Viktor Martinowitsch: "Revolution"

Wenn die Gier nach Macht alles andere überschattet

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Cover des Buchs "Revolution" von Viktor Martinowitsch.
"Menschen zu belügen, ist so einfach": Der Ich-Erzähler in "Revolution" arbeitet für einen mächtigen Geheimbund. © Voland & Quist / Deutschlandradio
Von Lara Sielmann |
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Der belarussische Schriftsteller Viktor Martinowitsch legt mit "Revolution" einen Roman vor, der postsowjetische Strukturen analysiert. Es geht um menschliche Verführbarkeit, Macht, Gier - und ein System, das über den Einzelnen verfügt.
Unschuldig wirkt er anfangs, fast schon langweilig und vor allem durchschnittlich, der Ich-Erzähler Michail German in "Revolution", dem neuen Roman des belarussischen Autors Viktor Martinowitsch. Als Lehrkraft arbeitet der Architektursemiotiker an einer Moskauer Universität, während seine Freundin Olja nachts in einem Club die dubiose Moskauer Nachtwelt bedient. Zusammen leben sie in einer kleinen Wohnung, haben ein altes Auto und wirken glücklich. Bis zu einem Abend im April, an dem Michail in einen fingierten Verkehrsunfall verwickelt wird und sich sein Leben radikal ändert.
Ein mächtiger Geheimbund, der in Russland alle Stricke zieht, hat ihn auserkoren, Teil seines Kreises zu werden. Und Michail lässt sich einspannen, fängt an, Aufträge zu erfüllen – von kleineren Geldübergaben bis hin zu Mord.
Oberstes Gebot: nichts hinterfragen, einfach ausführen. Seine Freundin muss er verlassen, dafür erhält er beruflichen Erfolg, eine schicke Wohnung und ein großes Auto. "Menschen zu belügen, ist so einfach – das weiß ich jetzt. Ich weiß jetzt, was man wem in die Ohren legen muss. Aber damals war ich noch nicht mal ein Laie, ich war ein Dilettant", sagt er noch im ersten Drittel des Buches über sich.

Frauen als Projektionsfläche

"Revolution" ist angelegt als eine Rückschau des Protagonisten, der gleich eingangs erklärt, der Name Viktor Martinowitsch sei ein Pseudonym, tatsächlich stamme alles Geschriebene von ihm, Michail, und sei allein an seine Ex-Freundin Olja gerichtet, die er persönlich nicht mehr kontaktieren könne. Das alles liest sich weniger düster als es klingt, eher amüsant und nonchalant – erinnern die Schilderungen des Protagonisten doch oft an Abenteuer- oder Agentengeschichten.
Richtig greifbar wird diese Figur auf den knapp 400 Seiten allerdings nicht, das mag an der humoristischen Erzählweise liegen, die Distanz schafft, oder daran, dass bei Viktor Martinowitsch die Macht stärker als jedes Individuum ist. So bleibt auch Olja nicht mehr als die bloße Hülle einer Freundin, die die anfänglichen Veränderungen ihres Freundes schweigend hinnimmt und bei der Trennung ein paar Tränen vergießt. In der männerdominierten Welt von "Revolution" überrascht das wenig, dort sind Frauen vor allem Projektionsfläche männlicher Begierde.

Hintergrundinformationen vom Übersetzer

Es ist der dritte Roman von Viktor Martinowitsch, der seine Arbeit an "Revolution" bereits 2017 fertiggestellt hatte, lange vor den öffentlichen Protesten gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Von der aktuellen politischen Lage erzählt "Revolution" also nicht, dafür von den Strukturen eines patriarchalen postsowjetischen Staates.
Um die Bezüge zum russisch geprägten Kulturraum den deutschen Leserinnen und Lesern zugänglich zu machen, gibt der Übersetzer Thomas Weiler auf fussnoten.eu Hintergrundinformationen, die teilweise auch als Kommentare im Buch gedruckt sind. Ein Roman, der von der Verführbarkeit des Menschen erzählt und darüber, was passiert, wenn die Gier nach Macht alles andere überschattet.

Viktor Martinowitsch: "Revolution"
Aus dem Russischen von Thomas Weiler
Voland & Quist, Berlin 2021
396 Seiten, 24 Euro

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