Vilnius Musik Festival

Engel der Trauer und himmlischer Friede

Die Dirigentin Adrija Čepaitė
Leitete das Konzert beim Vilnius Festival - die Dirigentin Adrija Čepaitė © Website Adrija Čepaitė
Moderation: Volker Michael · 19.07.2020
Unter Adrija Čepaitė spielte das Litauische Kammerorchester zwei ergreifende Werke für Chor und Streicher über Engel und himmlischen Frieden von Kantscheli und Vasks. Zuvor ein neues Konzert von Vähi für Birbynė, einer in Litauen viel gespielten Holzflöte.
Es gibt eine starke osteuropäische Identität - die drückt sich nicht zuletzt im Singen und Musizieren aus, das mit tiefem Ernst und spirituellen Fragen zu tun hat. Deshalb kann es nicht verwundern, dass das Litauische Kammerorchester zusammen mit dem Jauna Muzika Chor der Stadt Vilnius beim Vilnius Festival ein Konzert gegeben hat, das drei Werke von Komponisten der Region mit eben solchen Inhalten verbindet. Das Programm geleitet hat die litauische Dirigentin Adrija Čepaitė.

Groove und Swing mit Birbynė

Peeter Vähi ist ein estnischer Komponist, der für seine breite stilistische Ausrichtung bekannt ist. Er hat speziell für dieses Konzert beim Vilnius Festival ein Werk geschrieben für das litauische Klarinetteninstrument Birbynė. Das grooved und hat Swing - dieses neue Stück für den Solisten Vytautas Kiminius und das Litauische Kammerorchester hat die Menschen beim Vilnius Musikfestival mitgerissen.
Ein Mann spielt ein flötenartigen Instrument aus Holz und Horn hinter einem Notenständer.
Vytautas Kiminius ist ein Virtuose auf der Birbynė.© Vytautas Kiminius / Vytauto Šventupio
Dass in der litauischen Hauptstadt im Juni 2020 ein Festival stattgefunden hat mit Publikum, Orchesterspiel und Chorgesang, kann uns hierzulande neidisch machen. Die baltischen Länder sind bekannt für ihre tief verwurzelte Gesangstradition. Niemand käme dort wohl auf die Idee, das gemeinsame Singen – zumal von Profi-Vokalisten – in geschlossenen Räumen zu verbieten.

Glaube und Hoffnung

Das Konzert in Vilnius stand unter dem Motto "Glaube und Hoffnung". Der georgische Meister Gija Kantscheli und der lettische Komponist Pēteris Vasks haben je ein Stück für Chor und Instrumente geschrieben: "Angels of Sorrow" – Engel der Trauer und "Da pacem domine", gib uns Frieden Herr. Die Richtung ist vorgegeben damit.
Der Kammerchor Jauna Muzika Vilnius in der Abteikirche Brauweiler.
Der Kammerchor Jauna Muzika Vilnius und Dirigent Vaclovas Augustinas.© Erzbistum Köln
Das erste Werk im Konzert in Vilnius kam dagegen ganz ohne Worte und Chorgesang aus – dafür können Sie darin ein Instrument kennen lernen, von dessen Existenz Sie wahrscheinlich noch nichts gehört haben: Die Birbynė – die baltische Klarinette, ein einfaches Rohrblattinstrument mit einem Korpus wie eine Schalmei.

Ein unbekanntes Instrument

In Litauen gibt es eine Reihe von Virtuosen auf diesem Instrument. Einer von ihnen ist Vytautas Kiminius, für ihn hat Peeter Vähi ein Konzert geschrieben. Der estnische Komponist bedankte sich im litauischen Rundfunk und auf der Bühne der Nationalphilharmonie in Vilnius nach der Uraufführung seines Werkes und erklärte, wie das Konzert für Birbynė und Kammerorchester zustande gekommen ist.
"Ich arbeite seit langem mit dem Klaipeda-Kammerorchester zusammen. Ich war oft dort in der Stadt, die auf Deutsch Memel hieß, ganz im Westen Litauens. Die altpreußische Sprache, die man dort gesprochen hat, ist leider ausgestorben. Aber es gibt wundervolle Volkslieder dort. Und eines gefällt mir besonders. Das habe ich in meinem Stück benutzt. Und auf der Birbynė gespielt, klingt es perfekt. Ehrlich gesagt, vor zwei Jahren habe ich das erste Mal von diesem Instrument gehört. Vytautas Kiminius war auf einem Festival in Estland. Das heißt Glasperlenspiel-Festival, er spielte zusammen mit dem Ciurlionis-Streichquartett. Da habe ich mich sofort in dieses Instrument verliebt. Man kann darauf alles spielen, was sonst die Klarinette oder die Oboe spielt."

