Vinyl

"Am Tresen wird über Platten gesprochen"

Eine Schallplatte wird in einem Musikfachgeschäft in Hannover (Niedersachsen) auf einem Plattenspieler abgespielt.
Schallplatten sind bei so manchem Musikfan immer noch sehr beliebt. © picture alliance / dpa / Foto: Christoph Schmidt/dpa
Marga Glanz und Stefan Schulz im Gespräch mit Ulrike Timm |
Für Musikfans, kleine Labels und Plattenläden ist der "RSD", der Record Store Day, der ursprünglich aus den USA kommt, ein Fest. Limitierte Schallplatten werden in mehr als 300 Stores verkauft und Bands spielen live. Eben ein richtiger "Vinyl-Feiertag".
Ulrike Timm: "More important than christmas“ – wichtiger als Weihnachten, so ist der Record Store Day in den USA schon genannt worden, weil an diesem speziellen Feiertag der Plattenliebhaber oft mehr Geld über den Tisch geht als im Weihnachtsgeschäft. Und der Clou: Weltweit und zeitgleich gibt es limitierte Auflagen seltener Aufnahmen, die man nur an diesem Tag und nur in den dran beteiligten Läden überhaupt bekommt. Das ist am Sonnabend. In Deutschland werden rund 300 Plattenläden mitmachen, unabhängige kleine, die sich tapfer halten, weil sie sich auf ein spezielles Programm gestürzt haben, auf spezielle musikalische Nischen und auf ein entsprechend enthusiastisches Publikum. Ich habe gleich zwei Gäste: Am Telefon begrüße ich Marga Glanz von Groovecity in Hamburg, schönen guten Tag, …
Marga Glanz: Hallo!
Timm: Und hier im Studio ist Stephan Schulz vom Plattenladen Dodo Beach in Berlin. Ich grüße auch Sie!
Stefan Schulz: Hallo!
Timm: Das ist so ein richtiger – ich habe es mehrfach gesagt, Platten, nicht CDs, nicht Downloads –, das ist so ein richtiger Vinyl-Feiertag, Herr Schulz, oder?
Schulz: Ja, kann man so sagen, war ja schon in der Anmoderation wichtiger als Weihnachten. Es ist tatsächlich der Tag, wo letztendlich für alle Vinyl-Liebhaber und natürlich für uns wirklich das Ganze eine Aufmerksamkeit genießt wie sonst nicht. Die ganzen Plattenfirmen unterstützen das, indem sie eben diese ganzen schicken Veröffentlichungen rausbringen zu dem Tag, und es ist wirklich ein Impuls aus allen Richtungen, der, ja, uns in große Euphorie versetzt.
Timm: Frau Glanz, in Zeiten von Downloads und auslaufender CD-Liebhaberei wieder auf Vinyl zu setzen – ist das eine Dinosaurierparty oder ist man da schon wieder Avantgarde, wenn man auf Platten setzt?
"Jetzt habe ich aber ganz viel junge Leute, die Vinyl kaufen"
Glanz: Also ich würde sagen, eher wieder Avantgarde, weil als ich vor zehn Jahren Groovecity übernommen habe, habe ich tatsächlich erst gedacht, also ich werde mit meinen Kunden alt und dann gehen wir alle zusammen in Rente, und jetzt habe ich aber ganz viel ganz junge Leute wieder, also so Leute, die gar nicht aufgewachsen sind mit Vinyl, die jetzt aber inzwischen einen Plattenspieler haben und Vinyl kaufen.
Timm: Herr Schulz, ich habe gehört, indem wir Sie ins Studio eingeladen haben, haben wir Sie beim Auspacken gestört, Sie packen nämlich im Moment große Pakete aus. Was ist da drin?
Schulz: Ja, palettenweise, tonnenweise, wie wir gerne sagen, eben die Veröffentlichungen vom Record Store Day, das sind ja allein in Deutschland schlapp 600. Wir haben auch versucht, Veröffentlichungen aus England und Amerika und Neuseeland zu kriegen, das trudelt jetzt alles ein, natürlich alles kurz vor knapp, weil die Sachen sollen ja wirklich dann nicht aus Versehen schon vorher in den Verkauf geraten, deshalb wird das alles heute noch ausgeliefert, und wir werden sicherlich morgen auch noch den ganzen Tag damit verbringen, die Schätze zu bergen, zu sichten und in den Laden zu stellen.
Timm: Schätze, schönes Stichwort, ich habe gehört, manche Aufnahmen, die es eben nur an diesem Tag gibt, die werden in einer Auflage von 500 Stück weltweit gepresst. Da ist man froh und stolz und fühlt sich wie ein beschenktes Kind, wenn man überhaupt was abkriegt, oder?
Schulz: Genau. Das geht zuerst mal uns so, weil wir bestellen natürlich alles und werden dann überrascht, was wir dann wirklich aus der Kiste holen, und das setzt sich dann fort: Die ersten Kunden, die dann am Samstag um acht bei uns vorm Laden stehen und die dann raustragen, die sind natürlich happy.
