mit dem Ergebnis, dass bis jetzt nur 328 bestätigte Fälle in ganz Vietnam auftraten, und kein einziger Todesfall.
Bei einem Land mit 96 Millionen Einwohnern und mit einer direkten Grenze nach China ist das eine ziemlich unglaubliche Leistung, findet Hiep Hong Le vom Institut für Südostasienstudien in Singapur.
"Offensichtlich hat die Regierung viele Sachen richtig gemacht, um das zu erreichen", sagt er. "Zum Beispiel haben sie die Grenze nach China sehr früh geschlossen, haben alle Flüge aus China verboten als viele Länder noch diskutierten, ob sie diese Maßnahme ergreifen sollten. Und sie haben Massenquarantäne verhängt."
Wie eben im Fall des Dorfes von Ha Loi – ein Verdachtsfall, und die Behörden verhängen Quarantäne für die ganze Gemeinde oder, in den Großstädten, für einen ganzen Wohnblock.
Kontaktverfolgung bis zu vier Ebenen
"Sie haben lediglich die Person isoliert, die unter Infektionsverdacht stand, aber nicht diejenigen, die mit diesen Verdachtsfällen Kontakt hatten", erklärt Hiep Hong Le. "In Vietnam haben sie auch aggressive Kontaktverfolgung betrieben, in manchen Fällen bis zu vier Ebenen weit – also nicht nur die Verdachtsfälle, sondern auch deren Kontakte und deren Kontakte und deren Kontakte."
Anfang Februar verhängte Vietnam den nationalen Notstand – bei gerade mal sechs bekannten Fällen. Dieses frühe und entschiedene Einschreiten zog eine positive Reaktionskette nach sich: Dadurch, dass die Fallzahlen schon früh niedrig gehalten wurden, war das Gesundheitssystem nicht überlastet. So konnten die wenigen Erkrankten gut behandelt und schnell kuriert werden.
Die Eltern selbst baten um Schulschließung
Protest aus der Bevölkerung gab es nicht, das sozialistische Einparteienregime ist Widerstand auch nicht gewohnt. Also haben die Bewohner die strengen Maßnahmen nicht nur hingenommen, erzählt Hiep Hong Le, sondern:
"Sie haben die Initiative ergriffen, um sich und ihre Familien zu schützen. Zum Beispiel haben schon viele Menschen Masken getragen, bevor die Regierung es anordnete. Und viele Leute haben die Regierung gebeten, die Schulen zu schließen, damit sie ihre Kinder zu Hause behalten können, auch dann noch, als sich die Situation entspannte."
Gesundheit und Gemeinwohl gehen vor, das machen die Vietnamesen deutlich. Das Land ist in seiner Entschiedenheit und im Erfolg seiner Corona-Bekämpfung mindestens auf einer Stufe mit Neuseeland – das Bewusstsein der Bürger und der Regierung um das Ausmaß der Bedrohung und darüber, wie wichtig es ist, alle zu schützen, waren fast noch ausgeprägter.
"Hoffentlich kann Vietnam diese Leistung beibehalten, denn wenn die Wirtschaft sich wieder öffnet und die internationalen Reisen wiederaufgenommen werden, dann ist es möglich, dass es zu einer weiteren Infektionswelle kommt."
Das Thema Reisen ist weltweit schwierig, aber in Ländern wie Vietnam, die auf internationale Touristen setzen, vor allem traurig anzusehen. Die Strände sind verlassen, bunte Wasserspielanlagen dümpeln leer auf dem Meer, Liegestühle sind ohne Benutzer, die Ausflugsboote verwaist. Es ist Flaute, sagt Bui Cong Hoan, der in der weltberühmten Ha Long Bucht Schiffsfahrten anbietet.
"Im Durchschnitt sind es jetzt nur ein paar Prozent – verglichen mit 10.000 Besuchern täglich, wie es sonst ist", erzählt er. "Jetzt haben wir nur ein paar hundert Besucher am Tag. Das ist wirklich und wahrhaftig hart für unser Geschäft."
Die Tourismusbranche trifft es hart
Im vergangenen Jahr kamen 18 Millionen Touristen nach Vietnam, der Sektor erwirtschaftete 31 Milliarden Dollar, fast zwölf Prozent von Vietnams Bruttoinlandsprodukt. Ähnlich wie in Thailand, Indonesien und den Philippinen hängen auch hier viele Geschäftszweige mit dem Tourismus zusammen.
Sie alle warten darauf, dass internationale Reisen wieder aufgenommen werden können – Vietnam hat wegen seiner exzellenten Coronabilanz einen kleinen Vorteil. Doch null mal null bleibt Null.