Am Rande der Sowjetunion

Alle drei Komponisten dieses Programms beim Vilnius Festival wurden in der Sowjetunion geboren und ausgebildet. Doch keiner von ihnen ist russischer Herkunft. Im Gegenteil stammen sie aus kleineren Ländern am Rand der ehemaligen Sowjetunion, die bis heute unter russischer Retro-Großmacht-Politik zu leiden haben. Das folgende Werk bezieht sich sogar explizit auf politische Dinge. Der georgische Komponist Gija Kantscheli hat sein Werk "Angels of Sorrow" dem russischen Regimekritiker und Oligarchen Michail Chodorkowski gewidmet, zu dessen 50. Geburtstag. Im Jahr 2013 war das, schon fünf Jahre vorher hatte Arvo Pärt demselben Mann seine vierte Sinfonie zugeeignet. Gija Kantscheli ist vergangenen Oktober in seiner Heimatstadt Tblissi gestorben.
Neben dem russischen Exilpolitiker gedachte Kantscheli mit diesem Werk auch aller Opfer von Gewalt und Willkür, als er in "den Engeln der Trauer" einen selbst verfassten georgischen Text komponierte.

Gegen Willkür und Gewalt

Der Komponist hat das Werk für Violine, Violoncello, Kinderchor und Kammerorchester selbst so beschrieben: "Unwillkürlich beeinflussen im Unterbewusstsein die Geschehnisse in der Welt meinen kreativen Prozess. Ich kann den endlosen Erscheinungsformen von Rücksichtslosigkeit und Gewalt nicht gleichgültig gegenüberstehen, weshalb wahrscheinlich Trauer und Schmerz in meiner Musik vorherrschen. Mit Hilfe der unschuldigen Stimmen von Kindern und einfachsten melodischen Strukturen habe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten versucht, mein Plädoyer für die Stärke des menschlichen Geistes zum Ausdruck zu bringen – die unbeugsame Kraft des Geistes, die ihn über ein unmoralisches Regime erhebt."
Peteris Vasks am Klavier, aufgenommen 01.02.2006.
Der lettische Komponist Peteris Vasks, hier im Jahr 2006, feierte am 16. April seinen 70. Geburtstag.© Lehtikuva Matti Bj
Der lettische Komponist Pēteris Vasks hat eine innige Beziehung zur Musikszene des benachbarten Litauen. Dort konnte er zu sowjetischer Zeit als junger Musiker besser und ungestörter existieren als in Lettland. Vasks ist mit seiner Musik in den Konzertsälen weltweit sehr präsent. Nicht nur dort, wo lettische Musikerinnen und Musiker wie Andris Nelsons, Baiba Skride oder Iveta Apkalna bestimmen, was gespielt wird. Sein harmonisch dunkler und entschieden traditioneller Stil, in dem Vasks - wie er selbst sagt - tiefen Ernst und Schönheit sucht, macht den Zugang zu seinen Werken recht einfach.

Verleih' uns Frieden gnädiglich

Das gilt auch für sein Stück für Chor und Streichorchester "Da pacem, Domine". Grundlage ist die uralte Antiphon "Da pacem, Domine in diebus nostris" – Martin Luther hat sie 1529 nachgedichtet mit "Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten. Es ist ja doch kein anderer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine". Luther soll damals auf die Kämpfe mit den Osmanen angespielt haben. Heute lässt sich ein Werk mit diesem Text ebenfalls als Mahnung gegen Krieg und Unterdrückung verstehen.
Vilnius Festival
Großer Saal der Litauischen Nationalphilharmonie
Aufzeichnung vom 15. Juni 2020
Peeter Vähi
Konzert für Birbynė und Kammerorchester (Uraufführung)
Giya Kantcheli
Angels of Sorrow
Pēteris Vasks
Da pacem Domine für Chor und Kammerorchester

Vytautas Kiminius, Birbynė
Dalia Kuznecovaité, Violin
Elena Daunytė, Violoncello

Jauna Muzika Städtischer Chor Vilnius
Litauisches Kammerorchester
Leitung: Adrija Čepaitė

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