Timm: Um acht?
Schulz: Wir machen um acht auf, ja.
Timm: Fast so wie beim ersten Harry-Potter-Band – Schlangen bis an die Straße oder wie muss man sich das vorstellen?
"Da stand eine Traube von Leuten vor der Tür"
Schulz: Davon gehe ich tatsächlich ein bisschen aus, ja. Es war letztes Jahr, da haben wir ja unseren Laden aufgemacht zum Record Store Day, war es tatsächlich so, dass um acht Uhr da eine Traube von Leuten vor der Tür stand.
Timm: Nun sind Sie am Auspacken und vorm Geburtstag soll man eigentlich nicht gratulieren, aber was haben Sie – bisschen, bisschen Tipp brauche ich –, was haben Sie denn so gefunden? Haben Sie schon einen persönlichen Schatz entdeckt?
Schulz: Tatsächlich meine persönlichen Schätze von der Liste sind noch nicht eingetroffen. Ich habe zum Beispiel so zwei Single-Boxen von zwei Bands aus den 60er-Jahren, "The Action“ und "The Creation“, wo ich sehr heiß drauf bin, aber die waren leider noch nicht dabei, die kommen dann heute.
Timm: Aber Sie haben uns was mitgebracht!
Schulz: Ja, ich habe ein bisschen was mitgebracht, genau.
Timm: Erzählen Sie mal uns was, "Oban Road“, was ist das für ein Schatz?
Schulz: Ja, das ist eine Band aus Schottland, sehr witzige Entstehungsgeschichte: Es war mal vor Jahren ein Bo Diddley-Konzert angesetzt, der dann ausfiel, und dann formierten sich ein paar Musiker, studierten Bo Diddley-Programm ein und sagten dem Veranstalter: Wir können doch stattdessen spielen. Das hat dann zwar nicht geklappt, aber die Band hatte dann Bestand, nennt sich "Lord Rochester", da spielt der RussWilkins mit, der in den 70er-, 80er-Jahren bei den "Milkshakes" war, auch so eine Retro-Rock’n’Roll-Band, also großartig. Und die haben eine neue Single rausgebracht, die jetzt erscheint, die haben wir dann sozusagen als erstes, und wir haben sie tatsächlich exklusiv in einer 25er-Auflage mit einem Inlay, mit einem sozusagen Autogramm-Picture-Inlay, wo die Künstler unterschrieben haben, und das ist handnummeriert und ein sehr schickes Teil.
Timm: Ein großer Schatz. Sieht so nostalgisch aus, wie es klingt.
(Musikeinspielung)
Timm: Die Musik, bei der Stephan Schulz einen Luftsprung machte, als er sie auspackte – nostalgische Musik aus den 60ern, die es eben nur an diesem kommenden Sonnabend gibt beim Record Store Day. Marga Glanz in Hamburg, haben Sie auch so ein dickes Paket, wo Sie sagen, na, hoffentlich ist das und das drin?
"Hoffentlich kriege ich das"
Glanz: Ja, habe ich. Also wir haben nicht so viele wie unser Mann aus Berlin, aber wir haben halt nur die Sachen, die in unser Programm passen, wir haben ungefähr 50 Veröffentlichungen. Da ist es ähnlich, also man sieht so was auf der Liste und denkt, hoffentlich kriege ich das, und kümmert sich, und sagt, hey, Leute, jetzt – ich kriege so wenig, guckt mal, dass ich das kriege. Und ich freue mich ganz besonders über die "Nothing New“ von Gil Scott-Heron, also Aufnahmen, die kurz vor seinem Tod entstanden sind, nur er und Klavier, und er hat sich aus seinem eigenen Katalog ein paar schöne Stücke ausgesucht. Und das finde ich … Da freue ich mich sehr.
Timm: Als ich mich ein bisschen vorbereitet habe auf dieses Gespräch, da habe ich oft den Satz gelesen "Die Community feiert den RS Day“. Die Community feiert den Record Store Day. Wer ist denn die Community?
Glanz: Also das kann man schon so sagen: Wir sind natürlich ein Verbund von den letzten Aufrechten. Also ich weiß nicht genau, wie viele unabhängige Plattenläden weltweit mitmachen, aber es sind natürlich eine ganze Menge, immer noch eine ganze Menge, und es sind … Da findet man ja auch keine zwei gleiche. Und dann muss man natürlich sagen, das ist ja nicht … Wir sind ja nicht so UFOs, sondern wir sind ja Teil von einer Clubkultur, einer Musikkultur, einer Auflegekultur, und natürlich auch von unseren Kunden, und das feiern wir heute tatsächlich einfach gemeinsam, also nicht heute, am Samstag, meine ich natürlich.
Timm: Stephan Schulz, ich habe gehört, in Ihrem Laden gab es schon Feten, und da spielen im Laden auch die Bands, da ist der Laden so ein kleines Kulturprojekt für Musik, wo man auch alles neu erfährt.