Restaurantbesitzer Pham Xuan Lanh erzählt: "Seit Beginn des Jahres, seit dem Ausbruch der Seuche gibt es nur noch wenige Touristen. Es gibt kaum Besucher, auch nicht aus Vietnam selbst. Auf einer Skala von 1 bis 10 sind wir bei 1. An Feiertagen und am Wochenende ist es ein bisschen besser, vor allem seit die Läden wieder aufmachen durften, aber es sind bei weitem nicht genug Besucher."
Urlaub im eigenen Land soll helfen
Darum hat die Regierung jetzt ein Programm angeregt: "Vietnamesen reisen in Vietnam" heißt es und es soll "qualitativ hochwertige Tourismusprodukte und Servicepakete zu vernünftigen Preisen anbieten", so die Eigenwerbung. Die Inlandsflüge sind schon längst wieder in der Luft, es gibt keine Abstandsregeln mehr bei innervietnamesischen Reisen, die Läden und Restaurants sind geöffnet, und ein Teil der Vietnamesen kann sich den Tourismus auch leisten.
"Die Vietnamesen sind zu mehr Wohlstand gekommen und darum besuchen auch mehr von ihnen jetzt verschiedene Reiseziele innerhalb des Landes. Inlandstourismus nimmt zu", sagt Wissenschaftler Le Hong Hiep.
Doch das Problem bei dem Konzept "Vietnamesen reisen in Vietnam" ist: "Urlaub im eigenen Land hat einfach nicht das Volumen des internationalen Tourismus. Und: Wegen Covid-19 sind die Menschen noch sehr zögerlich, was das Reisen angeht. Ich denke, selbst wenn der Inlandstourismus den Verlust ausländischer Besucher ein wenig ausgleichen kann, ist die Wirkung zumindest zu diesem Zeitpunkt noch sehr gering."
Ausländische Investoren fühlen sich sicherer als anderswo
Doch eins steht fest: Vietnams Corona-Erfolg hat das Vertrauen ausländischer Investoren und Arbeitskräfte in das Land gestärkt.
So sagt zum Beispiel Fred Burke, Teilhaber bei einer internationalen Anwaltsfirma, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: Es gab Zeiten, da wären bei einer solchen Pandemie alle ins Ausland entsandten Arbeitskräfte schnell nach Hause nach Nordamerika oder Europa geeilt. Aber bei den dort herrschenden Zuständen fühlten sie sich sicher oder sogar sicherer hier. Und dieses Gefühl würde der vietnamesischen Wirtschaft auf jeden Fall helfen, schneller wieder auf die Beine zu kommen.
"Ja, auf jeden Fall, vor allem im Zusammenhang mit der Streuung von Produktionsstandorten weg von China, das ist ja schon seit einiger Zeit so."
Unternehmen verlassen China Richtung Vietnam
Denn Vietnam profitiert in gewisser Weise vom Handelskrieg zwischen USA und China. Viele Firmen verlassen China, da sie die erhöhten Zölle für chinesische Produkte auf dem US-amerikanischen Markt fürchten.
Die erste Wahl fällt da, allein schon durch die geografische Nähe, auf Vietnam – die Löhne sind niedrig, die Infrastruktur entwickelt sich schnell, das Land hat zahlreiche Freihandelsabkommen mit anderen Nationen.
"Was das angeht, hat Vietnam einige Wettbewerbsvorteile, aber auch einige Probleme, die es bewältigen muss, um das Investment-Klima zu verbessern. Zum Beispiel muss es seine Infrastruktur ausbauen. Es muss mehr Kraftwerke bauen, damit es keine Stromausfälle mehr gibt. Es muss Arbeiter ausbilden, um die wachsende Nachfrage von ausländischen Investoren zu befriedigen."
Sprich: Job eins erledigt, schnell weitermachen, es gibt noch viel zu tun. Und bei ihrem Maß an Bereitschaft werden die Vietnamesen auch dort Tempo vorlegen.
Kambodschas Kniefall vor China - Nur die Reichen profitieren
Während Vietnam sich von China zunehmend emanzipieren möchte, steuert Kambodscha in die komplett andere Richtung. Machthaber Hun Sen hat sich schon lange für den politischen Kniefall vor Peking entschieden. Während der Coronapandemie hatte er darum auf Privilegien gehofft, zum Beispiel bei Lieferengpässen für die Textilbranche. Die ist der wichtigste Arbeitgeber und steht für ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Kambodschas. Stoffe und Garne für die Fabriken kommen aus China. Fatal für die Näherinnen, wie Holger Senzel berichtet.