Aus der Traum vom großen Fußball
Ein zweites Hoffenheim oder Leipzig wollte Viktoria 89 Berlin werden - mithilfe eines chinesischen Investors. Doch dann blieben dessen Zahlungen plötzlich aus. Jetzt kämpft der Regionalligist ums Überleben.
Achtelfinale im Berliner Landespokal, kurz vor Weihnachten. Auf einem Kunstrasenplatz mitten im Tempelhofer Wohngebiet ist Viktoria 89 zu Gast bei den Polar Pinguinen. Regional- gegen Kreisliga, vierte gegen neunte Liga: Die Kräfteverhältnisse sind klar verteilt. Viktoria 89, die Mannschaft in den himmelblauen Trikots mit der lautstarken Fangemeinde, kontrolliert sofort das Geschehen.
Das ist keineswegs selbstverständlich. Vor drei Tagen erst sind Spieler, Mitglieder und Anhänger auf der Website des Vereins darüber informiert worden, dass ihr Klub aufgrund ausbleibender Zahlungen des chinesischen Investors vor der Pleite steht.
"Ich bin von der Sache her erschüttert, aber vielleicht kommt: wer hoch hinaus will, kann auch tief stürzen." Selbst die Anhänger der gegnerischen Mannschaft zeigen Mitgefühl. "Ich finde es schade bzw. ich bin so ein bisschen zwiegespalten, weil, einerseits bin ich nicht so ein Freund von Investoren im Fußball, das Herz des Fußballs geht verloren. Und selbst in der Regionalliga hier in Berlin mit Viktoria sieht man, wozu das führen kann. Aber andererseits finde ich es natürlich schade, dass es jetzt Viktoria getroffen hat. Und hoffe, dass sie da rauskommen aus der Nummer."
Neun Millionen Euro pro Saison?
Zur Pause führt Viktoria mit 2:0. Auf den Stehplätzen am Spielfeldrand gibt es nur ein Thema: die drohende Insolvenz des Vereins. Was ist passiert? Im Mai vergangenen Jahres vereinbaren der Klubvorstand und die Geschäftsführung der ‚Advantage Sports Union’, kurz ASU, ein Investor aus Hongkong, eine intensive zukünftige Zusammenarbeit. Mit dem Ziel, den Verein auf lange Frist wettbewerbsfähig zu halten, insbesondere die Erste Herrenmannschaft in der Regionalliga. Die Boulevardpresse spekuliert von neun Millionen Euro pro Saison.
"Es gab keine Alternative, man konnte es nicht durch eigene Mittel, sprich Sponsoren, Vorstandsmitglieder mehr stemmen", sagt ein Fan. "Diese Summen. Und da kam dieses Angebot der ASU zur rechten Zeit. Und das war für uns alle wie sieben Richtige im Lotto. Sieben Richtige, nicht nur sechs."
Eigentlich hat der Klub gerade beschlossen, kürzer zu treten, sich vorrangig um die Nachwuchsarbeit zu kümmern. Jetzt kann er doch wieder angreifen. Den Aufstieg anpeilen. Vergleiche mit prominenten Beispielen wie TSG Hoffenheim und RB Leipzig geistern durch die Köpfe der Verantwortlichen. Der Klub verpflichtet mehr als ein Dutzend neuer Spieler. Darunter einige mit Profierfahrung.
"Das war alles abgesprochen", so Vorstandsmitglied Harald Sielaff. "Wir haben ja jetzt nicht irgendwie geisteskrank Spieler verpflichtet, sondern jeder Spieler, der zu uns gekommen ist, das war mit ihm abgesprochen."
Mit "ihm" heißt: mit dem chinesischen Investor. Warum der sich in Berlins vierter Liga engagiert, kann nur spekuliert werden. Die Mehrheit vermutet: Er will sich bekannt machen in der deutschen Hauptstadt. 2019 soll am neuen Großflughafen BER ein Hotel eröffnen, das zur Unternehmensgruppe der Chinesen gehört. Plötzlich jedoch, Mitte November 2018, ist es vorbei mit dem großen Geld aus Hongkong. Vorstandsmitglied Sielaff ist noch immer konsterniert:
"Da möchte ich keine genauen Zahlen sagen, aber es sind die Leistungen geflossen, die vertraglich vereinbart waren, bis zu diesem Zeitpunkt, und dann von heute auf morgen ist eben nichts mehr geflossen. Das kann so ein Verein nicht von heute auf morgen wegstecken."
Ein Verein mit vorbildlicher Nachwuchsarbeit
Viktoria 89 Berlin, das ist ein Verein mit langer Fußballtradition. Zwei Mal war der Klub deutscher Meister, 1908 und 1911. Er hat 1.600 Mitglieder, seine Arbeit im Breitensport gilt als vorbildlich. 70 Kinder- und Jugendmannschaften nehmen am Spielbetrieb teil. Viktoria 89 ist damit Deutschlands Fußballklub mit dem größten Nachwuchsbereich. Das alles könnte jetzt auf dem Spiel stehen. Deshalb gibt es auch viele Vereinsmitglieder, die sich ärgern über die drohende Insolvenz. Wie zum Beispiel Alexander Kissler, Redakteur der Zeitschrift Cicero: "Der Schaden ist immens, Viktoria hat sich momentan, so leid mir das tut, ja zur Lachnummer nicht nur im Berliner Fußball entwickelt."
"Fakt ist", sagt hingegen Rechtsanwalt Torsten Martini, "im Moment wird da kein Geld kommen, und deswegen haben wir drängendere und wichtigere Baustellen."
Er ist vom Gericht als vorläufiger Insolvenzverwalter einbestellt worden. Solange die Mitglieder weiter ihre Beiträge zahlen, sieht er für den Gesamtverein keine Probleme. Nur fürs Regionallligateam wird es eng. Da muss ein neuer Sponsor her. Sonst werden einige der gut bezahlten Spieler den Klub jetzt verlassen:
"Am 01.02. ist Hop oder Top, es gibt diese Gespräche, wir sind relativ weit, ich bin auch verhalten optimistisch, dass wir jemanden finden werden. Ob das in der Größenordnung ist wie bisher, was das finanzielle Engagement angeht, wage ich zu bezweifeln, es ist eben keine Liga, wo man Millionen verdienen kann als Verein."
Das vorweihnachtliche Pokalspiel gewinnt Viktoria 89 mit 4:1. Der Traum vom ganz großen Fußball ist zwar Geschichte. Aber der Sieg im Pokal lässt hoffen, dass Deutschlands Fußballklub mit der größten Jugendabteilung auch den Kampf ums Überleben erfolgreich gestalten wird.