Schulz: Ja, tatsächlich. Also das ist ja letztendlich auch ein Bestandteil des traditionellen independent record stores, dass man sich Künstler einlädt, die bei uns teilweise live spielen. Letztlich hatten wir Nick Waterhouse im Laden, der hat dann Platten aufgelegt, hat sich als DJ betätigt. Wir hatten den Arthur Brown, der damals den Hit hatte "Fire“, den Hit "Fire“ hatte, der war bei uns im Laden vor seiner Show und hat einfach erzählt, der Mann kann natürlich super-spannende Geschichten erzählen aus den wilden 60ern in London. Und da haben wir eigentlich immer Programm bei uns im Laden, ja.
Timm: Frau Glanz in Hamburg: Sind das alles Leute, die zu Ihnen kommen, die nie, nie, nie, nie, nie, nie bei Amazon bestellen oder downloaden, oder lebt der Fan heute nicht doch die Koexistenz bei den Bezugswegen?
Glenz: Würde ich auf jeden Fall sagen. Also ich habe alles. Also ich habe tatsächlich Kunden, die ausschließlich Vinyl kaufen, und wenn ich ihnen sage, das gibt es nur als CD, dann winken die ab und gehen wieder. Aber ich habe natürlich auch ganz viele Kunden, die alle Wege auch benutzen. Und es gibt ja so … Also nichts, was in meinem Laden steht, findet man nicht auch im Netz, wahrscheinlich, aber dieses, in so einen Laden zu gehen, wird doch für viele Leute wieder so interessant, weil es, glaube ich, einfach noch mal so eine andere Form ist. Also es ist nicht, Kunden, die dies gekauft haben, haben auch das gekauft, sondern man geht da, man blättert in Fächern und sieht dann vielleicht irgendwas, worauf man gar nicht gekommen ist, oder man hört in dem Laden was, oder am Tresen wird gesprochen über eine Platte, und man interessiert sich dann auch dafür. Also es ist so ein anderes Erlebnis.
Timm: Ihr Kollege Stephan Schulz, der hier bei mir im Studio sitzt, der nickt und nickt und nickt, er kennt das wahrscheinlich auch, oder?
"Musik bei Menschen kaufen"
Schulz: Ja, klar. Also wir sind ja tatsächlich ein Vinyl-Only-Plattenladen, das heißt, bei uns haben wir wirklich den Großteil der Leute, die sich auf Vinyl beschränken. Aber letztendlich sozusagen, der Austausch über Musik, der in den Läden stattfindet, der wird den Leuten wieder wichtig. Wir hatten gestern jemand da, der hat auf so eine ähnliche Frage geantwortet, er will Musik bei Menschen kaufen, das fand ich sehr schön, und eben nicht irgendwo im Netz oder anonym. Und das ist tatsächlich diese Plattform Plattenladen als Treffpunkt Gleichgesinnter und Gleichinteressierter.
Timm: Sie haben uns auch noch eine richtig menschengemachte, nicht elektronische Musik mitgebracht, "Hey Joe“ – was ist das für eine besondere Platte? Sie ist noch verschweißt, aber Sie haben uns eine eingespielt, das ist nett.
Schulz: Nein, nein, die ist schon offen. Ja, das ist von Charlotte Gainsbourg, der Tochter von Serge Gainsbourg, aus dem Film "Nymphomaniac“, "Hey Joe“ covert sie da, die durch Hendrix bekannt gewordene Nummer, und es ist eine sehr schöne Version, produziert von Beck, und, ja, müssen wir hören.
(Musikeinspielung)
Timm: Der Record Store Day am kommenden Sonnabend, und auf den freuen sich Marga Glanz in Hamburg von Groovecity und Stephan Schulz von dem Plattenladen Dodo Beach in Berlin. Nun haben wir so viel gehört über Vinyl-Fans, aber ist das Ganze nicht doch eine geschickt und kultig gemachte Werbeveranstaltung? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Major Labels oder die großen Ketten nicht doch irgendwie dran hängen, Frau Glanz?
Glanz: Also ich weiß es nicht tatsächlich. Bei mir ist es nicht so. Also ich habe fast ausschließlich Platten von independent labels, also von daher, ich kann das gar nicht beurteilen. Aber eigentlich denke ich nicht.
Timm: Nein?
Glanz: Nö.
Timm: Was meint Herr Schulz?
Schulz: Na ja, es sind schon Majors auch dabei, die letztendlich aber auch ihre Platten dann alleine durch die Limitierung und die nett gemachte Aufmachung und so, also schicke Sachen auch machen, aber klar, es gibt auch Platten von Universal, von Sony.
Timm: Aber wir hoffen Sonnabend auf eine Riesen-Fete vieler Fans in rund 200 Plattenläden in Deutschland, die mitmachen beim Record Store Day. Und ich bedanke mich ganz herzlich bei Marga Glanz in Hamburg und bei Stephan Schulz hier im Studio in Berlin, und beide machen mit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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